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Peter Grimes am Theater Bremen. Foto: Theater Bremen
Peter Grimes am Theater Bremen. Foto: Theater Bremen
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Tödliche Albträume – „Peter Grimes“ von Benjamin Britten am Theater Bremen

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Es gelingt dem Fischer Peter Grimes nicht, irgendeine Kommunikation zu den Mitbewohnern seines Dorfes am Meer in Suffolk herzustellen. Und weil er so eigenartig ist, steht er zweimal unter Verdacht, seine Lehrlinge – Kinder aus dem Armenhaus – ermordet zu haben. In der Oper von Benjamin Britten wird nicht gesagt, ob das stimmt, aber der drohenden Lynchjustiz kann er nur entgehen, indem er sich umbringt – weit draußen auf dem Meer lässt er sein Boot absichtlich kentern.

Brittens 1945 uraufgeführte Musik – und seine erste und erfolgreichste Oper – wartet dabei auf mit einer Fülle von Dramatik und sensibel-irrealen Orchesterfarben, die ihr Weltrepertoireniveau in der der Zwölftonmusik sich verweigernden auch teilweise tonalen und diatonischen Sprache beweisen. Sie weisen tief ins Unterbewusstsein oder kommen aus ihm heraus.

Eine realistische, pittoresk-düstere Handlung – um 1830 nach der Erzählung von George Crabbe – ist das in der Bremer Spielzeitpremiere natürlich nicht, aber durch die Abstraktion, die der zum ersten Mal in Bremen arbeitende Marco Štorman der Story angedeihen lässt, kommt das genau überstark zurück: alles wird aus der seine Träume verdrängenden Perspektive Grimes‘ erzählt, aus seinen bedrohlichen Ängsten vor dieser Gesellschaft, die ihm albtraumartig zusetzen.

So haben alle im Dorf dieselben Klamotten, so eine Art Internatskleidung mit grell-weißen Gesichtern und Haaren, und so spricht Grimes gar nicht wirklich mit der Frau, die er eigentlich liebt, aber auch das nicht leben kann, sondern deren Dialog entwickelt sich im Haus von Grimes in zwei Stockwerken. Unwirkliche Geister allesamt: der Apotheker Ned Keene, der Drogen verteilt, ist eine orangefarbene Commedia dell'Arte-Figur. Mrs. Sedley, die die Gerüchte um die Ermordung des zweiten Jungen schürt, rast wie von der Tarantel gestochen zwischen den Dörflern hin und her, der Grimes zugetane alte Kapitän Balstrode ereifert sich zusammenhanglos. Weitere Figuren werden mit parodistischer Komik und Absurdität versehen wie der Pfarrer oder auch der Bürgermeister Swallow. Dieser von allen glänzend präzise gespielte Ansatz wird kongenial unterstützt von der Bühne (Anna Rudolph und Dominik Steinmann) und den überzeugend weiterführenden Videos von Max Görgen und Roman Kuskowski: ergreifend das Bild, in dem Peter in seinem verbrennenden Haus steht. Ergreifend auch das Schlussbild, in dem von weit her, progromartig immer größer werdend, noch einmal die bigotten Menschen des ganzen Dorfes sich über ihm zusammenbrauen: „Wer sich absondert, bekommt eins drauf“.

Am stärksten wirkt die Vervierfachung des Jungen, die geheimnisvoll lächelnden Kinder in denselben Kleidern wie Grimes scheinen sein Gewissen zu sein. Als Grimes seinen letzten großen Verzweiflungsmonolog (mit allen stimmlichen Facetten ausgestattet als Gast Will Hartmann), ist ein greller Spot ins Publikum gerichtet: wir sind mitschuldig an dem Selbstmord des Außenseiters. Überragende Dramatik in der Nachbildung des Meeres und subtile seelische Atmosphären im Philharmonischen Orchester unter Markus Poschner, besonders in denen zu Recht so berühmten Zwischenspielen. Einen besseren Spielzeiteinstand kann man sich kaum vorstellen.

  • Die nächsten Aufführungen: 12., 18., 26.11., 20.12 2015 und 4.2. 2016

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