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Koma. Grafik: Hufner
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Wie schwarzes Sonnenlicht im Prisma – „Koma“ von Haas und Händl in Darmstadt

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Frieder Reininghaus hat in der nmz die Uraufführung von „Koma“ von Haas/Händl in Schwetzingen besprochen und kam zu dem Ergebnis, es zeichne sich ab, „dass dies die bedeutendste neue Produktion gewesen sein dürfte“ in der Saison 2015/16. Vom Rokoko-Theater Schwetzingens wanderte die Produktion ab ans Staatstheater Darmstadt und musste sich dort neu beweisen. Unser Rezensent ist begeistert zwiegespalten.

Bis ins Innerste politisch

Händl Klaus und Georg Friedrich Haas haben ein Musiktheaterwerk geschaffen, das um das Thema des Komas kreist. Hier ist es eine Frau, die sich nicht äußern kann oder wenigstens nur in einer Weise, die von außen kaum verständlich ist. Von außen versucht man gleichwohl, an diese Person, Michaela heißt sie hier, heranzukommen. Man kann nicht genau sagen in welcher Richtung die Kommunikation gestört ist. Die verschiedenen Positionen finden ihren gestalterischen Widerhall darin, dass gut die Hälfte des Stücks im kompletten Dunkel spielt. Andere Passagen sind halbdunkel oder halbhell, wenn sie im Differenten oder Eindeutigen spielen.

Nun kennt jeder die Erfahrung beim Hören von Musik, dass man das Dunkel selbst herstellen kann indem man die Augen schließt. Hier ist es anders: Man sitzt im Publikum kollektiv im Dunklen, in einem tatsächlich lichtlosen Raum, wo einem dann nur die Ohren, die Nase und die Haut zur Orientierung bleiben. Diese Sinnesstörung der Gesellschaft schließt das Publikum ein. Das ist bedrohlich und es ist künstlich. Aber es geht nicht um eine plumpe eins-zu-eins-Erfahrung, das wäre Trug und eine simplifizierende Analogiebildung. Dessen eingedenk wird die Frage aufgeworfen, wo man sich tatsächlich befindet. Und diese Frage ist essentiell, geht an die eigene Physis und die Psyche.

Spätestens hier kommt die Musik – wenn nicht sowieso früher – ins Spiel. Haas bereitet eine weitgehend athematische Musik zu, bestehend aus einem Zauber an Farben, die durch die Verwendung von Obertonreihen, transponierend eine harmonisch verschrobene Musik erzeugt, bei der der Grundton immer wieder alteriert wird um eben die jenseits der chromatischen Skala befindlichen Töne. Die Wirkung: Wie schwarze Sonnen die im Prisma gebrochen werden. Die musikalische Klangwelt, die Haas formt, ist von höchster Prätention. Die Zauberei der Musik ist jedoch geradezu verhext. Er suggeriert Halt auch dort, wo der Boden der Klänge wie Treibsand ist. Zwischendrin wieder auch mal homophone und homorhythmische Phasen. „Das Empfinden ist verändert“ und „Das Vertraute scheint unheimlich“ sagen die beiden Ärzte an eine Stelle.

Worum geht es in der Geschichte: Die im Stück im Koma liegende Person Michaela schwamm in einen See, kehrte jedoch um und rettete sich ans Ufer, wo sie jedoch ins Koma fiel. Der Körper machte nicht mit. Jetzt drehen sich Verwandte und Ärzte um sie, kümmern sich, wollen wecken. Aber der Körper der Michaela tut ihnen den Gefallen nicht. Nutzloses ärztliches Wissen, das an der Erweckung versagt auf der einen Seite, verzweifelte Verwandtschaft auf der anderen bis hin zum Todeswunsch. Die Reparaturmaschinen der Institutionen und der Menschen versagen vor dem „Eigenwillen“ der Erkrankung der Person, die zwischen Wahrnehmung und Ausdrucksunvermögen gefangen ist. „Wir schaffen das?“ Und es wird wieder dunkel. „Wir“ könnten es schaffen, aber sind wachen Auges im Schlaf. Das zunächst medizinisch-psychiatrische Problem offenbart das Versagen in der Kultur.

Bis zum Äußersten gesellschaftlich

Das „Koma“ von Händl Klaus und Georg-Friedrich Haas zeigt die Gesellschaft der Gegenwart, die genau beide Positionen auf sich vereinigt. Man muss zu den Gründen: Das Thema gäbe es nicht, wenn nicht Michaela in den See gegangen wäre. Die Situation hätte gelöst werden können. Das Stück spiegelt die Sprach- und Handlungsunfähigkeit des Ganzen wider indem es mit allen Agenten zugleich spielt: Mit der Musik, dem Gesang, dem Bühnenbild, dem Raum und mit der Handlung, die ja erstaunlich klar und geradezu eindeutig, ja, fast dokumentarisch diskursiv sein muss. Das macht es zu einem Musiktheater – aktuell. Ja, in einem eigentlich sehr romantischen Sinn. Die Musik beschwört Vergangenes, ist in ihren betörenden Aufwallungen dann wie bei Bergs Wozzeck in seiner Invention über den Ton ’h‘, raum- und körperausfüllend, reichert das alles aber noch an, reizend in beiderlei Bedeutung des Wortes bis an den Rand des Kitsches. Ebenso die Inszenierung. So sieht man ganz zu Beginn sich selbst als Publikum in den Bilderrahmen projiziert, bei dem Stück für Stück das Publikumskollektiv ausgelöscht wird und leere Sitzplätze übrigbleiben. Das Stück und seine Inszenierung sind reich an derartigen Metaphern, die geradewegs schlagend simpel wie effektiv sind.

Das alles wird musiziert von Musikern des Orchesters des Staatstheaters Darmstadt unter der Leitung Johannes Harneit. Man staunte nicht schlecht: a) wie souveräne die mikrotonale Anlage der Klänge zur Wiedergabe kamen und b) wie sich das alles in der der teilweise totalen Dunkelheit koordinieren ließ. Nicht minder zu bewerten die Leistungen der Sänger und Sprecher der Aufführung, angefangen von Daniel Gloger und Lini Gong bis hin zu Ruth Weber und Ekkehard Abele. Die Regie führte der Intendant des Hauses selbst. Karsten Wiegand im Zusammenspiel mit der Bühnenbildnerin Bärbl Hohmann. Sie fanden vielleicht nicht immer das richtige Bild für die Szenen. Distanz und Nähe zum rein medizinischen Fall wirkten etwas Unentschlossen. Tropf, Bilderrahmen, Station, Replik, Farbe. Diese Dimensionen mochten zu der reichhaltigen Musik und dem geradezu auf das Spröde reduzierten Text keine Dimension hinzufügen – neben Statik und naturalistischen Schauspiel. Eigentlich gelingt das nur richtig in den eingespielten Videobildern wie am Anfang oder dann gegen Ende mit den Regentropfen.

Oder doch nur Show?

„Tief sein und tief scheinen. – Wer sich tief weiß, bemüht sich um Klarheit; wer der Menge tief scheinen möchte, bemüht sich um Dunkelheit. Denn die Menge hält alles für tief, dessen Grund sie nicht sehen kann: sie ist so furchtsam und geht so ungern ins Wasser.“ Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft. DB Sonderband: 100 Werke der Philosophie, S. 32430.

Verschwiegen werden sollte aber auch nicht, dass eine Straffung des gesamten Materials der Oper wohlgetan hätte. So glitt sie immer wieder dann doch in Bewegung ohne Bewegtheit ab; keine himmlischen Längen sondern Versatzstücke aneinander. Und von dieser Seite aus könnte man auch genau eine umgekehrte Diagnose des Stückes wagen und beanspruchen. Dann fiele das Stück auf den Punkt des Pseudodokumentarischen zusammen, als musikalisches Nachmittagsprogramm für Kulturbeflissene und würde zu einem vielgetönten Operettchen werden dann; 17 bis 18 Uhr sat1 („Mein dunkles Geheimnis“ gefolgt von „Schicksale – und plötzlich war alles anders“). Freax allenthalben: Schummerig in die verstimmten Klangwolken von Haas eingelullt und in einfacher Sprache von Händl verpackt.

Pathologisch ist der Fall so oder so. Und damit in diesem Fall wohl auch beides: Wider- und Wiederspiegel des Lebens.

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