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An der Schwelle zum Reich der Toten

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Madrider Uraufführung der Oper „La Señorita Cristina“ zum 70. Geburtstag von Luis de Pablo
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Es gibt wohl fast überall in der Welt Komponisten, die in der „Literaturoper“ nach wie vor ein Patentrezept sehen: Man nehme eine wertvolle Dichtung, würze sie durch kräftige oder subtile musikalische Zutaten – und fertig ist ein Stück Musiktheater mit Wiedererkennungswert. Im günstigsten Fall wirft die literarische Vorlage etwas von ihrem Glanz oder ihrem Perspektivenreichtum auf das Musikwerk ab. Doch leider gibt es oft mindestens einen Haken an der Sache: den Vergleich mit der Dichtung selbst – der für die Literaturopern nicht immer günstig ausfällt. Vor allem dann, wenn sie in enger, manchmal erstickender Umarmung des literarischen Werkes umstandslos „geradeaus“ erzählen.

Es gibt wohl fast überall in der Welt Komponisten, die in der „Literaturoper“ nach wie vor ein Patentrezept sehen: Man nehme eine wertvolle Dichtung, würze sie durch kräftige oder subtile musikalische Zutaten – und fertig ist ein Stück Musiktheater mit Wiedererkennungswert. Im günstigsten Fall wirft die literarische Vorlage etwas von ihrem Glanz oder ihrem Perspektivenreichtum auf das Musikwerk ab. Doch leider gibt es oft mindestens einen Haken an der Sache: den Vergleich mit der Dichtung selbst – der für die Literaturopern nicht immer günstig ausfällt. Vor allem dann, wenn sie in enger, manchmal erstickender Umarmung des literarischen Werkes umstandslos „geradeaus“ erzählen.Am Teatro Real in Madrid hatte der auch in Deutschland bekannte spanische Komponist Christóbal Halffter vor einem Jahr bei der Uraufführung seiner „Don Quichote“-Oper einen der inzwischen zahlreichen Wege gezeigt, diesem Vergleich geschickt auszuweichen: Zwar hatte Halffter mit Cervantes‘ Roman eine Vorlage gewählt, die an Berühmtheit kaum zu überbieten ist. Doch war er vom herkömmlichen Erzählen abgewichen, hatte mit einem klugen dramaturgischen Schachzug die Geschichte selbst als bekannt vorausgesetzt und die Verfügbarkeit der Weltliteratur zum eigentlichen Thema gemacht. Neben dem in Deutschland etwas bekannteren Halffter ist Luis de Pablo der zweite wichtige spanische Komponist aus der Generation der um 1930 Geborenen. Für das Teatro Real war es eine Selbstverständlichkeit, dem einen Komponisten nicht zu versagen, was dem anderen gewährt worden war: als nachträgliches, repräsentatives Geschenk zum 70. Geburtstag die Uraufführung einer üppig ausgestatteten Musiktheaterarbeit im großen Hause – bühnentechnisch gesehen dem größten in Europa. „La Señorita Cristina“, de Pablos vierte Oper, begibt sich auf die Spuren des Fantastischen und Magischen. Der Komponist richtete dafür die 1935 entstandene gleichnamige Novelle des rumänischen Religionswissenschaftlers und Romanciers Mircea Eliade ein. Und transformierte sie in eine geradezu mustergültige Literaturoper: sozusagen in Bescheidenheit auftrumpfend, mit dem Anspruch, die Perspektiven des Textes nachzuzeichnen.

Der Ort der Handlung ist ein Geisterhaus. Hier versetzt die Titelheldin Cristina, die aus ungeklärten Umständen ermordet worden war, mit dem Spuk nächtlicher Auferstehungen die gesamte Bewohnerschaft in Angst. Einer der Gäste, der Maler Egor, versucht dem ein Ende zu bereiten. Doch hat es Cristina gerade auf ihn abgesehen. Mehrmals und immer entschiedener nähert sie sich ihm mit unmissverständlichem Liebesverlangen. Das Ganze geht schief, weil Egor Cristinas noch blutende Wunde entdeckt und bei ihr vampirhafte Neigungen vermutet. Er entzieht sich ihr und steckt das Geisterhaus in Brand – um dann allerdings ganz am Schluss erfahren zu müssen, was an extatisch-überirdischen Liebeserfüllungen ihm durch seinen Verzicht auf diese seltsame Dame aus dem Totenreich entgangen ist.

Cristinas großer, üppig geratener Schlussmonolog, in dem diese Einsicht manifest wird, markiert eine bezeichnende Differenz zu dem von Eliade gewählten offenen Ende. Denn es ist eines der zentralen Charakteristika dieses Werkes, dass es das Thema bruchlos in die Gefilde einer klassisch koordinierten Operndramaturgie einzubetten versucht. De Pablo geht damit weit hinter das Potenzial der Novelle zurück. Er reduziert deren Perspektivenreichtum, ohne dabei gleichzeitig genügend eigene Impulse hinzuzufügen und erstarrt letztlich in ehrfurchtsvoller Ergebenheit vor einem Stück Weltliteratur. Eine der wenigen Ausnahmen, die diese Regel bestätigen, ist eine Stelle der Oper, an der ein skurril-grotesker Totentanz stattfindet. Hier gehen Musik und Handlung eine eindrucksvoll eigenwillige Verbindung ein, hier wird endlich einmal klar, dass nicht immer nur die eine der anderen als Dienerin unterworfen sein muss.

Zur Verdeutlichung der Schnittstelle zwischen der Welt der Lebenden und dem Totenreich – einem Thema, das im Musiktheater gerade in jüngster Zeit wieder Konjunktur hat – schlägt de Pablos Komposition einen vergleichsweise akademischen Tonfall an. Er hat mit seltener Akribie auf Textverständlichkeit geachtet, aber ist bei den umso mehr hervortretenden vokalen Gestaltungen zu etlichen Klischees gelangt. Die orchestrale Seite immerhin ist insgesamt um einiges überzeugender: Es brodelt und spukt in dieser Musik mit gewissem Abwechslungsreichtum. Blockflötenklänge etwa sorgen für einige faszinierend fahle Tönungen. Und man merkt de Pablos Partitur streckenweise auch an, dass er mit vielen klangfarblichen Errungenschaften der Nachkriegsavantgarde souverän umgehen kann.

Wenn seine neue Oper dennoch insgesamt um einiges zähflüssiger erscheint als verschiedene andere seiner Werke, so wird dieser Eindruck durch die Uraufführungsinszenierung noch erheblich verstärkt. José Hernández betont die beschaulichen und konventionellen Momente des Librettos und ist in seiner Zeichensprache auch dann gefällig und harmlos, wenn am Schluss alles in Auflösung gerät. Auch in inszenatorischer Hinsicht hatte Christobal Halffter bei seiner Opernuraufführung vor einem Jahr mit der Verpflichtung Herbert Wernickes eine weitaus glücklichere Hand gehabt. Wernickes Arbeit gehörte zum Suggestivsten, was an diesem vor einigen Jahren wiedereröffneten Hause bislang zu erleben war. So besteht kein Zweifel daran, dass der in Madrid eigentlich als konservativer geltende Halffter gegenüber seinem dauernden Konkurrenten de Pablo diesmal eine Art Punktsieg errungen hat. Bleibt noch zu sagen, dass die sängerischen Leistungen erneut kaum Wünsche offen ließen.

Traditionell ist das Ensemble dieses Hauses – das wie schon bei der Halffter-Oper auch diesmal ganz ohne Gäste auskam – eine seiner Stärken. Doch auch das Opernorchester unter José Ramón Encinar bewies mit einer weitgehend präzisen Leistung, dass man in Madrid das Potenzial hat, den neuerdings eingeschlagenen Weg mit zeitgenössischen Werken konsequent fortzusetzen.

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