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Alle Wände schallen

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Richard Strauss: Elektra (Gesamtaufnahme, deutsch); Hanna Schwarz (Klytaemnestra), Allessandra Marc (Electra), Deborah Voigt (Chrysothemis), Siegfried Jerusalem (Aegisth), u.a., Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Wiener Philharmoniker, Giuseppe Sinopoli DG 453 429-2 (2 CD) DDD Nach der Einspielung von Richard Strauss’ dritter Oper „Salome“ unter Giuseppe Sinopoli (431 810-2), setzt die Deutsche Grammophon ihre erfreuliche Strauss-Pflege mit dem Werk „Elektra“ unter demselben Dirigenten fort. Nach dem Erfolg der „Salome“ war der „Elektra“ zunächst nur ein Achtungserfolg beschieden, offenbar hatte Strauss klanglich den Akzeptanzrahmen des Publikums überspannt. Zumindest muß er es wohl selbst so gesehen haben, denn so weit wie in dieser Partitur aus dem Jahre 1908 wagte er sich harmonisch nie wieder vor. Guiseppe Sinopoli zeigt bereits mit dem wuchtigen Atridenklangblock des Anfangs, wo er in der Interpretation der frühen Strauss-Partitur mit den Wiener Philharmonikern hin will: extreme Dynamik, Reibung, Gegensätze. In den verhaltenen Passagen liegt heimliche Bedrohung, in den Lyrismen Verführbarkeit, aber im allgemeinen setzt sie auf die Macht exzessive Klangballungen, „daß alle Wände schallen“, – wie es beziehungsreich bereits im zweiten Satz der Oper heißt. Die bereits im September 1995 im Großen Saal des Musikvereins in Wien produzierte, aber jetzt erst veröffentlichte Aufnahme wartet mit einem überdurchschnittlich intensiv gestaltenden und dabei beachtlich textverständlichen Sängerensemble auf. Überraschend die Besetzung der Klytaemnestra mit der vergleichsweise „jungen“, stimmlich unverbrauchten Hanna Schwarz. Auch Siegfried Jerusalem, noch im Heldenfach zuhause, ist ein jugendlicher Aegisth. Dem stehen kolossartig Samuel Ramey als profunder, trefflich parlierender Orest und Allessandra Marc in der Titelpartie gegenüber. Marc macht die Impulse der Gewalt deutlich, die nicht nur die Musik des Tanzes, sondern quasi das ganze Musikdrama aus der Psyche der Elektra entstehen lassen. Im Gegensatz hierzu sollte die Sängerin der Chrysothemis mehr unerfüllte Sinnlichkeit verströmen dürfen, als es Deborah Voigts präziser Nachvollzug der Partie erlaubt. Die Randfiguren sind dagegen adäquat besetzt. Erfreulich ist auch der Einsatz der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, mit den wenigen Orest-Rufen, die bei Aufführungen – zugunsten eines chorfreien Abends im Spielbetrieb – häufig eliminiert sind. Den Dreisprung zwischen Sophokles, Hofmannsthal/Strauss und der Ästhetik unserer Zeit versucht nicht nur die Innenbebilderung der lichtdurchlässigen CD-Box, sondern insbesondere das Orchester und eine erfreulicherweise unverfälschte Aufnahmetechnik: ein den Kopfhörer sprengendes Hörabenteuer im Palast von Theben, ausgehöhlte Monstrosität an der Schwelle zur Atonalität, Klangbilder zwischen Psychologie und Ekstase. Wohl dem, der Nachbarn mit Musikverständnis hat!

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