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v.l.n.r. Andrè Schuen (Don Giovanni), Mari Eriksmoen (Zerlina), Mika Kares (Commendatore/Masetto), Arnold Schoenberg Chor. Foto: Copyright: Herwig Prammer
v.l.n.r. Andrè Schuen (Don Giovanni), Mari Eriksmoen (Zerlina), Mika Kares (Commendatore/Masetto), Arnold Schoenberg Chor. Foto: Copyright: Herwig Prammer
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Schülertheaternde Bedienung einer großen Bühne –Harnoncourt bringt Mozarts da-Ponte-Opern im Theater an der Wien

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„Große Weichenstellungen in der Musikgeschichte“, so meinte Nikolaus Harnoncourt im Interview für das Programmheft des Projekts generell, würden „durch Zufälle hervorgebracht“. Zu diesen Zufällen mag gehören – der Gedanke blieb unausgesprochen – dass der aus dem Veneto stammende Lorenzo da Ponte 1781 auf Vermittlung des Dresdner Hofpoeten Caterino Mazzolà Kontakt zu Antonio Salieri bekam und dieser dem damals 32jährigen eine Stelle am Wiener Hof verschaffte.

In dieser Funktion wurde da Ponte in seinen zehn Jahren an der schönen blauen Donau mit mehr als drei Dutzend Libretti nicht nur für den Gönner tätig, sondern u.a. auch für Vicente Martín y Soler, Joseph Weigl und Mozart. Der Zusammenarbeit mit diesem entsprang zunächst die unvollendet gebliebene Buffa „L’oca del Cairo“ (1783), dann insbesondere jene drei großen italienischen Arbeiten, die Mozart als Opernkomponisten dauerhaft machten: „Le nozze di Figaro“ (1786), „Don Giovanni“ (1787) und „Così fan tutte“ (1790).

Mit dem großen Trio wollte der Dirigent, bestens vertraut mit diesen Werken im Einzelnen seit vielen Jahren, noch einmal ein „neues Erleben dieser bekannten Opern“ ermöglichen, „eine sehr starke Hörerfahrung für die, die das spielen, die das singen und für die Zuhörer auch“. Die Reihenfolge der Nennung dürfte nicht zufällig sein: Es ging zuvorderst um künstlerische Selbstverwirklichung des Ensembles, das Harnoncourt vor mehr als einem halben Jahrhundert in Wien zum Zweck der Realisierung von „historischer Aufführungspraxis“ und mit der weitreichenden Ambition historischer Informiertheit gründete. Doch die Strenge des Anspruchs ist altersmilder Großzügigkeit zugunsten interpretatorischer Freiheit gewichen: „Ich bin nicht der Meinung, dass man grundsätzlich die Anweisungen, die man von 1780 kennt, heute erfüllen soll. Manchmal ist es ganz interessant, wenn man es täte. Ich bin nicht einmal der Meinung, dass man musikalische Anweisungen aus der damaligen Zeit erfüllen muss.“

Gesagt, getan. Jedenfalls akzentuiert die von Harnoncourt intendierte Interpretation der Trilogie ganz aus dem Geiste der Musik die Vielfalt der dynamischen und Tempo-Kontraste und -Nuancierungen, die einem genauen (und als Faksimile mitgeteilten) Plan folgten. Dabei werden zum Beispiel einzelne Rezitative – wie das vor dem Andante-Duettino „Là ci darem la mano“ im ersten Akt des „Don Giovanni“ – des Parlandos vollständig beraubt und zelebriert, als sollte da nach anfänglichen Verhaltungen Siegfried mit Brünnhilde hinsichtlich einer außerehelichen Verbindung übereinkommen. Die Sforzati, an denen es in der Partitur zum letzten Lebenstag des „sehr leichtfertigen jungen Ehemanns“ fürwahr nicht fehlt, wurden mit besonders heftiger Frische angesteuert und mit demonstrativer Überpointierung in den Luftraum geschleudert (aber alles Überstrapazieren künstlerischer Mittel ermüdet). Die Drastik der Akzente verweist nochmals auf die heftige Dramatik der Handlung, in der es ja nicht nur für den Protagonisten der Begehrlichkeit und Verwerflichkeit dreizehn schlägt, sondern auch nach wie vor für manche zart besaiteten Gemüter im Publikum.

Dass manches, was aus den Reihen der Concentus-Mitgliedern nach vorn und oben dringt, rau und fast ungehobelt klingt, mag freilich nicht künstlerischem Willen zu drastischer Deutlichkeit und der historischen Bedingtheit des Instrumentariums geschuldet sein, sondern einem Faktor, der sich in vielen Sektoren des Wiener Kulturlebens nicht verhehlen kann: Dass es zurückgeblieben ist hinter dem, was sich anderswo weiterentwickelt hat. Das gilt gerade auch für die Fertigkeiten auf dem Feld der historischen Aufführungspraxis, die ja von Frankreich und Freiburg, Amsterdam und Köln her nicht unwesentliche Impulse erhielt.

Das Semiszenische

Das Projekt der Trilogie, die bei ruhigem Lichte betrachtet keine ist, gestaltete sich anders als gedacht und geplant. Harnoncourt wollte und sollte im Theater an der Wien mit seinem Concentus Musicus und Martin Kušej als Regisseur den großen Zusammenhang herausprozessieren („Das Interessanteste sind die Zusammenhänge“, argumentiert Harnoncourt so platt wie wahr). Doch eben daraus wurde nichts. Der Regisseur kam abhanden und mit ihm die Chance auf eine sinnvolle und sinnfällige Gestaltung des Bühnengeschehens. Die erweist sich im Resultat als ziemlich jämmerlicher Kompromiss (ist, lieber Nikolaus H., nach dem Diktum Ihres Wiener Landsmanns Arnold Schönberg nicht der Mittelweg der einzige, der nicht nach Rom führt?). Über Sinn und Unfug von konzertanten Opern-Aufführungen lässt sich ja ggf. ernsthaft debattieren, nicht aber über schülertheaternde Bedienung einer großen Bühne mit etwas „Semiszenischem“ (wobei so manche gymnasiale Oberstufe Theateraufführungen zu Wege bringt, an denen sich das Theater des Intendanten Geyer in Bezug auf die Mozart-Lieblinge mehrere Scheiben abschneiden könnte).

Kurz: Die zentrale und alle drei Stücke verbindende Bildidee war eine Bildergalerie – die Konterfeis der Sänger schmücken allemal die Rückwand der Bühne. Davor wird gesungen, wie eben sich selbst überlassene oder nur marginal angeleitete SängerInnen so singen, dabei aber auch gegebenenfalls den Notenständer umwerfen oder sich Blut aufs Hemd drücken. Den pummeligen Ruben Drole hat das Alleingelassensein besonders hart getroffen. Er gibt den Leporello als Tölpel, während Mika Kares in der Doppelrolle als Komtur und Masetto eher die Figur eines stolzen Proletariers abgibt, jedenfalls weder die eines Regierungs-Repräsentanten noch die eines vom Aristokraten übertölpelten Bauern. Christine Schäfers Donna-Anna-Stimme bewegte sich nicht auf gewohnter Höhe. Mari Eriksmoen als Bauernbraut Zerlina und Maite Beaumont als dauerfrustrierte Donna Elvira verstanden jedoch ebenso zu überzeugen wie André Schuen in der Titelpartie. Mauro Peter als der ewig ungeliebte Don Ottavio war ziemliche Spitzenklasse.

Harnoncurzschluss

Allerliebst war die Idee, dass die TheatergängerInnen sich selbstklebende Bilder der Solisten ins Hefterl heften können – wie in Kindertagen die Visagen von Fußballheroen oder andere Tauschbildchen. Mag sein, dass sich Harnoncourt mit dieser Trilogie ein „rein musikalisches“ Denkmal setzen wollte und setzt (es wurde ja in jeder medialen Form aufgezeichnet). Dem Musiktheater hat er mit seiner Eigensinnigkeit einen Bärendienst erwiesen: Das radikale Kürettieren der Bühnenhandlung folgte keiner höheren Bestimmung und tieferen Logik, sondern einem bornierten Musik-Wollen. Freilich soll nicht verkannt werden, dass durch die Abkehr von den historischen wie den aktuellen Intentionen von Musiktheater – von den bewegungsbedingten Tempi bis zum Temperament der Szene – eine Verfremdung entstand, die etwas Neues eigener Art kreierte: Basierend auf dem Harnoncurzschluss, dass die Konzentration auf die dramatische Musik dieser in entdramatisiertem Kontext gut tue. Warum realisierte der Meister seine didaktischen Absichten nicht mit drei Mozart-Sinfonien (unter denen es doch einige respektable gibt!), sondern ausgerechnet mit Arbeiten, die die Bühne brauchen wie die Luft zum Atmen? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt …

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