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Foto: © Bayreuther Festpiele / Enrico Nawrath
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Prawda-Shitsturm in Baku – „Die Walküre“ bei den Bayreuther Festspielen

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Dekonstruktivistisch knüpft Frank Castorfs Inszenierung der „Walküre“ nicht an der in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts in den USA spielenden Sicht auf „Das Rheingold“ an. Die Kopie seiner eigenen Inszenierung von Anton Tschechows „Das Duell“, die wenige Monate vor der „Ring “-Produktion an der Volksbühne Premiere hatte, rückverlagert die Handlung rund um einen der zahlreichen paraklerikal anmutenden Öltürme in Baku ins Jahr 1918 und in später projizierten Filmsequenzen bis ins Jahr 1942.

Die Entscheidung zu dieser Wahl von Ort und Zeit, zusammen mit einer für Castorf ungewöhnlichen Statik, schien bedingt durch die Besetzung der Partie des Siegmund mit einem aufgrund seiner Körperfülle höchst unbeweglichen Darsteller. Für diesen Sommer wurde eine dem Startenor an Leibesumfang adäquate Sopranistin als seine Zwillingsschwester Sieglinde engagiert – doch Johan Botha singt in diesem Jahr nicht in Bayreuth, und so wirkt die an Bothas Stimmschönheit keineswegs heranreichende Heidi Melton nun wie eine Fehlbesetzung. Einen optischen Gewinn bringt sie hingegen für die stämmige Brünnhilde, die neben der neuen Sieglinde geradezu gertenschlank erscheint.

Christopher Ventris, Siegmund mit heldentenoralem Timbre, zeigt Einiges davon, was der Regisseur sich wohl ursprünglich als Aktionen des gejagten, verwundeten Outlaws ausgedacht hatte. Im ersten Aufzug werden die Heuballen und die Möglichkeiten, damit zu spielen, sinnfällig, wenn die geernteten Vorrats-Quader als primitives Raumveränderungsmöbel genutzt werden, zugleich Versteckmöglichkeiten bieten, wie die Gefahr des Einsturzes.

Auch gibt es im Spiel des Siegmund durchaus komische Momente, etwa wenn der Wälsung nach Verkündigung seines Todes eine sofortige Flucht vor dem Zweikampf per Fahrrad erwägt, diese Idee aber angesichts der schwesterlichen Last sofort wieder aufgibt.

Neu ist auch Georg Zeppenfeld als Hunding, ein wendig-gefährlicher Windhund, der mit sympathisch timbriertem Bassfundament wie in einem guten Krimi überspielt, dass die blutige Leiche im Schlitten ein von Siegmund erschlagener Verwandter aus der Sippe der Magen ist, der auch Hunding angehört. Ebenfalls wie im Krimi gibt es zwei Stümpfe der Esche, in denen ein Schwert steckt, eine falsche im Ober- und eine richtige im Erdgeschoss, aus der Ventris die von Wotan für ihn vorgesehene Wunderwaffe nunmehr auch selbst sichtbar herauszieht.

Beibehalten wurde die Schwarzweiß-Projektion entfernter live gespielter Sequenzen. Der durch das Gift aus einer im Busen Sieglindes versteckten Flasche unruhig träumende Hunding ebenso, wie die hinzuerfundene Amoure Wotans mit einer offenbar von ihm schwangeren, Sahnetorten in sich hineinstopfenden Geliebten und später die um eigene Sequenzen erweiterten, historischen Stummfilm-Ausschnitte, etwa die Befreiung eines Gefangenen aus dem zum Gefängnis umfunktionierten Käfig der Fasane, die vor der Revolution als lebendiges Wohlstandsymbol Hundings gepflegt wurden.

Fricka wird nun nicht mehr von einem Leibeigenen auf den Armen getragen. Arg eindimensional gestaltet Sarah Connolly ihre Gardinenpredigt. Ein echter Gewinn ist jedoch der neue Wotan John Lundgren, der seine Partie souverän beherrscht und, mit deutlicher Diktion, stimmlich facettenreich umsetzt. Zusätzlich vermag er die Darstellung des Magnaten mit Witz anzureichern: Der kahlköpfige Großgrundbesitzer weicht den aufspringenden Toren seines Ölbetriebes leichtfüßig aus, opfert dem wehend umgesetzten Shit-Sturm der Prawda seinen langen Vollbart. Den Sieg der von Wotan selbst angezettelten Revolution verkünden an Wänden und Dächern der filmartigen Dekoration von Aleksandar Denić diverse Aufschriften, rote Fahnen und Wimpel sowie leuchtende Sowjetsterne am Bohrturm.

Nun betrauert Wotan die „Trümmer der eig’nen Welt“ und begießt sie reichlich mit Schnaps. Wenn er dann mit dem Fell des russischen Bären in einem Tanz die Vergangenheit von sich abwirft, gehört dies zu den eindrucksvollsten Momenten des Abends.

Nachdem Wotan den Sattel seines Luftrosses wütend zu Boden geschleudert hat, vergewaltigt er die zur Individualität herangereifte Lieblingstochter Brünnhilde brutal mit einem Kuss. Den Weg von einer willfährigen Komplizin der Dynamit-Herstellung zu einem denkenden und eigenständig handelnden, erste Liebe (zum Bruder Siegmund) empfindenden Frau bringt Catherine Foster sinnfällig zum Ausdruck. Stimmlich deutlich gewachsen, überbrückt sie nunmehr ökonomisch die Passagen mädchenhaften Gesangs mit jenen von dramatischer Verve, wobei sie allerdings leider Anfangssilben, wenn nicht ganze Wörter, verschluckt.

Gutes Kamerafutter für die agilen Live-Filmer Andreas Deinert und Jens Crull bieten die sich noch herrschaftlich in Kostümen russischer Opern der Zarenzeit, aber auch schon mit Revue-Kopfputz gebärdenden, mit sterbenden Revolutionären garnierenden Walküren (Kostüme: Adriana Braga Peretzki). Die Reihe von Neubesetzungen umfasst Caroline Wenborne als Gerhilde, Stephanie Houtzeel als Waltraute, Meike Morr als Siegrune und Wiebke Lehmkuhl als Grimgerde, die sich mit den bereits bewährten Kolleginnnen Dara Hobbs (Ortlinde), Nadine Weissmann (Schwertleite), Christiane Kohl (Helmwige) und Alexandra Petersamer (Roßweiße) zu einem vorwiegend homogenen Oktett mischen.

Mit der in breiten Teilen für die singenden Darstellerinnen statisch angelegten Bühnenpräsentation kommt Dirigent Marek Janowski hörbar besser zurecht als mit der szenischen Turbulenz am Vorabend. Doch die rhythmischen Differenzen zwischen Bühne und dem – abgesehen von Trompete – durchwegs trefflich disponierten Festspielorchester verhindern im ersten Aufzug die vom Komponisten intendierte, stringente Steigerung. Immer wieder ist Janowski hörbar darauf aus, Spannungsbögen aufzubauen, die dann kurz darauf wieder in sich zusammenfallen, am deutlichsten bei Wotans Abschied und dem sich anschließenden Feuerzauber.

Das Festspielpublikum dankte dem alten Kämpen gleichwohl ostentativ für seine vielfältigen Wagner-Einsätze, die neben dem Kanon der Bayreuther Werke – trotz Janowskis erklärter persönlicher Abneigung gegenüber „Rienzi“ – eine stark gekürzte Gesamtaufnahme dieser Großen Oper Wagners umfassen.

Auch die übrigen Beteiligten ernteten mit Erreichen der Halbzeit der diesjährigen „Ring“-Premiere einhellig Lob für ihren gesteigerten Einsatz.

  • Weitere Aufführungen: 8. und 21. August 2016.

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