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Expertengespräch: Giya Kancheli und Natalia Gutman in Kronberg. Alle Fotos: Charlotte Oswald
Expertengespräch: Giya Kancheli und Natalia Gutman in Kronberg. Alle Fotos: Charlotte Oswald
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Alles Cello

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Kronberg feiert Mstislav Rostropowitsch
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In dem Taunusstädtchen Kronberg fand Anfang Oktober 2007 zum achten Mal das „Cello Festival“ statt. Es stand ganz im Zeichen seines Mitbegründers und Schirmherrn Mstislav Rostropowitsch, der im Frühjahr 2007, kurz nach seinem 80. Geburtstag, in Moskau gestorben war. Kronberg weiß, was es dem großen Musiker schuldig ist: schließlich erklärte er einmal den Ort zur „Welthauptstadt des Violoncellos“. Wer das für übertrieben hält, wird rasch durch einige Zahlen und Namen widerlegt. Allein diesmal kamen 35 junge, hoch qualifizierte Instrumentalisten aus über 50 Nationen, die sich von einem Dutzend Spitzen-Cellisten in die hohe Kunst der Interpretation (Noten spielen können sie schon allein!) einweihen ließen, genug, um Rostropowitschs Kronberg-Erhebung zu legitimieren.

Wenn das Kronberg-Festival nur aus qualitätvollen Konzerten bestehen würde, wäre es eine Veranstaltung wie viele andere auch. Sein besonderes Format gewinnt es durch das, was sich hinter der Konzert-Kulisse ereignet. Die Kronberg Academy, wie sich die Institution weltläufig auf Englisch nennt, hat sich jetzt mit der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst verbündet und einen Studiengang für hochbegabte Streicher entwickelt, neben dem Cello auch für Bratsche und Geige. Musiker dieser Instrumente, die eine Solistenkarriere anstreben, finden mit den „Kronberg Academy Masters“ eine Einrichtung, durch die sie ihr Spiel interpretatorisch perfektionieren können. Die Studenten erhalten exklusiven Unterricht durch namhafte Interpreten, es bieten sich ihnen hervorragende Auftrittsmöglichkeiten. Wer sich für den Studiengang „Master of Music“ eingeschrieben hat, erhält als international anerkannten Abschluss den Titel „Master of Music“ (M. Mus.).

Der Studienbeginn für Cellisten war jetzt im Oktober. Die Ausbildung für Violine und Viola soll im Oktober 2008 aufgenommen werden. Direktor der „Kronberg Academy Masters“ ist der Engländer Stephen Potts, im Beirat werden Yuri Bashmet, Marta Casals Istomin und Gidon Kremer sich intensiv um die Belange der Studenten bemühen. Als Professoren für Cello wurden Gary Hoffman und Frans Helmerson gewonnen, für die Bratsche Nobuko Imai, für Violine Ana Chumachenco. Es ist selbstverständlich, dass eine Institution wie die „Kronberg Academy Masters“ kein Massenbetrieb sein kann. Die Zahl der Teilnehmer pro Studiengang soll das Dutzend nicht überschreiten.

Zu den Konzerten des achten Cello-Festivals: Wie ehrt man Mstislav Rostropowitsch am würdigsten? Indem man, wie in Kronberg Tradition, die besten Cellisten der Welt einlädt, die junge Nachfolger in die Kunst der Interpretation einweihen, mit ihnen gemeinsam musizieren und in eigenen Konzerten ihre Meisterschaft zeigen. Man möchte Schiller zitieren: Wer kennt die Völker, nennt die Namen…! Natalia Gutman, Mischa Maisky, David Geringas, Lynn Harrell, Gary Hoffman, Julius Berger, Frans Helmerson, Young-Chang Cho, Arto Noras, Miklós Perényi sowie der letzte Schüler Rostropowitschs, Ivan Monighetti – man möge verzeihen, dass wir aus Platzgründen nur sechs von ihnen im Bild vorstellen.

Und auch der große Bernard Greenhouse war gekommen – mit seinen 91 Jahren unverändert an allem interessiert. In seiner faszinierenden Persönlichkeit spiegelt sich eine fast unendliche Geschichte des Violoncellos, bis zurück zu Emanuel Feuermann, Diran Alexanian und Pablo Casals, deren Schüler er war.

In den zwölf Konzerten erklangen viele Kompositionen, die sich auf Mstislav Rostropowitsch beziehen, sei es, dass dieser die Werke uraufgeführt oder zugleich auch in Auftrag gegeben hat. Die Freundschaft mit Schostakowitsch und Prokofieff erwies sich auch für die Cello-Literatur als äußerst fruchtbar. Rostropowitschs technische Meisterschaft setzte zugleich für die kompositorischen Möglichkeiten neue Maßstäbe. Das haben sich auch westliche Komponisten zu Nutze gemacht. Benjamin Britten, Henri Dutilleux, Luciano Berio und Pierre Boulez haben für Rostropowitsch Stücke geschrieben.

An diese komponierte Fülle, an diesen musikalischen Reichtum erinnerten die zwölf Konzerte mit ihren Programmen immer wieder: Eine beeindruckende Retrospektive auch, aber da Musik stets immer wieder neu erklingt, verflog in den oft hinreißenden Interpretationen alles Historische rasch. Die Auftritte der Cello-Prominenz unterschieden sich bei gleicher Perfektion immer wieder durch die unterschiedlichsten Temperamente: Ein wunderbares Kontrastprogramm.

Es gab auch drei Uraufführungen im Gedenken an den Verstorbenen, von denen eine hier hervorgehoben sein soll. Giya Kancheli hatte zum 80. Geburtstag von Rostropowitsch (und gleich auch noch zum 60. von Gidon Kremer) ein Stück geschrieben mit dem Titel „Silent Prayer“, gesetzt für Violine, Violoncello, Vibraphon, Bassgitarre, Tonband und kleines Orchester. Klänge und Linien von ätherischer Zartheit scheinen in unendliche Räume zu streben, aber harte Einwürfe wie Schläge reißen den Menschen immer wieder in die Realität zurück. Kancheli schuf ein Werk existentieller Ausgespanntheit, in dem sich persönliche schmerzliche Erfahrungen mit einem geheimnisvollen Sehnsuchtstonfall verbinden. Eine große Musik, die von Gidon Kremer, seiner Kremerata Baltica, der Cellistin Marie-Elisabeth Hecker und Andrej Puschkarew (Vibraphon et cetera) sensibel und mit feiner Klanglichkeit gestaltet wurde.

Die Kronberg Academy mit ihrem unermüdlichen Leiter Raimund Trenkler, das hat das achte Festival einmal mehr gezeigt, befindet sich mit ihren vielgestaltigen Aktivitäten auf einem zu rühmenden Weg: Weil sie in die Zukunft denkt, weil sie weiß, dass man unablässig für die Substanz der Musik und der Interpretation arbeiten muss. Dazu gehören auch neue Werke wie Kanchelis „Silent Prayer“. Wie man hört, hat die Kronberg Academy ein Dutzend und mehr Kompositionsaufträge vergeben. Dieses Engagement verdient es, besonders und zusätzlich gefördert zu werden.

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