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Sabine Sonntag: „Seht ihr´s Freunde?“ Wagners Tristan und Isolde im Film Königshausen & Neumann 2015. 176 S., ISBN: 978-3-8260-5734-2
Sabine Sonntag: „Seht ihr´s Freunde?“ Wagners Tristan und Isolde im Film Königshausen & Neumann 2015. 176 S., ISBN: 978-3-8260-5734-2
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„Seht ihr´s Freunde?“ Wagners Tristan und Isolde im Film. Eine Publikation von Sabine Sonntag

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Es gibt weit mehr Filme, in denen Musik aus Wagners „opus summum“ (Nietzsche) verwen­det wurde, als man denkt. Sabine Sonntag hat sich die Mühe gemacht, dem nachzugehen und gibt einen Überblick über 100 Jahre Filmgeschichte. Sie kommt immerhin auf rund 100 Strei­fen, die in einer angehängten Filmographie präzise aufgelistet sind, samt Themen- und Gat­tungszuordnung, die von „erotischem Thriller“ über „Gesellschaftskomödie“, „König-Lud­wig-Biografie“, und „Kriminalistisches Psychodrama“ bis zu „Politsatire“ und „Pornofilm­regisseur“ reichen.

Es wird unterschieden zwischen Filmen, „bei denen Wagner entweder überhaupt keine Rolle oder nichts außer Wagner eine Rolle spielt“. Im Zentrum der Untersuchung liegen „all jene Filme, die primär weder mit der Tristan-Legende noch mit der Tristan-Musik zu tun haben.“ Es gibt ohnehin nur eine Verfilmung von Tristan und Isolde, den belgischen Opernfilm von Pierre Dufranne und Michel Vivane aus dem Jahre 1970, im Studio und open-air gefilmt. Kein Wunder, das Wagnersche Musikdrama weist ein Minimum an äußerer Handlung, wenn auch ein Maximum an innerer auf und ist kaum fernsehtauglich.

Auch die „arthurianische Filmwelt“, mit ihren unzähligen Verfilmungen um King Arthur, Merlin und Lanzelot, kommt fast gänzlich ohne Wagnersche Musik aus. Selbst für den britischen „Tristan and Isolde“-Film, auch unter dem Titel Lovespell, von Tom Donovan (1979-81) gilt das. Der einzige Artus-Film, der „extensiv Musik Wagners nutzt“ ist John Boormans Excalibur (1981), der durch Wagnersche Musik seine „akustische Magie“ erhalte.

Ein Spezialfall sind (neben Abfilmungen oder Fernsehübertragungen von Opernaufführungen, die aber außen vor bleiben) biographischen Filme, die von William Wauers und Carl Froe­lichs Richard Wagner (1913) über Viscontis und Syberbergs König-Ludwig-Filme bis zu Der Wagner-Clan (2013) von Christiane Balthasar reichen. In Ihnen wird meist Richard Wagners und Mathilde Wesendoncks Liebesaffäre in Tristan und Isolde-Musik gespiegelt, um eine „Aufweichung von Tabus“ zu beglaubigen, was vom „züchtigen Händchenhalten in voller Bekleidung (Richard Wagner, 1913) bis zur homoerotischen Bettszene Siegfried Wagners (Der Wagner-Clan, 2013) reicht.

Lars von Triers Melancholia (2011), ein umstrittener Film, den die Autorin offenbar be­sonders bewundert, sie nennt ihn ein „apokalptisches Weltendspiel“, gilt für sie als Para­debeispiel der irrealen Verwendung von Tristan-Musik, so wie sie Buñuel als Meister der surrealen Verwendung von Tristan-Musik feiert, zumal in seinem Film L´age d´or (1930), oder in Un chien andalou (1929) wo eine Regieanweisung an den Schauspieler Pierre Batcheff gelautet habe: „Schau aus dem Fenster als ob Du Wagner hörst“. Nicht zu reden von Louis Malles Film Blackmoon (1975), wo zwei Kinderstimmen das Liebesduett aus dem Tristan singen.

Das amüsanteste Kapitel des Buches ist „Freudejauchzen1 Lustentzücken!“ überschrieben (alle Kapitel sind mit Tristan-Zitaten betitelt). Darin geht es um Ironie, Satire und Comedy. Die parodistische Verwendung von Musik aus Tristan und Isolde und spannt einen Bogen von George Sidneys Holiday in Mexico (1946) über Billy Wilders Love in the afternoon (1957) , Ian MacNoughtons Monty Python´s Flying Circus und Seduced Mikman (1969/1971) bis zu Richard Lesters Royal flash (1975), in dem sich eine beleibte Isolde-Sängerin und die könig­liche Mätresse Lola Montez im Getreidefeld duellieren, weil Flashman, der während einer Vorstellung auf der Seitenbühne einer Tristan-Aufführung mit der Montez Liebesspiele trieb, danach „wie einer der Marx-Brothers“ über die Bühne rannte und die die Kulissen zum Absturz brachte.

Natürlich fehlen in Sonntags Buch auch nicht jene Filme, in denen Tristan und Isolde „als Marker für das Dritte Reich“ verwendet werden, etwa Luchino Viscontis La caduta degli dei aus dem Jahre 1969, in dem der „Liebestod“ zum Kneipensong verkommt oder David Setzers Shing Through (1992), wo eine gefilmte Tristan-Bühnenszene vor hochrangigen SS-Leuten vorgeführt wird, um das weitverbreitete Vorurteil Wagner=Hitler einmal mehr zu bestätigen. Besonders befremdlich ist die Verwendung von Wagners Musik als Soundtrack zu einem bestialischen Mord in Bryan Singers Film Abt Pupil (Der Musterschüler) von 1998, in dem ein SS-Mann von seinen Taten im Dritten Reich berichtet.

Auch die musikdramaturgische Verwendung von Tristan-Musik in Kriminalfilmen, von Wal­ter Fordes The gaunt stranger (1938) über Sarah Hellings´ Sherlock Holmes: The red circle (1994) bis zu einem Tatort Alexander Adolfs Der Sanfte Tod (2014) wird dokumentiert.

„Ertrinken, versinken – unbewusst, höchste Lust“ ist das letzte Kapitel überschrieben, das 19 Filme beschreibt, die mit Wagners Liebestod operieren, zumal wenn es um Wasser oder/und um Suizid aus Liebe geht. Der „Liebestod“ ist das in Filmen meistverwendete Musikstück aus dem Tristan. Exemplarisch für diese Filme sei nur Jean Negeluscos Humoresque (1946) ge­nannt, in dem Joan Crawford Selbstmord im Wasser begeht, während eine geniale Bearbei­tung von Isoldes „Liebestod“ als Doppelkonzert für Violine und Klavier aus der Feder Franz Waxmans erklingt. Er ist der einzige Filmkomponist übrigens, der kreativ mit Wagners Tristan-Musikvorlage umzugehen verstand. Einmal abgesehen von Giuseppe Becce, der aus urheberrechtlichen Gründen für den ersten Wagner-Film der Geschichte (1913) Musik schrei­ben mußte, die nach Wagner klingt, aber juristisch nicht belangt werden konnte, weil sie ausreichende Veränderungen an den Originalpartituren vorgenommen hatte.

Sabine Sonntags Buch ist ohne Frage eine beachtliche Fleißarbeit, hochinteressant, weil sie alle Filme, die Tristan-Musik verwenden, genauestens analysiert und beschreibt, auch die Verfilmungen der alten Legende in modernem Gewand, wie etwa die Filme L´éternel retour (1943) von Jean Delannoy nach dem Drehbuch von Jean Cocteau, „der Film-Tristan des 20. Jahrhunderts“ oder den Film A Promis (2013) von Patrice Leconte, der „deutliche Züge der Tristan-Konstellation „ trage.

Die Autorin möchte „im Tristan-Jahr 2015“ mit ihrem Buch eine Anregung geben, die „viel­beschworene These von Wagner als dem Erfinder der Filmmusik neu zu befragen“. Ihr Buch beantwortet diese Frage allerdings eindeutig, ohne dass Fragen offen bleiben: Tristan-Musik ist alles andere als Filmmusik. Sie wird lediglich zitathaft in Filmen benutzt, „erstaunlich homogen“, weil kein einziger darunter ist, der bei aller verschiedenartiger Verwendung „die intendierte Beschriftung der Musik von Vorspiel und Liebestod mit unstillbarer Sehnsucht, Todesbereitschaft und Ekstase negiert oder konterkariert hätte.“

Sabine Sonntag: „Seht ihr´s Freunde?“ Wagners Tristan und Isolde im Film
Königshausen & Neumann 2015. 176 S., ISBN: 978-3-8260-5734-2

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