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Kristjan Järvi und Branford Marsalis. Foto: Stefan Pieper
Kristjan Järvi und Branford Marsalis. Foto: Stefan Pieper
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Pausengespräche mit Kristjan Järvi und Branford Marsalis
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Kristjan Järvi und Branford Marsalis und musizierten in der Münchener Nationaltheater gemeinsam. Ersterer leitete das Staatsopernorchester, was beim Akademiekonzert aus dem Orchestergraben heraus treten durfte. Der Weltstar auf dem Jazz-Saxofon agierte als einfühlsamer Solist in Darius Milhauds Scaramouche sowie dem, von Elementen aus Rockmusik geprägten Tallahachie Concerto des Niederländers Jan Ter Veldhuis – für alle Beteiligten inclusive dem Münchener Opernpublikum tat sich erfrischendes Neuland auf! Und genau darum geht es Kristjan Järvi, wenn er Stereotypen im Konzertbetrieb aufbrechen will. Sein prominenter künstlerischer Partner steht diesem Anspruch nicht nach: Die Beschäftigung mit „klassischer“ Musik ist für den Saxofonisten aus Louisiana immer wieder eine Auffrischung, von der beide musikalischen Lager profitieren. Und hinter den Kulissen der Generalprobe gaben sich beide Künstler erfrischend gesprächig.

Stefan Pieper (nmz): Kristjan Järvi, was bedeutet Musik für Sie?

Kristjan Järvi: Musik ist ein organischer Teil vom Leben, ebenso wie Luft und Wasser, Nahrung und Sonne. Sie ist wie eine vierte Dimension.

nmz: Wie kann sie noch mehr gesellschaftliche Relevanz bekommen?

Järvi: Die Relevanz ist immer da. Wir haben Hiphop, House, Popmusik und vieles mehr. Ohne Musik geht garnichts. Aber von der Konzertmusik oder der „Klassik“ haben viele Menschen vorgefasste Meinungen.

nmz: Ihr großes Anliegen ist ja, solche Stereotypen aufzulösen.

Järvi: Stereotypen sind dumm. Das ist so ähnlich, wie heute viele Menschen davor Angst haben, dass uns Flüchtlinge etwas wegnehmen könnten. Viele Probleme existieren gar nicht wirklich. 

nmz: Was bedeutet dies für die Musik?

Järvi: Die Musik ist ein großes Ganzes – von der Renaissance bis zur heutigen Rockmusik und weit darüber hinaus. Und da braucht sich auch die Klassik nirgendwo vor zu verstecken. Ob das die Leute dann mögen oder nicht, ist ihr eigenes Ding. Wir sollten uns eher über das „Wie“ und über das „Warum“ unserer Sache Gedanken machen! Wer aufrichtig agiert, wird immer ein Publikum haben.

nmz: Wie bekommt man das hin, wo der Großteil unserer Lebenswirklichkeit von der Unterhaltungsindustrie konditioniert wird?

Järvi: Ein verantwortungsvoller Künstler muss vor allem ein guter Kommunikator sein. Er muss ein Vehikel sein, um die Rezeptoren und Sinne der Menschen zu öffnen. Als Dirigent bin ich darüber hinaus für die Musiker verantwortlich: Es geht darum, eine Atmosphäre zu kreieren, in der man sich frei fühlt.

nmz: In der Regel sind die Musiker ja halb so alt wie das Konzertpublikum.

Järvi: Das physische Alter hat doch keine Bedeutung. Viel wichtiger ist das mentale Alter. Wer etwas mit Selbstbewusstsein tut, wird damit auch immer Erfolg haben. Egal ob wir über klassische Musik sprechen oder Designer sind, oder ob wir Schiffe bauen. Was wir tun, spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass wir es mit Überzeugung und Lust tun!

nmz: Was bedeutet dies für die Haltung als Musiker?

Järvi: Klassische Musiker und auch ihre Zuhörer hielten sich lange für etwas besseres. Solche Unterscheidungsrituale funktionieren heute nicht mehr. Grenzen und Barrieren müssen eingerissen werden. Die Welt ist viel kleiner geworden durch das Tempo, in dem wir kommunizieren. Es geht darum, zwischen allen Menschen, die auf dem Planeten leben, Harmonie herzustellen. Auf unserem Planeten ist so viel Dissonanz. Wir sollten die Konsonanz wiederfinden.

nmz: Wie sehen Sie Ihren prominenten Partner in diesem Kontext?

Järvi: Branford ist ein Musiker, der alle Genres transzendiert. Er ist jemand, der in der Welt des Jazz bleiben könnte aber es nicht tut. Das ist so großartig bei einem Künstler wie ihm. Und es wird immer normaler, das man als Künstler viele Dinge tun möchte und nach Universalität strebt.

nmz: Mr. Marsalis, ist das Spielen klassischer Kompositionen für einen Jazzer eine besondere Herausforderung?

Branford Marsalis: Ja, das ist sie. Es ist eine andere Form von Musik. Vor allem, weil es fremdbestimmter ist. Da gibt es Stellen, da musst spielen und andere, wo du nicht spielen sollst. Bei Jacob Ter Veldhuis „Tallahachie Concerto“ sind im ersten Satz ganz lange, ruhige Bögen zu spielen. Das ist gerade auf einem lauten Instrument wie dem Saxofon ungeheuer anstrengend.

nmz: War es ein völlig neues Projekt, als Sie zum ersten Mal komponierte Konzertmusik gespielt haben?

Marsalis: Ich spreche ungern von Projekten. Alles ist Teil einer einzigen Entwicklung. Vor allem macht das klassische Musizieren – nennen wir es mal so – mein Jazzspiel besser. Ich lerne ganz neue Möglichkeiten, das Instrument zu kontrollieren und es tun sich für beide Musikrichtungen neue künstlerische Möglichkeiten auf.

nmz: Sehen Sie überhaupt Grenzen zwischen den unterschiedlichen musikalischen Disziplinen?

Marsalis: Menschen möchten emotional bewegt werden. Und das ist in jeder Musik dasselbe – egal ob in Jazz oder Klassik. Die Wege, die dahin führen, sind sehr unterschiedlich, aber beides wird durch Einflüsse von außen immer besser. Wenn ich eine klassische Komposition spiele, wird sie durch das Bewusstsein, wo sich der Beat befindet, einfach besser, da ist das Rhythmusgefühl aus dem Jazz sehr ungeheuer bereichernd. In der Klassik lernen wir, mit feiner Dynamik umzugehen – das fördert im Jazz wiederum  die Sensibilität, gerade wenn es um leises Spielen geht.

nmz: Wie sehen Sie Ihre eigene Rolle?

Marsalis: Ich möchte keine Massen erreichen. Ich möchte für Menschen spielen, die gerne und bewusst zuhören. Viele haben diese Fähigkeit schon verloren. Im angloamerikanischen Raum ist schon die Begrifflichkeit bezeichnend: Viele sagen mittlerweile, ich will ein Konzert „sehen“ und nicht „hören“. Denen kommt es auf das äußere Drumherum an. Ein Song wird gemocht, wenn man ihn mitsingen kann.

nmz: Welche Verantwortung trägt ein Musiker in schwierigen Zeiten?

Marsalis: Die Zeiten sind immer schwierig gewesen – historisch betrachtet. Wir Musiker sollten uns einfach darauf besinnen, immer unser Bestes zu geben. Am besten zu sein, ist viel wichtiger als am populärsten zu sein! Man kann selten beides haben. Wenn du vor allem gut und dadurch vielleicht weniger populär sein willst, musst Du auch akzeptieren, was dies für dein Leben bedeutet.

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