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CD Cover Debussy Opern
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Wenn der Teufel im Glockenturm steckt: Debussys komplettiertes Opern-Diptychon erstmals auf CD

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Zwei Opern nach Edgar Allan Poe hat Claude Debussy komponiert, jedoch nicht fertig gestellt: „La Chute de la Maison Usher“ und „Le Diable dans le Beffroi“. In der Orchestrierung und Rekonstruktion von Robert Orledge liegen beide nun erstmals gemeinsam auf CD vor.

Spätestens seit der späten Uraufführung von „Rodrigue et Chimène“, 1993 in Lyon und Kent Naganos CD-Einspielung dieser Oper hat sich der vordem auf Klavier-,  Orchesterwerken und der einzigen vollendeten Oper „Pelléas et Mélisande“ basierende Höreindruck des Komponisten Claude Debussy erweitert. Über die Maeterlinck-Oper hinaus begleiteten gut 30 Fragment gebliebene Opernprojekte das kurze Leben des französischen Impressionisten. Für das späte Hörerlebnis der unvollendet hinterlassenen Opern war jeweils der beherzte Zugriff von Bearbeitern erforderlich.

Glaubt man Lincoln–Baigent–Leigh („The Holy Blood and The Holy Grail“, 1982), so war Claude Debussy nicht nur Großmeister des Ordens Prieurè de Sion, sondern auch ein später Nachkomme aus jenem Geschlecht, das Jesus von Nazareth mit Maria Magdalena gezeugt haben soll. Im mystischen szenischen Oratorium „Le Martyre des Saint-Sébastien“ auf ein Libretto von Gabriele D’Annunzio, faszinierte den Komponisten vornehmlich die obskure Nachtseite  der Religion. Über dem Projekt der Umwandlung seiner Partitur mit esoterischer Klangsymbolik und dem (nur enharmonisch veränderten) „Tristan“-Akkord als Leitmotiv in eine vollgültige Oper, ist Debussy gestorben. Jene okkulte Nachtseite war es auch, die Debussy an Edgar Allan Poes Roman „The Fall of the House of Usher“ faszinierte und ihn zum Librettisten seines eigenen gleichnamigen Opernprojekts werden ließ.

Die von Juan Allende-Blin nach Debussys Skizzen orchestrierte Partitur des 1914 an seiner Krebserkrankung  gestorbenen Komponisten wurde 1977 vom Hessischen Rundfunk konzertant und anschließend an der Deutschen Oper Berlin szenisch uraufgeführt. Eine weitere komplettierte Fassung vom „Untergang des Hauses Usher“ stammt von William Harwood, Orchesterleiter der Yale University. Eine dritte Fassung, im Jahre 2006 bei den Bregenzer Festspielen uraufgeführt, erstellte der britische Musikforscher Robert Orledge. Diese – mit knapp 52 Minuten längste – Version liegt der Neueinspielung durch das Göttinger Symphonie Orchester zugrunde. Die Besonderheit der Veröffentlichung beim Label Pan Classics stellt jedoch die Koppelung der Oper „La Chute de la Maison Usher“ mit der ebenfalls von Orledge aufführbar gemachten Oper „Le Diable dans le Beffroi“ dar.

Der New Yorker Intendant Giulio Gatti-Casazza hatte gleich nach der amerikanischen Erstaufführung des „Pelléas“ eine Opernuraufführung bei Debussy in Auftrag gegeben. Über den Vertrag mit der MET hinaus verlangte der Komponist ausdrücklich die Koppelung seiner beiden Operneinakter als Diptychon, die „düstere Schwermut der einen“ mit dem „Hohngelächter der anderen“.  Der Abfolge von düsterer Tragödie und skurriler Teufelei lag dabei offenbar jener Rückbezug auf die Abfolge von Tragödie und Satyrspiel bei den Festspielen der Antike zugrunde, welchen auch Richard Wagner aufgegriffen hatte.

In seiner Konzeption für die Operndramatisierung von Edgar Allan Poes Stoff plante Debussy, den Teufel ausschließlich Geige spielen und pfeifen, den Chor singen zu lassen. In einem Brief an André Messager vom Juni 1902 betonte Debussy nachdrücklich seine Absicht, den Teufel zu entdämonisieren, „die Idee zu zerstören, dass der Teufel der böse Geist ist. Es ist einfach der Geist des Widerspruchs.“ Einen Teil seiner Musik zum „Teufel im Glockenturm“ hat Debussy auch für ein Klavierstück verwendet.

Wie Orledge aus den offenbar einzig erhaltenen drei Seiten Musik ohne Text aus dem Jahre 1903 eine komplette, gut halbstündige Oper zu formen vermocht hat, ist durchaus erstaunlich. Es spricht für das tiefe Einfühlungsvermögen dieses Musikologen und Praktikers in Debussys Skizzen, aus denen er zuvor schon die Ballette „No-ja-li ou Le Palais de Silence“, „Fêtes galantes“ und „La Soulaie“  aufführbar gemacht hat. Im Gegensatz zu „La Chute de la Maison Usher“, wo Debussy einige Instrumentierungsangaben und weitere Klangvorstellungen (insbesondere die Mischung der „schweren Töne der Oboe mit den harmonischen Geigen“) niedergelegt hat, fehlen solche Hinweise für „Le Diable dans le Beffroi“ ganz. Dass die für den Impressionismus scheinbar so wichtigen Klangfarben für Debussy selbst allerdings zweitrangig waren, hat der Komponist, welcher etwa sein Ballett „Khamma“ von Charles Koechlin orchestrieren ließ, mehrfach betont.

So gemahnt die Orchestrierung von Robert Orledge nur in der „Usher“-Oper an jene Klangfarben, wie sie der Hörer aus „Pelléas et Mélisande“ kennt. Beim „Teufel im Glockenturm“ mischt sich Skurrilität hoher Holzbläser – ähnlich wie in Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ – mit obszönen Tongebungen des Blechs.

Offenkundig wurde die Bearbeitung für Orledge durch die Tatsache erleichtert, dass das Libretto aus zwei dramaturgisch nahezu identischen Szenenabfolgen gebaut ist, welche auch musikalisch aufeinander Bezug nehmen:
In einem holländischen Dorf treffen sich die Bewohner jeweils mittags beim Glockenturm, um ihre Uhren zu stimmen. Aber diesmal schlägt die Glocke dreizehn Mal und aus dem Zifferblatt blickt ihnen der Teufel entgegen. Der Bürgermeister verlangt von Jean, dem Sohn des Glöckners, die Glocken zum Preise Gottes nochmals läuten zu lassen, aber sie klingen nun, als wären sie zerborsten. Der Teufel lacht unflätig und spielt mit der Glocken-Weise auf seiner Geige den Dorfbewohnern zum Tanz auf: er führt sie tanzend zu einem Kanal, über den er springt; doch bevor sie versuchen, es ihm gleich zu tun und unvermeidlich ins Wasser stürzen würden, wirft er den Bogen weg – und die Musik verstummt.

Nach einem kurzen Zwischenspiel trifft der Opernbesucher in einem Dorf in Italien auf dieselben handelnden Personen wie im ersten Teil, nun aber exzessiv zugespitzt. Ausgelassen tanzen die vom Teufel Besessenen Tarantella. Jean, der in die Tochter des Bürgermeisters verliebte Sohn des Glöckners, betet im Glockenturm und bricht den Fluch des Teufels, der in einem roten Blitz verschwindet. Beim Schlagen der Glocke kehrt Normalität ein – und Jean und Jeannette finden endlich zusammen.

Die Ersteinspielung der 2012 in Montreal Oper uraufgeführten Oper durch des Göttinger Symphonie Orchesters unter Christoph-Mathias Mueller überzeugt durch ihre Lebendigkeit. Der pantomimisch agierende und daher auf der Besetzungsliste fehlende Teufel ist zwar nicht mit seinem Höllengelächter, aber mit seinen Pfiffen und musikalisch auch sonst höchst präsent. Mit Tulpenwalzer und Polka sowie der Gigue des Teufels auf seiner Solo-Vioine (Natalie Kundirenko) im ersten, wie auch mit der Tarantella im zweiten Teil erhält das tänzerische Moment hohen Stellenwert.

Die Solopartien und der Chor sind hier bewusst schlicht besetzt, wie auch der unisono singende Kinderchor. Lin Lin Fan ist als die zur Weiblichkeit erwachende 16-jährige Jeannette glaubhaft (rollendeckend auch als Lady Madeline in „Usher“), der Charaktertenor Virgil Hartinger gefällt als skurriler Arzt (in „Usher“) besser denn in der lyrischen Partie des Jean. Über unterschiedliche Facetten stimmlicher Charakterisierung verfügt Eugene Villanueva als Bürgermeister und als Freund des dramatisch finsteren Roderick Usher, den William Dazeley im Löwenanteil der tragischen Oper eindrucksvoll charakterisiert.

Der Konzert-Live-Mitschnitt vom Dezember 2013, mit einem fast unhörbar einsetzenden vierzigsekündigen Vorspiel zum „Teufel im Glockenturm“ unverfälscht eingefangen, bedeutet eine diskografische Bereicherung.

Claude Debussy: „Le Diable dans le Beffroi“ und „La Chute de la Maison Usher“.
Eugene Villanueva (Le Bourgmestre/ L’ami de Roderick), Lin Lin Fan (Jeannette/Lady Madeleine), Michael Dries (Le Haut-sonneur), Vigil Hartinger (Jean/Le Médicin), William Dazeley (Roderick Usher); Kammerchor St. Jacobi Göttingen, Göttinger Symphonie Orchester, Christoph-Mathias Mueller. PANCLASSICS PC 10342 (2 CDs)

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