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Kostadin Andreev (Hermann) Dahinter: Chor der Oper Halle. Foto: Oper Halle
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Wo die Liebe hinfällt … – Christian Schuller inszeniert Tschaikowskis „Pique Dame“ in Halle

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Große russische Oper gehört einfach dazu. Dieser kulturelle Blick nach Osten ist hierzulande eine Selbstverständlichkeit. Umgekehrt ist das längst nicht mehr so. Mit dem Blick nach Westen werden in Moskau absurde Rückzugsverordnungen auf die „traditionellen russischen Werte“ dekretiert, wirklich moderne Kunst im Grunde für überflüssig, Schwule als verdächtig und die ganze westliche Freiheit und Liberalität zur Dekadenz erklärt. Schon allein deshalb ist es richtig, die 1890 uraufgeführte „Pique Dame“ des ob seiner Homosexualität in die Enge, ja wohl sogar in den Tod getriebenen Komponisten Pjotr Tschaikowski zu spielen. Wobei es die Russen von heute fertigkriegen, dieses biographische Faktum bei einem großen Filmprojekt über ihren Musik-Heroen des 19. Jahrhunderts einfach auszublenden.

Es lohnt natürlich schon rein musikalisch, auch mal eine andere Tschaikowski-Oper als immer nur die über den noch populäreren Lebensverlierer Eugen Onegin zu spielen. Tschaikowski selbst hielt seine „Piqué Dame“ für ein Meisterwerk; war sogar so souverän, Zitate anderer einzubinden.

Das Schicksal des Spielers Hermann hat es in sich. Obwohl der Typ noch unangenehmer ist als Onegin. Ein Spieler, der sich mit der schönen Lisa die Braut des Fürsten Jeletzkij in den Kopf gesetzt hat. Um seine Chancen zu verbessern, will er an das Geheimnis der alten Gräfin kommen. Sie kennt die drei Karten, die immer gewinnen. Da sie ihr Geheimnis schon zweimal in ihrem Leben einem Mann verraten hat und sie es laut Prophezeiung ein drittes Mal nur um den Preis ihres Lebens machen kann, kommt es wie es kommen muss: Hermann attackiert sie derart, dass sie stirbt – und von den drei Karten, die sie ihm dann als Geist im Traum „verrät“, stimmt die letzte nicht. Die Piqué Dame bringt ihm nicht den erhofften Gewinn, sondern sie bringt ihn (als Synonym der Gräfin) zur Strecke.

Robbert van Steijn sorgt am Pult der Staatskapelle für den großen dramatisch tragischen Ton, den Tschaikowski dazu komponiert hat. Da geht es ziemlich in die Vollen. Was vor allem die Männer zu erheblichen Kraftanstrengungen verführt. So lässt sich Kostadin Andreev verleiten, aus seinem Hermann vor allem eine vokale Kraftdemonstration, unter der dann auch die Artikulation leidet, zu machen. Er hält die mörderische Partie allerdings bis zum Schluss durch. Die anderen Herren, allen voran Gerd Vogel (als sein Freund Tomskij) und Andreas Scheibner (als Konkurrent Jeletzkij) gehen da differenzierter zu Werke. Scheibner spielt mit seiner Ansprache von der Loge aus mit Erinnerung an seinen Fürstenkollegen Gremin aus der Nachbaroper. Vokaler Glanz zieht auf, wenn Romelia Lichtenstein als Lisa zu Worte kommt. Da verbinden sich Kraft und Ausdruck, da kommt auch das dunkel Lyrische zu seinem Recht. An ihrer Seite ist Sandra Maxheimer als Pauline ein Genuss. Selbst der kleinen  Rolle der Gouvernante verleiht Maria Petrašovská Profil.

Die geheimnisvolle Gräfin schließlich überlebt in Halle nicht nur, sondern fällt überhaupt aus dem Rahmen. Eigentlich ist das eine Parade-Altersrolle für die Großen der Branche. Martha Mödl hat damit noch mit 80 (!) in Wien Lorbeeren geerntet und Anja Silja durfte ihre sagenhafte Präsenz im gleichen Haus vor ein paar Jahren im Ornat der Zarin testen! In Halle ist sie mit der noch jungen und blühenden Schönheit Svitlana Slyvia gänzlich gegen dieses Klischee besetzt. Obendrein fällt sie hier auch noch wortwörtlich aus dem Rahmen.

Das XL Salonbild, von dem sie auf den riesigen runden Tisch in ein Seniorenheim mit Zauberberg-Atmosphäre (und Tschaikowski und Puschkin Porträts an den Flurwänden) mit mondäner Diven-Pose blickt, wird lebendig und entlässt die Abgebildete ins Leben. Sie ist diesmal ohnehin mehr eine Projektion, als eine reale, alt gewordene Gesellschaftsdame oder gar Oma mit Vergangenheit. Wenn sie ihre Erinnerungen daran heraufbeschwört, ist sie umgeben von den Prominenten-Masken jener Jahre. Wenn Herman sie bedrängt, dann artet das zu einer angedeuteten Vergewaltigung aus.

Die eigentliche Liebesgeschichte zwischen Hermann und Lisa gibt es als Rückblende. Heiße Gefühle im kalten russischen Winter. Mit leise rieselndem Schnee von gestern. Und der offenen Wo-die-Liebe-hinfällt-Frage, was Lisa eigentlich an dem Mann findet.

Das Schäferzwischenspiel ist ein kollektiver Saunabesuch mit Nacktszene und Sex in der Öffentlichkeit. Zumindest darf der saunende Chor zusehen, wenn es ein nacktes junges Paar im Wasser-Bottich miteinander treibt. Wenn dann doch ein Pfaffe seinen Weihrauchbehälter fröhlich überm Kopulieren kreisen lässt, darf man das getrost für eine Anspielung auf die ziemlich verqueren aktuellen russischen Statements zum Thema Sex halten. Und sich darüber amüsieren, dass es die Regie schaffte, damit ein paar Buhs zu provozieren. Was ja in Halle nicht so einfach ist … .

Aber im Ernst: Christian Schuller (Regie), Jens Kilian (Bühne) und Eva-Maria van Acker (Kostüme) zelebrieren natürlich kein trashiges Provokationstheater. Sie liefern vielmehr eine Inszenierung ab, die mit starken Bildern, Deutungsanspruch und dem Ehrgeiz aufwartet, nicht nur eine gängige Nacherzählung zu liefern. Sie lösen diesen Anspruch ein, weil es ihnen gelingt, ein literarisch gefiltertes zaristische Russland mit dem psychologisierenden Blick von heute aus zu betrachten und dabei sowohl die Klischees der Rezeptionsgeschichte oder einer modischen Gesellschaftskritik zu vermeiden.

Das geht am Ende auf. Da das Ensemble im Ganzen überzeugt und der Chor (Jens Petereit) sowie der Kinder-und Jugendchor (Peter Schedding) mit Eifer bei der Sache sind, also die musikalische Qualität des Abends insgesamt stimmt, gibt es die verdiente Zustimmung. Mit vereinzelten Buhs für die Regie.

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