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John-Cage-Orgel
Kein neuer Klang bis 2020. Foto: John Cage Orgel Stiftung Halberstadt
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„Wir sind froh, dass etwas Ruhe einkehrt“: Neuer Klang an der Cage-Orgel in Halberstadt bleibt bis 2020

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Halberstadt (dpa) - So langsam wie möglich. In Halberstadt wird die Spielanweisung des amerikanischen Ausnahme-Komponisten John Cage (1912-1992) höchst ernst genommen. Schon seit zwölf Jahren erklingt hier sein Werk «ORGAN2/ASLSP» in einer unsanierten Kirche in Sachsen-Anhalt, die auch schon als Schweinestall diente.

Das Projekt, das weltweit Aufsehen erregt, steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Geplantes Ende der Aufführung: das Jahr 2640. Das heißt, niemand erlebt die Aufführung im Ganzen - anders als 1987 bei der Uraufführung, die eine knappe halbe Stunde dauerte und natürlich von einem Menschen gespielt wurde. In Halberstadt sind die Höhepunkte des 2001 begonnenen Projektes die etwa jährlichen Klangwechsel.

Jetzt steht eine Ruhephase bevor - soweit man das bei so viel Langsamkeit sagen kann: Am 5. Oktober wird der 13. Klangwechsel vollzogen sein - bis 2020 wird sich an dem Fünfklang aus den Basstönen c' und des' mit dis' ais' und e'' nichts ändern. In der kleinen Stadt am östlichen Rand des Harzes nimmt man es genau mit Cage.

«0,2 Sekunden der Uraufführung entsprechen bei uns einem Monat», erläutert Rainer O. Neugebauer von der John-Cage-Orgel-Stiftung Halberstadt. Der 59 Jahre alte Sozialwissenschaftler hat Cages Partitur penibel umgerechnet. Was heißt so langsam wie möglich? Das sei die Frage gewesen, die sich verschiedene Experten gestellt hätten, sagt Neugebauer. Ein Musiker muss mal aufs Klo, braucht Schlaf. Und ohne Musiker? Da lässt sich über Generationen hinaus denken. Die Grenze ist die Lebenszeit der Orgel. Und da 1361 in Halberstadt die erste Großorgel der Welt fertiggestellt wurde - bis zum Jahr 2000 waren es 639 Jahre - sollte genau dies die Dauer des Cage-Stückes sein.

Wer - wie jährlich rund 10 000 Menschen - in die Burchardikirche möchte, um dem aktuellen Cage-Klang zu lauschen, klingelt zuvor im Herrenhaus nebenan. Margot Dannenberg öffnet dann die Kirche. Tausende Besucher hat sie in mehr als zehn Jahren in die Kirche begleitet. «Die allermeisten sind erstmal ergriffen von dem rustikalen, alten Gemäuer.» Entlang von Güllerinnen, die noch von der Nutzung des Gebäudes als Schweinestall zeugen, folgen die Besucher dem Ursprung des dumpfen Grollens im Hintergrund - als Musik ist es nicht ohne weiteres zu erkennen.

Das kleine Instrument ist nicht auf Anhieb zu sehen. Erst nach mehreren Schritten erblicken die Besucher die Orgel, die speziell für diese Aufführung entstanden ist. Auf einem gelben Sockel ragt die Holzkonstruktion empor, darin die wenigen Orgelpfeifen. Der aktuelle Klang hat für Neugebauer etwas von Maschinenraum und Hamburger Hafen. Die Basstöne c' und des' wirken unterschiedlich - es genügt ein Schritt im Raum. «Das sind die bislang interessantesten Töne», meint Neugebauer. Dannenberg hat viele Besucher, die immer wiederkommen und das Projekt so verfolgen.

Beginn war im Jahr 2001. Damals wurde der elektrisch angetriebene Blasebalg angeworfen und es ging los mit einer Pause. «Pause bedeutet bei Cage die Anwesenheit aller unbeabsichtigten Töne», sagt Neugebauer, der sich über die Jahre zum Cage-Experten entwickelte. Die Vögel, die unter dem Dach der leerstehenden Kirche lebten, gehörten ebenso dazu, wie die Geräusche aus dem Steinmetz-Betrieb
nebenan. «Am besten ist es, wenn er Steine sägt. Das ist voll Cage-mäßig», sagt Neugebauer mit einem Schmunzeln. Soll man das alles ernst nehmen? «Natürlich ist das vollkommen gaga», sagt Neugebauer. Über das Projekt in Halberstadt hätten allerdings auch schon «The New York Times» und «The Wall Street Journal» berichtet.

Nun wird sich an dem Klang in der Burchardikirche sieben Jahre nichts ändern - Stillstand? Nein, sagt Neugebauer, jedes Jahr soll es Feste, einen Kompositionswettbewerb, Symposien oder andere Veranstaltungen geben. «Wir sind froh, dass etwas Ruhe einkehrt.» Schließlich werde das Projekt von Ehrenamtlichen getragen und mit Spenden finanziert. 20 000 bis 30 000 Euro seien etwa nötig pro Jahr, in die Stiftung seien seinerzeit umgerechnet rund 15 000 Euro geflossen. Die Musiker, die das Projekt begleiten, wollten gern eine richtige Orgel und nicht die schlichte Holz-Konstruktion, berichtet Neugebauer. «Wenn wir plötzlich eine Million bekämen, würde ich allerdings Schallschutzfenster einbauen lassen.»

Dörthe Hein, dpa

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