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Theatralische Wissenschaftsproblematik: „Galileo Galilei“ von Philip Glass in der Münchner Reaktorhalle

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Bio-Waffen, Neutronenbombe, Gen-Technik und Klon-Tiere wie –Menschen – darf der Mensch auch alles ausführen, was er erfindet? Diese Problematik großer Wissenschaftserfindungen ist brandaktuell. Sie hat 2001 Philip Glass zu einem kleinen Musiktheaterwerk in zehn Szenen inspiriert, in dem er dies an der Person Galileo Galileis abhandelt: den alle damalige Weltvorstellungen umstürzenden Umbruch vom geo- zum heliozentrischen Weltbild.

Galilei reflektiert dabei, angeregt durch Alpträume und die Erinnerung an seine tote Tochter, ob er nicht alles rückgängig denken und machen könnte. Doch das war dem jungen Bühnenteam aus Studenten der Bayerischen Theaterakademie nicht genug: zwischen die Musikszenen montierten sie auch ihnen passend erscheinende Textpassagen aus Heinar Kipphardts Schauspiel „In der Sache J. Robert Oppenheimer“, der nach der Entwicklung der Atombombe die Weiterarbeit an der Wasserstoffbombe ablehnte. Während Galilei von der katholischen Inquisition die Folterwerkzeuge gezeigt bekam und dann widerrief, wurde Oppenheimer von einem Untersuchungsausschuss peinlich befragt und kommunistischer Umtriebe verdächtigt.

Doch Regisseur Manuel Schmitt und Dramaturgin Nele Winter übersahen einen fundamentalen Unterschied: Galileis neues Weltbild provozierte eine sich Allwissenheit anmaßende Kirche und reaktionäre Geister ohne Folgen für die Weltbevölkerung, „die Bombe“ könnte die ganze Welt zerstören. Da ist also nichts „ähnlich“ oder gar gleichzusetzen. So thematisch passend also die Reaktorhalle an der TU München als Spielort war, so akzeptabel Evelin Arwecks Einheitsbühnenbild mit einer riesigen Satellitenschüssel, aus der sich Urknall-ähnlich weiße Holzplanken wie Sternenbahnen radial ausbreiteten: Schmitts immer wieder stilisierte Personenführung und zuviel Kletterei in der Schüssel machten das Ganze mal blutleer, mal nur „umständlich“ wirkend. Dass der Galilei-Sänger dann auch mal in Gurten kopfüber hängen und singen musste, blieb purer Aktionismus.

Die Video-Projektionen vom Hiroshima-Flug über Atomexplosionen bis zu kryptischen Zeichen blieben äußerliche Zutat. Sollte Schmitt nicht besser zeigen, dass er die Intimität der Vater-Tochter-Szene, dass er die intellektuelle Wertschätzung Kardinal Barberinis zu Galilei in hochdifferenzierter Personenregie gestalten kann? Mit der Projektion des Satzes „Kein Fehler im System“, der dann per Zufallsgenerator in sinnentleerte Buchstaben- und Wortkombinationen zerhackstückt wurde, sollte wohl noch die Anfälligkeit aller Cyberwarsysteme gleich mit abgehandelt werden – doch hat das nicht der „War Games“-Computer ein für alle mal populär gemacht mit dem Satz „Strange game: the only winning move is not to play – Seltsames Spiel: der einzig richtige Zug ist nicht zu spielen“?

So blieb die Freude an der ersten Begegnung mit Philip Glass’ Musik. Unter Johannes Schachtners Leitung machten zehn Instrumentalisten der Musikhochschule in den flirrenden Wiederholungen der Minimal-Akkorde und -Sequenzen das Kreisen der Gedanken sinnfällig hörbar. Musical-Student Philip Büttner brauchte zwar Microport-Unterstützung für die vokalen Attacken des geplagten Galilei, während um ihn herum drei weibliche und drei männliche Operngesang-Studenten mit ihren natürlichen Stimmen in wechselnden Rollen beeindruckten. Wäre dazu noch sinnfälliges Spiel und kantige Charakterzeichnung gekommen, wäre es ein runder Musik-Theater-Abend geworden. Dennoch war der Beifall ungetrübt.

Weitere Vorstellung: 16. Mai 2013, 20 Uhr

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