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Benefiz wird zum Benefit, Politik zum Poster

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Die neue Marketingphilosophie der Tonträgerindustrie. Zum „Echo Klassik“
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In der Schallplattenindustrie, die sich selbst gerne egozentrisch als „die Musikbranche“ bezeichnet, geht es zunehmend drunter und drüber. Einerseits Jubelfeiern (Überschrift der Branchen-Postille „Der Musikmarkt“ zur Jahrestagung der BMG-Ariola-Gesellschaften in Berlin: „Rekordumsätze und exzellente Betriebsergebnisse sorgten für ein spektakuläres Geschäftsjahr“) und Parties (dortselbst zur Vertriebstagung von Edel Records auf Malta: „Präsentation neuer Produkte und Problemfindung am Pool“), andererseits Hiobsbotschaften über angeblich weltweit sinkende Tonträger-Umsätze. Zumindest mit den im Vergleich zu fast allen anderen Wirtschaftsbereichen hohen Zuwachsraten und Gewinnmargen scheint langsam Schluß zu sein. Wie reagieren die hochbezahlten Topmanager der Zunft? Sie beginnen wild um sich zu schlagen, auf vermeintlich Schwächere versteht sich, und ohne Rücksicht auf Verluste, die ihnen selbst möglicherweise einmal in Rechnung gestellt werden. Allen Ernstes fordern führende Vertreter aus der Industrie seit kurzem, die öffentliche Förderung von Musikschulen und Opernhäusern, des klassischen Musiklebens überhaupt, auf die Popularmusikkultur auszuweiten und, wenn das bei knappen Kassen nicht geht, dann eben umzulenken. „Fördern Sie die Kultur nicht mehr nur nach althergebrachten Mustern, sondern stellen Sie sich auf die neuen Strömungen des Musikkonsums ein“, forderte zuletzt auf der PopKomm. in Köln Gerd Gebhardt, Präsident von Warner Music Zentraleuropa. Gebhardt und auch der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft, BMG-Chef Thomas M. Stein, werden dabei nicht müde, ihre Forderung mit der Behauptung zu untermauern, die Plattenindustrie stecke jedes Jahr hundert Millionen Mark in die Förderung junger Künstler und sei damit der größte Förderer, Mäzen gar, im Lande. Hier irren die Herren! Noch ist der größte Förderer der Staat, und mäzenatisch sind vielleicht die Privatpersonen und Unternehmen mit ihrem Beitrag für die Deutsche Stiftung Musikleben, ganz sicher jedoch nicht die Deutsche Phonoakademie, die, wie es sich für einen Sponsor gehört, sehr um gute Presse für ihre Studenten an der Liverpooler Popmusikakademie von Paul McCartney bemüht ist. Damit sind wir beim Marketing. Benefiz und benefit, wohl in keinem anderen Bereich liegen sie so dicht beieinander wie in der Popmusik. Es gibt kaum eine Branche, der es wie der Pop-Platten-Industrie gelungen ist, die Handlungsweise „Tue Gutes und rede darüber“ derart zu perfektionieren, daß das Gute eher zur Nebensache wird. Wehe ein Megapopstar, dessen exorbitant hohes Einkommen öffentlich erzielt und dargestellt wird, entzieht sich. Elton John hatte, als er zustimmte, auf der Trauerfeier des Jahrhunderts seinen sicherlich ehrend und ehrlich gemeinten Beitrag zu leisten, wohl keine andere Wahl. So hat er mit Englands Rose nicht nur mehr Menschen gleichzeitig erreicht, als jemals ein Musiker vor ihm, er wird auch für den größten Geldbetrag sorgen, der jemals mit einer Benefiz-CD eingenommen wurde. Am Ende könnte Diana noch die weltweite Stagnation der CD-Verkäufe aufgehalten haben. Auch die Klassik ist von der Benefizwelle erfaßt worden. Jüngstes Beispiel ist der „Echo Klassik - Deutscher Schallplattenpreis“, der seit zwei Jahren mit einer Spendenaktion zugunsten des Wiederaufbaus der Dresdener Frauenkirche verbunden wird. Seitdem wird er zur besten Klassik-Sendezeit Sonntags vormittags live im ZDF übertragen. Einem zu 90 Prozent über 50 Jahre alten Publikum wird dabei der Denkmalschutz angedient. Sicher berechtigt, aber das soll der Klassik-Event des Jahres sein? Schon wieder wird verwechselt: Der Käufer klassischer CDs mag kaufkraft- und bildungsbedingt eher älter sein. Die eigentlichen Träger des klassischen Musiklebens sind es jedoch nicht. Es sind die eine Million Schüler der öffentlichen Musikschulen, ihre zigtausend Lehrer, tausende von Schulmusikern und noch einmal einige Millionen haupt- und nebenberufliche Orchester- und Chormitglieder und ihre Leiter, die in der Regel das klassische Musikrepertoire pflegen. Sie interessieren sich für sogenannte klassische Musik, die in Wahrheit eine immense Vielfalt von tausend Jahren Musikgeschichte umfaßt, weil sie persönlich erleben können, was es heißt, ein Instrument zu erlernen und zu spielen, hören zu können, gemeinschaftlich zu musizieren. Aber sie interessieren nicht in einer Fernsehgala, in der ihnen, sofern sie zusehen mögen, ein stimmlich schwacher, aber blinder Startenor, ein musiktherapeutisches Filmobjekt, ein rockendes Geigensexbömbchen vorgeführt werden. Fazit: Zielgruppe verfehlt. Zum Glück gab es den diesjährigen „Echo Klassik“ auch noch für Thomas Hampson, Maxim Vengerov, Michala Petri, das Mannheimer Streichquartett und – nachdem die Fernsehkameras aus waren – sogar für das Ensemble Modern. Dessen Leiter Andreas Mö-lich-Zebhauser nahm den Preis nur unter der Bedingung entgegen, daß im kommenden Jahr das aktuelle Musikschaffen vor laufenden Kameras zu Ehren kommt. Er wird seine Trophäe in zwölf Monaten wohl wieder abgeben müssen. Für die großen Schallplattenfirmen sind CDs mit klassischer Musik eine Art unter vielen, mit Musik Geld zu verdienen, leider nur eine wenig profitable. Warum das so ist, warum trotz aller Crossover- und Popmarketing-Anstrengungen immer weniger junge Leute klassische Musik hören (können), hat auch handfeste kultur- und bildungspolitische Ursachen. Die Tonträgerindustrie täte gut daran, eine Lobby für das klassische Musikleben und die musikalische Bildung massiv zu stärken, anstatt ihr absichtlich oder unüberlegt entgegenzuwirken.

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