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Regisseur Wiedermann. Foto: Hufner
Regisseur Wiedermann. Foto: Hufner
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Volkstribun als Ringvorlesung – Wagners „Rienzi“ in München

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Um die Machtstrukturen in Wagners Romantischer Oper zu exemplifizieren, verlegte Peter Konwitschny die Handlung des „Lohengrin“ an der Hamburgischen Staatsoper in ein Klassenzimmer. Andreas Wiedermann wählte mit seinem freien Ensemble Opera Incognita für Wagners Große tragische Oper „Rienzi“ gleich einen Hörsaal an der Münchner Universität als Originalschauplatz.

In den ersten sechs Reihen besuchen Student*innen unterschiedlichen Alters eine Ringvorlesung zum Thema „Demokratie oder Demagogie – schlägt Europas Herz rechts?“. Da die Ouvertüre bereits läuft, tun sie dies lautlos, aber ihre Diskussionen mit einem fiktiven Professor Dr. Eicheder, der an diesem Tag zum Überfluss auch noch Geburtstag hat, sind als Übertitel mitzulesen.

Einer der Studenten schlüpft unter Anleitung des Professors in die Rolle des Rienzi, seine Freundin, der er liebevoll den Rücken massiert, wird zu seiner geliebten Schwester Irene, die Herren setzen als Nobili Strohhüte auf, und der Professor übernimmt selbst den Part des Orsini. Doch er bleibt der Dozierende und als solcher so etwas wie ein Überregisseur mit Wagner-Klavierauszug, Laptop und Overhead-Folien.

Chorisch ausgeführt werden die Partien der römischen Bürger Cecco und Baroncelli, auch auf einen Solisten für den Kardinal wird verzichtet, dessen Partie übernehmen die Frauen oktavierend und setzen sich für dessen Einsätze rote Kardinalskäppis auf.

Immer wenn längere Zwischenspiele erfolgen, findet die Lehrveranstaltung stumm aber wortreich ihre Fortsetzung. Die Szenen konterkariert der Professor mit der Projektion assoziierender Beispiele, vom Fußballspiel bis zu Flüchtlingsströmen     , oder er reicht Irene ein Tissue zum Trocknen ihrer Tränen.

Weltraumballaden mittendrin

Die Studierenden werfen als Volk jubelnd ihre Rucksäcke in die Luft, sie schunkeln zu Rienzis Freiheitsschwur und halten ihren Eid, rund um Rienzi mit Selfies fest. Im besten Sinne studentisch improvisiert, mit weißen Heftblättern an Stiften, sind die Fähnchen der Friedensboten. Projektionen schlagen den Bogen heiler Welten von den 50er-Jahren der BRD über Bilder des sozialistischen Realismus zur Berliner Olympiade von 1936; Rienzi gibt Autogramme auf Europakarten und die Herren lassen dazu Kerzen auf den Displays ihrer Handys flackern.

Orsini reicht dem Rienzi als Friedensgruß eine Brezel, akzentuierende Faustschläge der Nobili treffen Bänke und Tafel. Manchmal geht den Darstellern beim Spiel im Spiel der Gaul durch, der Professor steigt aus seiner Rolle und klebt dann dem auch von ihm selbst getretenen Adriano ein Pflaster auf die Stirne.

Fürs Fest haben sich die Römer weiße Papierhütchen gebastelt; statt zur Ballett-Darbietung sind alle zu einer Filmvorführung geladen: der Waffentanz als eine Collage asiatischer Heer-Aufzüge, kombiniert mit dem „Herrn der Ringe“ und Weltraumballaden; das Publikum lacht über die – als einzige musikalische Fremdzelle an diesem Abend –  hineingeflochtene Kampffanfare aus dem „Krieg der Sterne“.

Orsinis Attentat auf Rienzi mit einem Wasserspritz-MG misslingt, die Nobili sollen hingerichtet werden und bekommen von einem Choristen heftige Schläge mit dessen Handschuh auf den Rücken. Dann wird das Publikum mit roten und blauen Zetteln zur demokratischen Abstimmung über Tod oder Leben der Nobili ins Spiel integriert, das führt zur Begnadigung von Orsini und Colonna. Dankbar verteilt Rienzi Gummifrüchte ans Publikum.

Eine Polonaise Blankenese des Volkes schließt sich an, Bierflaschen werden verteilt und zum Schlussakkord des zweiten Aktes erfolgt das Öffnen und nach dem ersten Schluck ein kollektives „Aaah!“

Aber noch ist nach diesem Akt, der im Uraufführungsjahr in Dresden als eigener Opernabend, „Rienzis Größe“ gezeigt wurde, noch nicht Pause. Die erfolgt erst nach Adrianos großer Arie im dritten Akt. Zuvor der Aufruf zum Krieg und szenische Wehrertüchtigung mit Trillerpfiffen des Professors.

Nach der Publikumspause, zur ausgedehnten musikalischen Schilderung des Kampfgewühls vor den Toren Roms, verspeisen die Studis mit ihrem Professor dessen Geburtstagskuchen. Die von ihm oben und unten gemusterten Männer reiten „Santo spirito cavaliere“ auf den Bänken. Die Kämpfer sind vermummt, und nach der Schlacht ziehen die Frauen den Überlebenden die Hemden aus, und die singen dann in Brekerschen Siegerposen. Vor dem vierten Akt verteilt der Professor ein Testat an Alle im Hörsaal; zu beantworten sind so originelle Fragen, wie seit welchem Jahr in Bayreuth alljährlich Festspiele stattfinden (korrekt: seit 1951).

12-Punkte-Plan

Rienzi sucht den Unmut des Volkes über die vielen Gefallenen mit der Projektion eines 12-Punkte-Plans „Vorwärts Europa“ zu beschwichtigen, der Populismen wie die Einführung der 35-Stunden-Woche, bedingungsloses Grundeinkommen, die Reichensteuer und – während auf dem Gang vor dem Hörsaal der Mönchschor seinen Bannspruch „Vae, vae tibi maledicto“ hallen lässt – die Umlage der Kirchensteuer beinhaltet. Auch Raimondos deutscher Bannspruch wird von den Herren chorisch ausgeführt. Die Mönche zerschneiden eine von Rienzis Heilsverkündigungsfolien, Rienzi küsst seine Schwester Irene leidenschaftlich auf den Mund und Irene ohrfeigt dann Adriano – nicht ohne Rüge vom Professor. Der argumentiert seinen Studierenden gegenüber damit, dass man getrost weiter auf Rienzi bauen solle, aber „Visionen benötigen ein realpolitisches Fundament“. Zu Rienzis berühmtem Gebet werden Politiker-Gesten als (pervertierte) Gebetshaltungen umgedeutet, von Hitler und Stalin über Mao, Churchill, de Gaulle, Castro, Kennedy, Nixon, Thatcher, Putin, Obama und Trump, bis hin zu Angela Merkels berühmt gewordener Fingerkuppenhaltung.

Das in dieser Produktion glücklicherweise einmal nicht dem Strich zum Opfer gefallene, inzestuös verbrämte große Duett zwischen Rienzi und Irene erfährt seine Deutung durch einen Spruch auf der Tafel mit dem EU-Motto „In Vielfalt geeint“. Adrianos letzten Versuch, Irene für sich zu gewinnen, deutet Regisseur Wiedermann radikal um: Adriano zeigt der ihren Bruder leidenschaftlich liebenden Irene eindeutig degoutante Handyschnappschüsse von Rienzi mit anderen Frauen. Im höchsten Grade eifersüchtig und entsetzt, sagt sich Irene – mit den im Original Adriano geltenden Worten – von ihrem Bruder los, bewirft ihn mit seinen Habseligkeiten und küsst Adriano. Doch mit ihrem letzten „frei bin ich!“ verkündet sie auch Adriano ihre neu gewonnene Freiheit jedermann gegenüber.

Das Volk steinigt Rienzi mit einer Unmenge von Papierbällen, während er seinen Fluch in der ursprünglichen Version schleudert (nicht in der häufig zu hörenden, von Cosima Wagner in ihrer verkürzten Fassung des „Rienzi“ eingesetzten Version der versprochenen Wiederkehr des Volkstribunen). Rienzis „vertilgt sei diese Stadt“ richtet sich nun unmissverständlich gegen Berlin, denn Rienzi leert einen Papierkorb über einem Modell des Reichstagsgebäudes in heutiger Form aus, und der Professor verändert das EU-Motto auf der Tafel zu „In Einfalt geeint“.

Die Texte sind bisweilen behutsam modifiziert, so wird etwa das Wort „Weiber“(wenn auch nicht konsequent) durch „Frauen“ ersetzt. Der Herren-Doppelchor des vierten Aktes ist hier aufgeteilt zwischen Herren und Damen. Neben dem Doppelchor der Nobili im ersten Akt und dem Chor aus dem Lateran fällt unter den Strichen substanziell in erster Linie Rienzis Kavatine „Ich liebte glühend meine hohe Braut“ ins Gewicht.

Aber der Tenor Anton Klotzner war nach Erkrankung von Alexander Schulz innerhalb einer Woche eingesprungen, und es ist erstaunlich, mit welcher Fülle an Kraftreserven er diese gefürchtete Partie meistert – auch wenn er so manchen Einsatz vergisst, Teile auslässt oder die Texte, in unseligen Angedenken an die Manier von René Kollo, nachdichtend ad absurdum führt.

Eine klug eingestrichene Aufführung

Die jungen Solisten an seiner Seite sind nicht weniger ausgezeichnet, insbesondere Carolin Ritter in der Hosenrolle des Adriano, die hier „eine lesbische Studentin“ (Wiedermann) sein soll. Lyrisch verkörpert Tanja Kuhn die Irene. Thorsten Petsch trägt die Konzeption der Doppelrolle von Orsini und Professor überzeugend. Und selbst die kleine Rolle des Friedensboten ist mit Inger Toril Narvesen großartig besetzt. Hinreißend in seiner Spielfreude und Stimmgebung ist der 35-köpfige Chor.

Der holzgetäfelte Hörsaal B 101 der Ludwig-Maximilians-Universität erweist sich auch in akustischer Hinsicht als ein optimaler Aufführungsort für diese raumgebundene Interpretation der Opera Incognita. Das nur 13-köpfige Orchester ist auf einem Podest des ansteigenden Auditoriums hinter den Zuschauern platziert.

Die durchwegs, auch in den Streichern solistisch besetzte Formation, deren erste Holzbläsereinsätze wenig Gutes versprachen, erwies sich bald als ein exquisit geführter, auf Raffungen und Dehnungen des Dirigenten Ernst Bartmann unmittelbar reagierender Klangkörper. Bartmann, der auch für die Fassung und das Arrangement verantwortlich zeichnet, ist eine klug eingestrichene Aufführung, eine der vollständigsten, die ich erleben durfte, zu verdanken. Bartmann hat seine Sängerschar und die Instrumentalisten fest im Griff, zieht die Tempi im zweiten Teil der dreieinviertelstündigen Aufführung bisweilen ungewohnt an.

Eine offenbar optimale langjährige Zusammenarbeit zwischen Dirigent und Regisseur trägt dieses musikalisch-szenische Ereignis, das am Premierenabend stürmische Ovationen erntete.

  • Weitere Vorstellungen: 3., 7., 9. und 10. September 2016

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