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Johannes Weiß. Foto: SWR
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Alles auffahren für die Minderheit in der Minderheit

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SWR-Programmchef Johannes Weiß im Gespräch mit der neuen musikzeitung über die Sparpläne des SWR
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In einer Pressemitteilung vom 2. Juli 2010 kündigte SWR-Intendant Peter Boudgoust einen strategischen Sparkurs an und führte weiter aus, „strategisch“ bedeute, dass nicht nach dem Rasenmäherprinzip überall im gleichen Umfang gekürzt werden soll. Mit 25 Prozent Etatkürzung ist SWR2, die Kulturwelle des SWR, am stärksten betroffen. „Wenn wir die Hände in den Schoß legen würden“, so Boudgoust in der Stuttgarter Zeitung vom 17. Juli 2010, „wäre der ganze Sender nicht mehr lebensfähig. Wir werfen Ballast ab, und wir wollen alle unsere Programme entschlossen weiterentwickeln, mit dem Knowhow aller Mitarbeiter. Ich spüre da auch die Lust, neue Dinge auszuprobieren.“ Die neue musikzeitung sprach mit Johannes Weiß, Programmchef von SWR2, über die aktuellen Sparpläne.

neue musikzeitung: Warum soll der SWR nicht mehr lebensfähig sein?

Johannes Weiß: Die Prognose lautet, dass der SWR innerhalb der nächsten 10 Jahre einen Einnahmerückgang um rund 15 Prozent zu verkraften hat, und zwar trotz der geplanten Umstellung auf die Haushaltsabgabe. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine Veranstaltung der gesamten Gesellschaft. Deshalb müssen wir auch Angebote für die gesamte Gesellschaft machen. Tatsache ist aber, dass es eine immer größer werdende Gruppe vor allem jüngerer Menschen gibt, die unsere Programme nicht mehr in der Weise rezipieren, wie das sein sollte.

nmz: Wie ist es mit dem Thema Musik im Fernsehen? Seit Jahren habe ich keinen Film über die Donaueschinger Musiktage mehr gesehen. Auch die Orchester klagen über die fehlende Präsenz des Fernsehens.

Weiß: Über einen Donaueschingen-Film würde ich mich natürlich sehr freuen, zumal dieses Festival etwas besonders Faszinierendes ist. Ich habe allerdings Zweifel, ob ein solcher Film das Akzeptanzproblem unseres Fernsehens nachhaltig lösen würde. Im Ernst: Das SWR Fernsehen ist bei der jüngeren Generation keine Größe mehr; das ARD-Programm vielleicht noch mit einem „Tatort“ oder bei besonders ambitionierten oder besonders beworbenen Filmen wie über Mogadischu oder einen Scientology-Aussteiger. Im Hörfunk sind wir mit den verschiedenen Programmen immer noch ganz gut aufgestellt – mit den Popwellen und dem Jugendprogramm „DASDING“ erreichen wir auch jüngere Hörer. Auch SWR2 hat deutlich zugelegt und ist jünger geworden: Vor eineinhalb Jahren hatten wir 245.000 Hörer, die durchschnittlich 60 Jahre alt waren, jetzt sind es 333.000, deren Altersdurchschnitt bei 57 Jahren liegt. Der Trend ist erfreulich. Aber wir sind und bleiben doch immer ein Minderheitenprogramm für diejenigen, die an Kultur besonders interessiert sind. Als SWR-Hörfunk insgesamt wissen wir, dass wir bestimmte Gruppen nicht mehr erreichen, das heißt wir müssen auch deshalb mehr einsparen, um neue Angebote machen zu können.

nmz: Warum muss gerade SWR2 mit 25 Prozent am meisten bluten? Es gab doch bereits Einsparungen: von den Internationalen Weingartener Tagen für Neue Musik etwa höre ich, dass der SWR nicht mehr mitschneidet.

Weiß: Nicht nur SWR2 wird kräftig zur Kasse gebeten mit 25 Prozent, das SWR Fernsehen muss ebenso 25 Prozent einsparen, die beiden Programme SWR4 in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz müssen 20 Prozent einsparen, SWR1 muss 15 Prozent einsparen. Und die Technik und die Verwaltung werden bis 2020 ebenfalls mit 25 Prozent weniger auskommen müssen. 

nmz: Sie sind Programmchef des SWR, sind Sie mehr Spar-Opfer oder mehr Spar-Täter? Wird der SWR der „Spar-Vorreiter“ innerhalb der öffentlich-rechtlichen Sender?

Weiß: Ich nenne mal die konkreten Zahlen: Wir haben jetzt 130 Planstellen, plus feste Freie, insgesamt gut 200 Hundert-Prozenter. In 10 Jahren werden das noch 150 Leute sein. Wir haben zum Glück eine enorme altersbedingte Fluktuation, so dass wir den Abbau in der Regel ohne soziale Härten hinbekommen werden.

Das Nettobudget für Produktionen und die Autorenhonorare beträgt derzeit 12,3 Millionen, das werden 2020 noch 9 Millionen sein. Statt 700 Featureproduktionen werden es dann vielleicht noch 600 sein, statt 80 neuen Hörspielen nur noch 70 oder 65. Das ist immer noch weit über dem, was andere Kulturradios produzieren. Ein Sparvolumen von 25 Prozent wird bei SWR2 jedenfalls nicht dazu führen, dass unser Kulturprogramm grundsätzlich beschädigt wird.

nmz: Peter Boudgoust sprach in einem Interview von Ballast, der weg müsse: Wie will man diesen definieren?

Weiß: Ich kenne Peter Boudgoust genug, um zu wissen, dass er nicht meint, SWR2 sei Ballast. Unsere Geschäftsleitung sagt aber: Wir können nicht warten, bis der Karren an die Wand gefahren wurde, sie handelt jetzt und damit verantwortungsbewusst. Obwohl Intendant Boudgoust zurzeit den ARD-Vorsitz inne hat, nahm er sich Zeit, um in die große Programmsitzung von SWR2 zu kommen und Rede und Antwort zu stehen. Er weiß, dass SWR2 das öffentlich-rechtliche Rückgrat des SWR ist. Und das wird auch so bleiben.

nmz: Wie hat der SWR auf die Kritik des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages reagiert? (Zur Information: Eine reine Quotenorientierung ist gerade im Bereich der Kultur nicht angemessen … Bericht der Enquete-Kommission, Seiten 154, 155)

Weiß: Wir haben laut Medienanalyse mehrfach hintereinander kräftig hinzugewonnen. Das freut uns natürlich sehr. Innerhalb unserer Zielgruppe, den klassisch kulturinteressierten und den modernen kulturorientierten Zuhörern, möchten wir so viel wie möglich Zuwachs bekommen.
Die Quote ist aber nur ein Maßstab neben anderen. Nehmen wir die Neue Musik und hier die von Ihnen schon angesprochenen Donaueschinger Musiktage. Obwohl wir wissen, dass wir dort die Minderheit in der Minderheit erreichen, fahren wir alles auf, was wir zu bieten haben. Unsere Musikabteilung leistet enorm viel Arbeit vor Ort, um dieses Festival angemessen ins Radio zu bringen. Allein die Technik hat im letzten Jahr 300.000 Euro gekostet. Donaueschingen 2009 hat weit über eine halbe Million gekostet. Wir stehen dazu: Wir sind das einzige Kulturradio weltweit, das dieses renommierte Festival für Neue Musik komplett live überträgt. Das würdigt allerdings kaum jemand. Die nmz hat einen langen Beitrag über die Donaueschinger Musiktage 2009 geschrieben: Da kommt das Logo SWR2 nicht einmal drin vor. Zurück zu Ihrer Frage: Die Quote ist wirklich nicht der alleinige Maßstab für SWR2.
Wir haben erste große Sparpakete geschnürt, die betreffen Sendungen beziehungsweise die engere Kooperation von bestimmten Sendestrecken. Der Musikproduktionsetat ist reduziert worden. Aber was die großen Festivals angeht, das alles wird bleiben: In zehn Jahren wird es noch immer Donaueschingen geben, es wird die Schwetzinger SWR Festspiele geben, es wird das Festival Rheinvokal in Rheinland-Pfalz geben. Ich weiß nicht, ob wir es uns in 10, 15 Jahren noch leisten können, in Schwetzingen Opern zu inszenieren. Meine Aufgabe jetzt ist es, SWR2 so kalkuliert zu steuern, dass wir auch in 10 oder 15 Jahren noch ein ganz vorzügliches Kulturradio haben.

nmz: Welche Ambitionen hat SWR2 im Internet? Der Online-Bereich soll personell aufgestockt werden. Doch was soll über neue Vertriebswege vertrieben werden, wenn Inhalte weggespart werden?

Weiß: Die personelle Aufstockung betrifft den SWR insgesamt: Wir müssen eine wohl überlegte Exportstrategie entwickeln. Die muss natürlich gerade auch SWR2 berücksichtigen. Denn die meisten Inhalte werden von SWR2 geliefert: Sendungen wie „Wissen“, „Forum“ und „Leben“ – die werden viel hunderttausendfach gepodcastet. Wir müssen mit diesen fantastischen Inhalten auf möglichst viele Plattformen kommen. Auch mit ganz neuen Kurzformen, die wir entwickeln. Unser Literaturchef Walter Filz hat die ersten Teile einer langen Reihe unter dem Titel „Short Teenage Stories“ entwickelt, ein sehr kurzweiliges Zwei-Minuten-Format über Romane mit Helden unter 20. Die Stücke laufen in unserer Primetime zwischen 6 und 8 Uhr morgens. Da erreichen wir zwar auch 150.000 Hörer – aber mit diesen Stories müssen wir auch auf Plattformen, auf die junge Leute zugreifen, die unser lineares Programm nicht hören. Dafür aber brauchen wir entsprechende Exportstrategien. Schon heute werden SWR2-Sendungen vermutlich von sehr viel mehr Leuten gepodcastet, die unser Programm sonst nicht hören – jeden Monat fast eine Million mal.

Allerdings füge ich hinzu: Internet ist schön und gut. Aber alle Umfragen belegen, dass das lineare Programm noch auf viele Jahre hinaus das entscheidende ist. Hinzu kommt: Wir beschreiben nicht nur Kultur, wir betreiben sie auch. Wir treten als Kulturproduzent in Wort und Musik im Sendegebiet und darüber hinaus auf. Nicht nur bei den großen Musikfestivals, auch in vielen anderen Veranstaltungen. So haben wir seit einiger Zeit die SWR2 Kulturnächte oder die Poetry-Slam-Veranstaltungen.

nmz: Sind Partnerschaften mit privaten Informationsanbietern angedacht, wie es WDR und DerWesten machen?

Weiß: Für SWR2 kann ich Ihnen drei Partnerschaften nennen: die eine mit nmzMedia in Donaueschingen, die zweite mit der Zeitschrift „Literaturen“ und die dritte ist mit dem Carus-Verlag. Mit ihm haben wir das enorm erfolgreiche Wiegenliederprojekt aufs Gleis gesetzt, ihm folgt nun das Volksliederprojekt. Ansonsten haben wir jede Menge Kulturpartner: Galerien, Museen, Festivals und Veranstalter.

nmz: Peter Boudgoust hat im letzten Jahr einen ARD-Channel bei YouTube vorgeschlagen, der eingerichtet wurde. Wie hält man es da mit der Frage der Urhebervergütung? YouTube tut da ja von sich aus (noch) nichts.

Weiß: Zum ARD-Channel kann ich nichts sagen. Und zum Urheberrecht nur, dass es ein nach wie vor ungeklärtes Problem für uns ist. Wir können längst nicht alle Inhalte ins Internet stellen, weil urheberrechtliche Barrieren bestehen.

nmz: Die Gesellschaft regt sich nicht auf über Kürzungen? Nirgends ist der große Aufschrei. Warum?

Weiß: Die Sympathisanten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden weniger. Es vergeht ja kaum ein Tag, an dem nicht irgendeine Zeitung den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Bausch und Bogen verdammt. Wie selbstverständlich reden auch seriöse Zeitungen von „Zwangsgebühr“. Nein, ich habe wirklich nicht den Eindruck, dass wir in der Presse noch viele Freunde haben. Und dann kommt ja noch etwas hinzu: In den nächsten zehn Jahren wird der SWR insgesamt 15 Prozent sparen, also jedes Jahr 1,5 Prozent. Da sagen die großen Verlage oder auch Vertreter der Industrie: 1,5 Prozent pro Jahr ist geradezu lächerlich, seht euch an, wie in anderen Bereichen gespart werden muss. Selbst 2,5 pro Jahr – das ist das, was wir in SWR2 sparen müssen – ist verglichen mit anderen Branchen geradezu paradiesisch.

nmz: Das Radiofestival sieht aus wie ein Modell für einen bundesweit einheitlichen Kultursender. Warum geht man hier ohne Not in die Vorlage?

Weiß: Ein einheitliches Bundeskulturprogramm der Landesrundfunkanstalten wird es niemals geben. Bundesprogramme im Hörfunk sind Aufgabe von Deutschlandradio und Deutschlandfunk. Die Kulturradios der Landesrundfunkanstalten werden nur existieren, wenn wir die Sender für unser jeweiliges Sendegebiet sind. Aber es gibt Kooperationen, bei denen wir zeigen, dass wir gemeinsam stärker sind. Der ARD Radio Tatort ist ein besonders gutes Beispiel, auch das ARD Radio Feature. Und es stimmt: Wir müssen bedenken, wo wir die sinkenden Einnahmen durch sinnvolle Kooperationen ausgleichen können.

Das ARD Radiofestival ist allerdings keineswegs nur ein Spar-Modell. Für manche Kulturradios ist es sogar teurer als das, was sie vorher in den Sommerwochen gesendet haben. Denn manche Kulturwellen haben es schon früher so gemacht, wie die Theater: Sie haben hinsichtlich aufwändiger Produktionen eine Sommerpause eingelegt. Für SWR2 allerdings stimmt, dass wir gemessen an dem sehr teuren Programm, das wir vorher auch in den Sommerwochen anzubieten hatten, durch das ARD Radiofestival kräftig sparen. Für mich bei SWR2 hat das Radiofestival dazu geführt, dass ich zum ersten Mal am Ende des Jahres 2009 keine rote Zahl mehr geschrieben habe, und ich hatte sogar noch Geld übrig für die neue Hintergrundsendung SWR2 Kontext.

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