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Falstaff an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Hans Jörg Michel
Falstaff an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Hans Jörg Michel
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Schon wieder „Casa Verdi“ – Christoph Loys „Falstaff“-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin

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Im Verdi-Jahr richtet sich der Blick beim Spätwerk des Komponisten bevorzugt auf dessen „bestes Werk“, das Altersheim „Casa di riposo per musicisti“. Bereits Damiano Michieletto hatte „Falstaff“ bei den diesjährigen Salzburger Festspielen im Seniorenheim angesiedelt, auch Tanztheater-Altmeister und Provokateur Hans Kresnik hat in der Volksbühne eine „Villa Verdi“ dramatisiert und auch Dustin Hoffman ließ sich für sein Regie-Debüt „Quartett“ von der „Casa Verdi“ inspirieren. Christoph Loy kommt mit der Idee, wenn es denn seine eigene ist, zumindest arg spät.

Dabei begann der Premierenabend zunächst witzig und halbwegs originell. Klimperte auch in Salzburg ein Pianistenrentner auf dem Flügel, so wählte Loy das Mittel des Stummfilms – als Hommage an Verdi über Carlo Schmids Film „Der Kuss der Tosca“. In dem von Verdi errichteten Altersheim für mittellose Künstler singt, zunächst stumm, dann synchron begleitet von einer historischen Aufnahme des „Quand’ero paggio“, mit Verdis erstem Falstaff-Darsteller, dem Bariton Victor Maurel, aus dem Jahre 1907. Sodann öffnet sich der Vorhang,  und die im Film gezeigte Szene findet in veränderter Dekoration auf der Bühne statt, nun intoniert der Berliner Darsteller selbst das Pagen-Lied.

Die Sängerdarsteller, sämtlich in Maske und Kostümen (von Ursula Renzenbrink), wie auch in gebeugter Haltung, Insassen des Altersheims, legen im großen weißen Bühnenraum von Johannes Leiacker (wie in der hier vorangegangenen „Jenufa“-Inszenierung desselben Teams), die Seniorenattribute im Spiel sukzessive ab. Zwischen einer fahrbaren Telefonzelle, dem Bett des Protagonisten und frei in den freien Raum gestellten Türen entwickelt sich eine zunächst einnehmende Personenführung, die wie ein „Spiel im Spiel“ wirkt, sich aber als solches nicht einlöst. Hatte sich bei Michieletto die Spielebene des Seniorenheims in Mailand mit jener in Windsor überlagert, so will Loy „Brechts Verfremdungseffekt italienisieren [...] Das hat vielleicht etwas mit Berlin zu tun. Intuitiv reagiere ich immer auf die jeweiligen Städte in denen ich inszeniere“ (so der Regisseur im Programmheft). Und wie es „im Leben bisweilen gar keine Brücken“ gebe und die Menschenbilder „von Sprunghaftigkeit und Unlogik“ leben würden, so praktizieren dies seine Darsteller. Beliebig legt Falstaff seinen Kostümschmerbauch und seine Glatze ab und an oder erscheint in einem historisierenden Kostüm.

Es gibt es wenige originelle Momente, wie nach dem Quartett, wenn alle Männer wie von einer Gewehrsalve getroffen, niederstürzen und dann von den Frauen karessiert werden. Mrs. Quickly mit Wasserstoffsuperoxydperücke und Atom-Busen macht dem Ritter ihre Aufwartung gleich im Bett.

In der als Komödie initiierten Inszenierung wird auch gelacht, aber weniger über Slapstick als über den originalen Wortwitz Arrigo Boitos, wenn auch zumeist an der falschen Stelle, eben dann, wenn die Pointe in der Übertitelung erscheint (etwa beim Satz, „eher würde ich einem Deutschen mein Bier anvertrauen“).

Falstaff besucht Alice im Morgenmantel, während Mrs. Quickly und Meg Page an der Tür lauschen. Und wenn der Möchtegern-Liebhaber von den Frauen im Wäschekorb versteckt und in die Themse gekippt wird, so passiert dies hier Richtung Vorbühne. Da spielt dann auch der Anfang des dritten Aktes, während dahinter, nur durch hohe Fenster sichtbar, eine Abendgesellschaft der Upper Class feiert, zu der Falstaff keinen Zutritt erhält, obgleich er an deren Türe klopft. Auch sein Altersheim-Bett ist nun vorne positioniert, wo ihm Nanetta den bestellten Wein kredenzt. Und Mrs. Quickly schlüpft für einen Quicky zu ihm unter die Bettdecke, als es gilt, ihm das Märchen vom Jäger Herne zu erzählen. Fenton komponiert und probiert seine Arie am Flügel aus, während Techniker im Frackhemd einen Waldprospekt horizontal statt vertikal entrollen. So steht die Dekoration des Schlussbildes zwar nicht kopf aber doch quer, während Falstaff das klassische Geweih trägt, der Chor in weißen Ballettkostümen mit Flügelchen einfriert und fünf männliche Elfen-Ballerinen in Tutus den Bogen zum Kölner Karneval schlagen. Falstaff tanzt mit ihnen in Herrenreihe Cancan und exerziert Gruppen-Seilhüpfen. Eher gemütlich gerät seine Folterung. Und bei der Schlussfuge schlüpfen die heutig gewandeten Choristen und Solisten wieder in die Kostüme des Altenheims der „Casa Verdi“. Ein gold-gerahmtes Bild des Komponisten wird auf der Vorbühne platziert.

Ambivalente Pfiffe, aber keine Buhrufe am Ende eines insgesamt auch musikalisch enttäuschenden Premierenabends: Donald Runnicles hatte gut begonnen und die kurzen, grotesken Themen dieser Partitur in geradezu obszöner Zuspitzung herausgearbeitet. Aber die Koordination von Bühne und Graben ließ oft zu wünschen übrig, und bei einem bewusst unatmosphärischen Waldbild bleiben auch Poesie und Flair auf der Strecke. Denn Verdis späte Partitur ist eben keinesfalls nur ein „Flickenteppich“, wie der Regisseur meint, sondern ein innovativ richtungweisendes Spiel mit musikalischen Elementen, inklusive – Leitmotiven, zehn Jahre nach dem Tod von Verdis deutschem Geburtstagsbruder aus dem Jahre 1813.

Leider gibt es auch in gesanglicher Hinsicht wenig Erfreuliches zu berichten. Denn es erwies sich als Fehlentscheidung, nach der Erkrankung des vorgesehenen Hauptdarstellers Markus Brück einem Mitglied des Opernstudios die Titelpartie zu übertragen: Noel Bouley gelingt die Mammutaufgabe szenisch durchaus akzeptabel, aber stimmlich wird er vom Kollegen in der Rolle seines Dieners Pistola, Marko Mimica, mühelos übertroffen. Michael Nagy gelingt der eifersüchtige Ford, insbesondere in seinen Wahnsinnsmomenten, als einem anderen Beckmesser, dessen Pantomime auch musikalisch Pate gestanden zu haben scheint. Dana Beth Miller vermag der Mrs. Quickly ein deutlicheres Profil zu schaffen als Barbara Haveman in der Rolle der Alice Ford, kaum herausragend über die – bei Verdi und Boito gegenüber Otto Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“ und William Waltons „Sir John in Love“ – ohnehin arg unterbelichtete Partie der Meg Page (Jana Kurucová). Etwas stärker das junge Paar, mit Elena Tsallagova als einer stimmlich gleichwohl zu wenig strahlenden Ninetta und Joel Prieto, der den Fenton mit kräftigem Tenor, aber leider arg enger Höhe zeichnet.

Zweifelhaftes Fazit: Verdis Altersmusik vermag die Protagonisten zu verjüngen, lässt sie dann aber auch wieder arg alt erscheinen.

Weitere Aufführungen: 22., 29. November, 5., 7., 30. Dezember 2013, 4. Januar 2014.

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