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Altes Werkstattkonzert neu

Untertitel
Klavier-Festival Ruhr: Elliot Carter mit Pierre-Laurent Aimard
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„Machen wir einen kleinen Workshop!“ Vollendeter hätte ein Understatement kaum ausfallen können. Nur siebzig Minuten später hatten Pierre-Laurent Aimard und sechs Studenten seiner Kölner Klavierklasse dem diesjährigen Klavier-Festival Ruhr mit einem Carter-Abend der Extraklasse ein strahlendes Glanzlicht aufgesetzt. Dabei bestand das Kunststück doch nur darin, dass Aimard den überwältigungs­ästheti­schen Grundkonsens (nicht nur) dieses Festivals generös ignorierte.

Bereichert fühlte sich das Publikum im Düsseldorfer Schumann-Saal, gerade weil ihm ermöglicht wurde, einen Blick hinter die spiegelnde Oberfläche eines lustvoll-verspielten pianistischen Spätwerks zu werfen, gerade weil es nachvollziehen durfte, was jenes so spiegeln macht und warum es folglich das pure Vergnügen ist, sich diesem Spiel zu überlassen.

Tatsächlich gibt es, auch darüber belehrten, die siebzig aimardvermittelten Carter-Minuten, ein großes Bedürfnis, zu begreifen, was große Kunst ausmacht. Dass es umgekehrt nur wenige gibt, die in der Lage sind, diesem Bedürfnis gerecht zu werden, scheint wohl vor allem damit zusammenzuhängen, dass nur wenige unserer großen Pianisten dieses Bedürfnis überhaupt sehen und ernst nehmen. Andernfalls wäre schon längst von der Renaissance des Werkstattkonzerts die Rede, jener Vermittlungsform von Kunst, die haargenau zu dem Zeitpunkt unter die Menschen trat, als der hoheitsvolle Theaterton ins Zwielicht geraten ist. Auch daran waren (einmal mehr) 68er schuld.

Keine Probierstunde

Dass die Institution des Workshops, des Werkstatt- oder (so im Programmheft ausgewiesen) des Gesprächskonzerts seine Qualität jedoch nur dann entfalten kann, wenn es mehr ist und sein darf als eine folgen- und anspruchslose „Ich sag mal so“-Probierstunde – darüber ließ Aimards perfekt vorbereitetes, bis in die Fingerspitzen motiviertes Pianisten-Sextett Zweifel gar nicht erst aufkommen. Immerhin hatte Carter mit „90+“ (1994), „Two Diversions“ (1999) und „Retrouvailles“ (2000) die pianistische Latte rekordverdächtig hoch gelegt. Doch mit welcher Eleganz und Präzision diese groupe de six die Höhen meisterte, stets am Niveau ihres Lehrmeisters Maß nehmend, dies war nun ebenso erstaunlich, wie der pädagogische Teil erhellend.

Hier vor allem zahlte sich aus, dass Aimard unter „Moderation“ glücklicherweise etwas anders versteht, als es heute üblich ist. Nicht Freibrief fürs Geschwätz, nicht Sprechbühne für die eitle Selbstdarstellung – ganz im Sinne ‚altmodischer‘ Werktreue hielt sich Aimard an die Mischung aus, an den Wechsel von analytischem Kommentar und exemplarischen Anspielenlassen, bevor das ganze Werk zum Vortrag kam. Die Interpreten seien genannt: Bodo Bützler, Fabian Müller, Christoph Schnackertz, Lorenzo Soules, Xiangjun YU, Stephan Zilias.

Das Finale übernimmt Aimard

Und Aimard selbst? Dieser ließ es sich nicht nehmen, den krönenden Abschluss zu setzen. „Matribute“ und „Catenaire“, hochvirtuose, linienbetonte, ganz auf ihn zugeschnittene Werke eines bald einhundertjährigen Komponisten, gespielt in Deutscher Erstaufführung als Finale eines exzeptionellen Abends aus Gespräch und Konzert. Hatte Aimard noch am Vorabend Bach anhand dessen „Kunst der Fuge“ als irdisch-zeitgenössischen Komponisten vorgestellt, so porträtierte seine liebevolle Carter-Annäherung nun einen Erben der alten Polyphonie. Freilich einen ohne Hindemith-Stehkragen. Es ist die Heiterkeit dieser Musik, ihr Witz, ihre Intelligenz, die berührt, verzaubert, Spieler und Zuhörer gleichermaßen gefangen nimmt. „Kleiner Workshop“ ganz groß.

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