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Yael Schnell, Joel Suárez Gómez, Vocalconsort Berlin. Foto: © Monika Rittershaus
Yael Schnell, Joel Suárez Gómez, Vocalconsort Berlin. Foto: © Monika Rittershaus
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Turbulenz ohne Tiefgang – Monteverdis „Orfeo“ an der Staatsoper Berlin

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Eigentlich ist Claudio Monteverdis Oper nur ein Vorwand. Sasha Waltz hat sie gar nicht nötig und ist in ihren Bildfindungen besser, wenn die Musik schweigt, wie nach der Pause, wo die Tänzer mit trockenen Büschen vor einer lichten Wolke agieren und es sehr lange dauert, bis das Orchester zum vierten Akt einsetzt.

Peinlich jedoch, dass auf der Seitenbühne ein Techniker währenddessen einem Kollegen in normaler Sprechlautstärke seine Schmonzetten erzählt. Dass dies bei einem späteren Tacet erneut passiert, spricht nicht gerade für kollegiales Bewusstsein am Schillertheater, wo Derartiges zu Zeiten der Sprechbühne undenkbar gewesen wäre.

Danach, um im selben Akt zu bleiben, fasziniert ein Pas de Deux, bei dem die Dame um Rücken und Bauch des stehenden Mannes kriecht. Das hat man oft gesehen, aber die Besonderheit ist, dass die Beiden dabei singen, denn es sind Luciana Mancini, die als Proserpina ihren standfesten Ehemann Plutone, Konstantin Wolff, becirct, ganz gegen die Gepflogenheit der Unterwelt, dem Bitten Orfeos statt zu geben und Eurydike wieder gehen zu lassen.

Kenner der verschiedenen Formen des Orpheus-Mythos in Geschichte und Sage können im fünften Akt, wenn Orpheus von vier Damen getragen und auf rechts neben die Spielfläche geworfen wird, ableiten, dass die thrakischen Frauen den Sänger und Mystagogen zerrissen und ins Meer geworfen haben, da dieser nach dem Verlust seiner Gattin bei den Thrakern die Knabenliebe eingeführt hatte. Sein immer noch singendes Haupt wurde dann an die Insel Lesbos geschwemmt und von Sappho als Priesterin des Orpheus-Kultes verehrt.

Varianten des Mythos

Alessandro Striggios Libretto zu Monteverdis Oper aber folgt einer anderen Version des Mythos, wonach Apollon den Sänger und seine Lyra an den Sternenhimmel versetzt hat. Diese Steigerung allerdings bleibt in Sasha Waltz’ „choreographischer Oper“ szenisch völlig ungelöst: der Sängerdarsteller des Sonnengottes (Julián Millán) singt im braunen Kostüm auf der Seite des ersten Ranges, dabei sind Inszenierung und Choreographie sowie Szenerie (Alexander Schwarz) mit ihren Mitteln bereits am Ende.

Am Anfang war eine massive Holzwand von der Horizontalen in die Vertikale gekippt worden, dahinter eine weitere Holzwand mit Drehtüren vor einer Videoprojektionsfläche mit realistischem Wald für die Welt der Hirten.

In der 1607 uraufgeführten Favola in Musica in einem Prolog und fünf Akten wendet sich Orpheus – entgegen dem Gebot, sich nicht umzusehen – nicht, wie später bei Gluck, zu Eurydike um, da seine Gattin ihn psychologisch dazu motiviert, sondern wegen „Lärm hinter dem Vorhang“, hier dem Einsatz von Blitz- und Donnerblech.

Die Regie führende Choreographin sorgt für Turbulenz ohne Tiefgang und liefert keinen Deutungsansatz des Mythos im Lichte unserer Erkenntnis. Wenn von Trauer die Rede ist, zieht das Ensemble Tissues hervor, wedelt damit, wirft sie in die Luft und fängt sie wieder auf. Die tote Eurydike wird durch die erste Saaltüre des Auditoriums herausgetragen. Eifrig wird mit der Fährmannsstange des Caronte (Douglas Williams) agiert, daneben stehen selbstische Aktionen, etwa von vier Damen mit Wassergläsern, die sie einer Fünften, Durstigen, vorenthalten und schließlich über ihr ausgießen oder Witzchen, wenn einem Sänger beim Singen der Mund zugehalten wird.

Rangordnung

Das Programmheft, das ab Seite 5 alle Beteiligten der durch Mittel der Lottostiftung, der Kulturstiftung des Bundes und durch den Hauptstadtkulturfonds geförderten, aufwändigen Produktion aufführt, nennt in der Rangordnung die Choreographin vor dem Komponisten.

Dennoch ist es die Musik dieser frühen und ersten komplett erhaltenen Oper des Orpheus-Stoffes, die den Besucher primär in den Bann schlägt. Das 24-köpfige Freiburger Barockconsort unter der Leitung von Torsten Johann, zu beiden Seiten der hölzernen Spielfläche positioniert, mischt sich trefflich mit den 17 Sängern des Vocalconsorts Berlin, bildet das Fundament für den klanglichen Kosmos zwischen unbeschwerter Hirtenwelt, Hölle und Firmament. Im finalen Ritornell mischen sich die Instrumentalisten (bis auf die Spieler von Cello, Harfe, Cembalo) hupfend unter die Sänger und Tänzer.

Großartig in gesanglicher Leistung, Körperbeherrschung und tänzerischer Beweglichkeit die Gesangssolisten: Georg Nigl in der Titelrolle, Anna Lucia Richter als Euridice und La Musica im Prolog, sowie Charlotte Hellekant als Messaggiera und La Speranza.

Auf den Eintrittskarten ist die letzte Staatsopern-Premiere dieser Spielzeit als „Gastspiel“ ausgewiesen. Tatsächlich gingen den fünf Abenden in Berlin Aufführungen in Amsterdam, Luxemburg, Bergen und Baden-Baden voraus.

Wohl aufgrund des extrem heißen Sommertages wurden vor Beginn der Oper auf den Stufen ins Schillertheater noch erstaunlich viele Karten privat zum Verkauf angeboten. Das sommerlich leger gekleidete, balettomane Premierenpublikum dankte der Choreographin, ihren zehn Tänzer*innen der Compagnie Sasha Waltz & Guests mit popkonzertartigem Begeisterungsgejohle.

  • Weitere Vorstellungen: 2., 3., 5. und 6. Juli 2015.

 

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