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Am schönsten ist das Leben, wenn es vorüber ist

Untertitel
Friedrich Cerhas „Der Riese vom Steinfeld“ an der Wiener Staatsoper
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Die Oper des 20. Jahrhunderts ist die Oper des ausgegrenzten Individuums. Die Spanne von Alban Bergs „Wozzeck“ bis zu Helmut Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ umreißt diesen ihr zugekommenen sozialen Auftrag. Die Tendenz scheint man noch toppen zu wollen. Gleich zwei Opern mit nahezu parallelem Sujet sind im letzten halben Jahr uraufgeführt worden: Laurent Petitgirard schrieb für Prag mit „Joseph Merrick dit Elephant Man“ die musikalische Lebenserzählung eines genetisch grausam verformten Menschen, den die Gesellschaft nur als Ausstellungsobjekt auf Wanderzirkussen ertragen konnte, jetzt legten der Schriftsteller Peter Turrini und der Komponist Friedrich Cerha an der Wiener Staatsoper nach. Ihr Gegenstand war „Der Riese vom Steinfeld“, ein Mensch, der vor 120 Jahren im Salzburgischen lebte und schon im Kinderchor durch verblüffend rasches Wachstum auffiel. Schließlich erreichte er die Körpergröße von zwei Meter achtundfünfzig. Auch hier: Herumreichen als Attraktion, als menschliches Monster, das sich die Fürsten der Welt als Kick gönnten um sich zu vergegenwärtigen, was sich so alles unter ihren Untergebenen ereignet.

Die Oper des 20. Jahrhunderts ist die Oper des ausgegrenzten Individuums. Die Spanne von Alban Bergs „Wozzeck“ bis zu Helmut Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ umreißt diesen ihr zugekommenen sozialen Auftrag. Die Tendenz scheint man noch toppen zu wollen. Gleich zwei Opern mit nahezu parallelem Sujet sind im letzten halben Jahr uraufgeführt worden: Laurent Petitgirard schrieb für Prag mit „Joseph Merrick dit Elephant Man“ die musikalische Lebenserzählung eines genetisch grausam verformten Menschen, den die Gesellschaft nur als Ausstellungsobjekt auf Wanderzirkussen ertragen konnte, jetzt legten der Schriftsteller Peter Turrini und der Komponist Friedrich Cerha an der Wiener Staatsoper nach. Ihr Gegenstand war „Der Riese vom Steinfeld“, ein Mensch, der vor 120 Jahren im Salzburgischen lebte und schon im Kinderchor durch verblüffend rasches Wachstum auffiel. Schließlich erreichte er die Körpergröße von zwei Meter achtundfünfzig. Auch hier: Herumreichen als Attraktion, als menschliches Monster, das sich die Fürsten der Welt als Kick gönnten um sich zu vergegenwärtigen, was sich so alles unter ihren Untergebenen ereignet.Ich bin ein Ungeheuer“, resümiert der Riese an seinem Lebensende. 27 Jahre wurde er alt. Aber auch Ungeheuer, beim Elefantenmann war dies ebenso, haben ein tief empfindendes, besonders sensibel reagierendes Herz und wünschen nichts sehnlicher, als ins Normale integriert zu werden, was die Gesellschaft nicht gewähren kann. Das Lied des Riesen wird zum Leitmotiv der Oper. Der Gang durch die Wochentage führt zu den Worten: „Am Samstag muss ich sterben, ich werde nicht vermisst, am schönsten ist das Leben, wenn es vorüber ist.“ Und wirklich, nach dem Tod – zur Herstellung des normierten Gemeindemaßes für den Sarg wurden ihm die Beine abgesägt – entdeckten die Steinfelder „ihren“ Riesen österreich-typisch für den Fremdenverkehr. Die Anbindung ans Schienennetz kann hoffnungsfroh in Angriff genommen werden.

 

Turrini und Cerha agierten vorsichtig. Dem Vorwurf, dass auch sie die Attraktion menschlicher Monströsität nutzten, begegneten sie mit der Sprechrolle eines die Handlung begleitenden Komponisten, der wie Frosch in der Fledermaus den Spiegel zum Publikum richtet: „Aus Beutelschneidern machte ich Philharmoniker, aus Schweinsohren Konservatoriumsdirektoren“. Die Szene wurde mit diesem künstlichen Widerhaken aufgebrochen: Wenn schon Schuld der Sensationsgier, dann ist es unser aller Schuld.

Eines hört die große Autorität der österreichischen Avantgarde Friedrich Cerha (Jahrgang 1926) gar nicht so gerne: seine Nähe zur Musik von Alban Berg. Das sei, so meint er, erst nach seiner Vollendung von Bergs „Lulu“ ins kritische Bewusstsein gedrungen. Gleichwohl orientierte er sich in „Der Riese vom Steinfeld“ vielleicht noch entschiedener als in seinen früheren musiktheatralen Arbeiten an Bergs Opernästhetik, insbesondere am „Wozzeck“. Und hierbei nahm die neue Oper Züge des Schematischen an. Die Musik bewegte sich auf zwei Ebenen, auf einer Spielwiese stilistischer Zitatvielfalt, die souverän die Stationen Prag, Berlin, London und Paris abschritt, dann, jeweils an den Präsentations-Event angehängt, kehrte sich die Musik ins seelische Innere, baute Zwischenspiel-Flächen, die in kontrapunktischen Verwebungen zum introvertiert klagenden Lied des Riesen (vom Gestus nicht unähnlich dem Lied der Marie im „Wozzeck“) zurückkehrten. Groß empfindende Operntheatralik wurde angepeilt, in dem der ganze Apparat zur Schwingungsform der individuellen Seele wird. Das grandiose Zwischenspiel nach dem Tod Wozzecks stand auch hier immer wieder Pate.

Wer also einen Aufbruch-Entwurf für die Oper ins 21. Jahrhundert erhofft hatte, wurde enttäuscht. Vielmehr legte Cerha ein Bekenntnis für eine alte Domäne der Oper ab und unterminierte es allenfalls durch Sprünge im Stilistischen, die von der Szene diktiert wurden. Im Prager Judenviertel, wo der Riese den Rabbi zum Zukunftsblick hochhebt und ihn über judenleere Zonen schauen lässt, dringen Klezmer-Allusionen in die Musik, Kaiser Wilhelm II. in Berlin denkt mit Wagners „Walküre“ an den Über-Soldaten, bei Königin Viktoria in London, bei der „größten Frau der Welt“, hält Elgar die Stange und mischt erotische Gier mit Wut des hilflosen Riesen, nach Paris führen Akkordeon-Klänge und Varieté-Getingel. Cerha schrieb dialektale Musik und in dieser Wendigkeit lagen die stärksten subversiven Momente der Oper. Die Rückkehr zum Innenleben, zur Liebesbeziehung mit der „kleinen Frau“ („Wie soll das gehen mit der Liebe zwischen dir und mir?“), zur Liebe gegenüber der Mutter, konnten sich der Rückkehr zur großen theatralen Geste nicht entziehen. Hier aber wurde Empfindung verdoppelt, die Musik weinte mit und schloss reumütig die Tore, die sie in den kurzen sarkastischen Schlaglichtern kühn und frisch geöffnet hatte. Dass man dabei das melismatisch durchvokalisierte Liebesduett auch als kritische Replik auf vormalige Opernherrlichkeit hören konnte, war dabei allerdings allenfalls ein Effekt aus zweiter Hand. Intention war vorerst Mitleid, musikalisch geliftetes Mitgefühl. Und diese Rückfälle raubten dem Stück die Brisanz, zu der es durchaus Chancen gehabt hätte.

Regisseur Jürgen Flimm und Ausstatter Erich Wonder verfolgten lustvoll die Idee der raschen Bilderwechsel. Gerne spielten sie mit der inhärenten Idee des „zu groß, zu klein“. Milchkannen oder der Thron von Wilhelm/Viktoria waren überdimensional aufgeblasen, Kirchenturmidyllen blieben im Modellbauformat.

Ein Landschafts-Vorhang mit Feldern und Wiesen überbrückte Reise-imaginierend die Zwischenspiele, in denen die Kontur der Musik zum neuen Ort hin umgeknickt wurde. Vor allem hier wusste der Zeitgenossen-feste Dirigent Michael Boder zu überzeugen. Mit Thomas Hampson hatte er zudem einen sattelfesten Riesen an der Hand.

Wien erlebte eine Opernuraufführung, die mehr auf die Geschichte der Oper zurück- als auf ihre zukünftigen Potenzen vorausblickte. Es hatte den Anschein, als wolle Cerha Resümee ziehen – und als könne er sich trotz Einbau von inneren Spitzen nur schwer von der Leidenschaft dieser Gattung (und von der Leidenschaft zu ihr) trennen.

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