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Foto: © Theater Erfurt, Lutz Edelhoff
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Zwischen Patriotismus und Verzweiflung – An der Oper Erfurt wurde jetzt die Francois Fayts Oper „Das schwarze Blut“ uraufgeführt

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Die Literaturoper ist ein Genre, bei dem die bekannte Vorlage von der dazukommenden Musik mitgezogen, beflügelt, ja in eine neue Dimension gehoben werden kann. Wenn es gut geht jedenfalls. Die aktuelle alljährliche Erfurter Uraufführung muss diesmal damit fertig werden, dass die literarische Vorlage hierzulande eher selten und wenn, dann hinten im Bücherregal zu finden ist. Obwohl der Roman „Das schwarze Blut“ (Le Sang noir) von Louis Guilloux (1899–1980) aus dem Jahre 1935 im Westen und im Osten Deutschlands erschienen ist. Marcel Maréchal hat daraus ein Libretto destilliert und konnte dabei auf seine, in Frankreich in den 70er Jahre auch verfilmte eigene Theaterfassung des Romans aus den 60er Jahren zurückgreifen.

Sein Landsmann Francois Fayt, Jahrgang 1946, der schon zu etlichen Schauspielinszenierungen Maréchals die Musik komponierte, hat es vertont. Wobei man diese gemeinsame Arbeitserfahrung durchaus zu bemerken meint. Es ist vor allem ein begleitendes Parlando, das aus dem Graben aufsteigt und die Monologe und Dialoge mit lakonischen Rhythmen und einem musikalischen Sound umspült und trägt. Nur ganz selten, vor allem gegen Ende hin, emanzipiert sich das Orchester unter Leitung des französischen Pultgastes Jean-Paul Penin von der Klangrede mit sich aufschwingenden, melodischen Bögen von einigem Wohlklang. Da geht es um pure Emotionen.

Die lodern auf, wenn sich der Philosophielehrer François Merlin vom schrulligen aber scharfzüngigen Kritiker der allgemeinen patriotischen Kriegseuphorie in dem bretonischen Provinznest, in dem alles 1917 am Ende des ersten Weltkrieges spielt, zum persönlich verzweifelten Zeitgenossen mausert, der sich schließlich selbst erschießt.

Dem Philosophen-Sonderling haben seine Schüler den Spitznamen Cripue verpasst. Was von der französischen Verballhornung von Kants „Critique de la raison pure“, also der „Kritik der reinen Vernunft“, kommt.

Doch selbst die normale bürgerliche Vernunft hat es an dem Ort – und vor allem in der Zeit, in der die Oper spielt – besonders schwer. Cripues Flucht vor dem Schulalltag und dem Hurra-Patriotismus seiner Landsleute ist sein literarisches Lebenswerk „Versuch über die menschliche Schande oder Der Fortschritt der Krankheit“. Der Lebensgefahr durch ein unsinniges Duell mit dem fiesen Nabucet (Jörg Rathmann) durch das Einschreiten des gutmeinenden Kollegen Moka (Marwan Shamiyeh) gerade entgangen, gibt es Cripue am Ende den Rest, als die Hunde sein Manuskript zerfleddern.

Sein Selbstmord ist aber wohl doch mehr ein Schritt der Verzweiflung über den Krieg. Der kommt auch in der Bretagne an: durch die schwer Verwundeten oder den Gesang der russischen Gefangenen. Aber auch durch die jungen Männer, die wie sein Sohn Amédée (Salomón Zulic del Canto) als Meuterer enden oder gleich nach Russland wollen, um Revolution zu machen. Ohne, dass das ganze Elend der blinden Begeisterung der Provinzgrößen etwas anhaben könnte.

Da kann dann am Ende auch die vom deutschen Übersetzer Klaus Gronau mit einem etwas nervig flapsigen Slang versehene Ex-Prostituierte Maja, die Katja Bildt handfest an seiner Seite und mitten im Leben verankert, nichts mehr machen. Goethes Christiane, kommt einem in den Sinn. Nur ist Maja nicht so erfolgreich in Bezug auf „ihr“ Genie. Auch an die Studierstube von Faust muss man denken, wenn Cripure in der Anfangs- und Schlussszene auf einem Riesensofa zwischen seinen Büchern sitzt. Im Hintergrund freilich plätschern die Wellen an die bretonischen Küste. Wenn diese Philosophen-Klause verschwindet, dann ist die Bühne, die Hank Irwin Kittel für die atmosphärisch dichte und in sich stimmige Inszenierung von Marc Adam beisteuert, eine repräsentative Halle. Für die patriotischen Feierlichkeiten der Provinz-Honoratioren, die mit den Verwundeten Politik machen. Sieht alles nach 1917 aus, hat aber was Überzeitliches. Das bleibt im Grunde der Leitfaden, um sich durch das episodische Sittengemälde einer französischen Provinzstadt zu finden, in der sich die Zeitenwende als Wetterleuchten und in persönlichen Katastrophen ankündigt.

Dass man in Erfurt gerade der jährlichen Uraufführung besondere Sorgfalt angedeihen lässt, gehört bei Guy Montavon zum guten Ton, ja ist ein Markenzeichen des Hauses. Und das ist auch diesmal so. Dabei führt Máté Sólyom-Nagy in der zentralen Rolle des Cripure ein starkes Ensemble überzeugend an, das sich rückhaltlos in den Dienst dieser, trotz deutschsprachiger Uraufführung in Deutschland, recht französischen Opern-Novität stellt. Die es gleichwohl nicht leicht haben dürfte. Weder hier, noch dort. Das Publikum in Erfurt weiß längst das Engagement für Opernneuheiten zu schätzen und lässt sich darauf ein. Auch diesmal.

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