Hauptrubrik
Banner Full-Size

Bilanz nach einem Jahr Bundeskulturpolitik

Untertitel
Der Staatsminister für Kultur, Michael Naumann, im Gespräch mit Eckhard Gropp
Publikationsdatum
Body
Seit einem Jahr residiert der bundesdeutsche Kulturstaatsminister Michael Naumann in Berlin. Zieht man die Bilanz aus seinen Reden, Statements und Presseerklärungen, dann kommt der Eindruck auf, dass die Musik eine vergleichsweise untergeordnete Rolle für ihn zu spielen scheint. Es fehlt der Akzent, den Naumann in Bereichen wie Holocaust Mahnmal oder Buchpreisbindung gesetzt hat. Am 13. Oktober hatte Eckhard Gropp, Mitarbeiter der Musikszene/WDR 3, die Gelegenheit, Michael Naumann zum Thema Musik zu befragen. Die neue musikzeitung druckt das Interview in leicht gekürzter Form ab. Eckhard Gropp: Warum spielt Musik für Sie nicht die erste Geige? Michael Naumann: Das hat damit zu tun, dass gerade die Musik im kommunalen Bereich eine wesentlich größere Rolle spielt, als ihr das im Allgemeinen zugeschrieben wird. Ich denke an die vielen Chöre, ich denke an die vielen Laien-Orchester. Da bin ich einfach nicht zuständig. Was nun das Überregionale betrifft, so habe ich mich in einigen Dingen regelmäßig zu Wort gemeldet. Denken Sie nur an die sogenannten Zuwendungsempfänger wie die Philharmonia Hungarica, die Bamberger Symphoniker, denken Sie an Bayreuth, an die Opern in Berlin, die durch den Hauptstadt-Kulturfonds des Bundes mit gefördert werden. Also: Musik spielt keine unwichtige Rolle. Das Thema ist aber Gott Lob keines, das wirklich brennt. Michael Naumann Gropp: Ist das tatsächlich so? Gerade der Laien-Bereich, so habe ich den Eindruck, fühlt sich jetzt ein wenig vernachlässigt. Dort hat man offenbar größere Hoffnungen in Ihr Amt gesetzt. Wir kommen darauf gleich zu sprechen. Lassen Sie uns aber damit beginnen, welche Hoffnungen Sie selbst in ihr Amt gesetzt haben. Sie haben mal gesagt, es sei für Sie die letzte Chance, politisch Ideen umsetzen zu können. Was ist davon übrig geblieben bei den politischen Realitäten, denen Sie dann ausgeliefert waren? Naumann: Ich kann eigentlich nicht klagen. Es ist eine Menge umgesetzt worden. Während des Wahlkampfes habe ich in Zusammenarbeit mit der zukünftigen Regierung und dem zukünftigen Bundeskanzler angekündigt, dass wir die kulturpolitischen Mittel für die Neuen Länder verdoppeln werden. Das ist geschehen. Und übrigens hier auf mein Betreiben hin auch vor allem im Musik-Bereich. Gropp: Können Sie das konkretisieren? Was ist für sie musikalisch „von besonderer Bedeutung“ für den Bund? Naumann: In den Neuen Ländern – in Sachsen-Anhalt und in Sachsen – befindet sich das Zentrum der Deutschen Barockmusik – also Schütz, Telemann, die Bach-Familie. Und da fördert der Bund nicht nur Schulen und Institutionen, sondern sorgt zum Beispiel auch durch den Ausbau des Schlosses, in dem Bach in Köthen – meiner Heimatstadt, das darf ich hier ruhig sagen – die großen säkularen Werke geschrieben und auch zur Aufführung gebracht hat. Die Festspiele in den Bach-Orten der Neuen Länder untereinander zu verknüpfen, ist auch etwas, das ich angeregt habe und das derzeit auch geschieht; zum Beispiel durch die Renovierung der Spielstätten. Das ist ja die Aufgabe von Kulturpolitik: die Podien zu verbessern, nicht die Musiker zu besseren Musikern zu machen oder sie gar zu kritisieren. Das zählt mit zu den Ergebnissen meiner Arbeit. Insgesamt muss man sagen, ist durch die Kulturpolitik der neuen Regierung bis zum Jahre 2003 eine Gesamtsumme von fast einer halben Milliarde Mark, die vorher nicht da war – das muss man einfach so sehen –, zur Förderung kultureller Institutionen in den Neuen Ländern mobilisiert worden. Kürzen und verdoppeln Gropp: Wobei Ihnen andererseits von Herrn Lammert von der CDU eine Kürzung um 200 Millionen bis 2003 angekreidet wird. Wie kommt das zustande? Naumann: Die Opposition benutzt ganz offenkundig die selben Taschenrechner, mit denen sie den Haushalt der Bundesrepublik buchstäblich in den Dreck gefahren hat. Es ist einfach so: Diese Regierung hat eine gewaltige Verschuldung, die größte in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik, geerbt. Und sie wird mit dem Kurs, den wir jetzt fahren, das Land sanieren. Das bedeutet auch für die Kulturpolitik, dass sie an einigen Plätzen kürzer treten muss. Allerdings, und da irrt Herr Lammert, ist es so, dass für die Neuen Länder ein Kulturetat für das Jahr 1999 von 120 Millionen Mark vorgesehen war. Diesen hat mein Amt verdoppelt. Gropp: Aber insgesamt bleiben die 7,4 Prozent Einsparungen bestehen, die Ihnen der Haushalt vorgibt, die Ihnen der Finanzminister vorgibt. Das betrifft auch Ihr Amt. Naumann: Ja, ich habe umgeschichtet und politische Akzente gesetzt. Aber Tatsache ist, dass die Neuen Länder einen Zuwachs von 100 Prozent der Zuwendungen in diesem Jahr erfahren haben und bis zum Jahre 2003 die vorhin schon erwähnten insgesamt 250 Millionen Mark, die aufgrund der Komplementär-Finanzierung (das heißt des Zwangs der Länder, die dieses Geld bekommen, den gleichen Betrag noch einmal draufzulegen) anwachsen auf eine halbe Milliarde Mark für Kulturpolitik und kulturpolitische Maßnahmen; vor allem eben für die Pflege von Museen, Theatern, Musik-Institutionen jeglicher Art. Dieses alles ist eine außerordentliche Verbesserung der Situation, die wir vorgefunden haben. Es wird dort übrigens auch von den CDU-regierten Ländern so verstanden. Streiken oder krank melden Gropp: Trotzdem kommt es zu Schließungen und Fusionen von Orchestern nun gerade auch im Bereich der Neuen Bundesländer. Wie verträgt sich das miteinander? Naumann: Die Schließungen von Orchestern zum Beispiel in Brandenburg sind seit Jahren ganz offenkundig fällig gewesen aufgrund der äußerst knappen Haushaltsmittel der Länder. Sie sind hinausgeschoben worden, solange es ging. Ich glaube, mit dem gutem Willen aller Beteiligten, übrigens auch der Musiker, wäre die Schließung zum Beispiel des Potsdamer Orchesters zu verhindern gewesen. Gropp: Hätten Sie da moderieren können? Wäre das ein Teil Ihres Amtes gewesen, so wie Sie es verstehen? Naumann: Wenn Musiker das Angebot haben mit einem anderen Orchester zu fusionieren, um ihre Arbeitsplätze zu retten und das ablehnen und dann ihr Orchester aufgrund dieser ablehnenden Haltung – so war es ja schließlich – nicht mehr weiter operieren kann, ganz einfach, weil der Steuerzahler in Brandenburg, dem ärmsten Land der Bundesrepublik, das Geld dafür nicht aufbringen kann, dann ist den Musikern leider kaum zu helfen. Gropp: Berücksichtigen Sie dabei denn, dass Orchester zwangsläufig andere Unternehmungen sind als Wirtschaftsunternehmen, die ohne weiteres fusionieren können, dass natürlich auch emotionale Befindlichkeiten eine Rolle spielen – bei Musikern, bei Künstlern, die kreativ tätig sind? Naumann: Das würde ich gerne berücksichtigen, leider beobachte ich gleichzeitig eine sehr ausgeprägte Gewerkschafts-Mentalität. Wenn zum Beispiel hier in der Deutschen Oper, einem der renommiertesten Häuser des Landes Musiker streiken, aber noch nicht einmal die Zivilcourage aufbringen, in Streik zu treten, sondern sich krank melden und damit die Premiere von „Moses und Aron“ von Schönberg ruinieren sowie weitere Aufführungen dieser hoch teuren Inszenierung verhindern, weil sie zu ihrem Gehalt von durchschnittlich 110.000 Mark per annum noch eine Medienzulage haben wollen – eine Medienzulage für Medienleistungen, die sie gar nicht erbracht haben –, dann muss ich sagen, ist das eigentlich kein künstlerisches Argument. Das hat nichts mit Emotionalität zu tun, sondern mit einer durch und durch gewerkschaftlich inspirierten Haltung zu ihrem eigenen Beruf, die ganz offenkundig an die Grenze des Machbaren geführt hat. Das sind Probleme, die der Bund nicht lösen kann. Die müssen vor allem die Musiker selbst lösen, und die muss auch die Intendanz der Deutschen Oper lösen. Gropp: Sie sind nun ein Jahr im Amt. Welche Akzente möchten Sie in nächster Zeit im musikalischen Bereich setzen? Naumann: In einem Jahr kann man natürlich nicht alles machen. Einen größeren Akzent möchte ich in Zukunft vor allem auf die Förderung des Musikunterrichts an der Schule setzen. Und das kann man auch symbolisch machen. Das ist nicht immer nur Geld, was da eine Rolle spielt. Der Musikunterricht an der Schule ist nach Aussagen aller Kenner ins Hintertreffen geraten. Ich halte das für hoch problematisch. Es ist auch aus verschiedenen anderen Gründen problematisch, die etwas mit dem Wirtschaftsleben in unserem Lande zu tun haben. Prinzipiell ist es so, dass Musik die Fenster zur eigenen Seele öffnet. Das ist meine feste Überzeugung. Dass die Musik in den Schulen ins Hintertreffen geraten ist, wie übrigens auch der Zeichenunterricht, ist höchst bedauerlich. Das scheint mir etwas mit der Ökonomisierung unseres Selbstbewusstseins in Deutschland zu tun zu haben. Dass dieses Land eine Kulturnation sei, erzählen wir permanent allen anderen in Europa mit großem Stolz und weisen auf unsere zahlreichen Opernhäuser hin. Dass aber in diesen Opern und überhaupt in den Konzerten immer weniger junge Menschen auftauchen, ist nachweisbar und ein Problem. Und das hat etwas zu tun mit dem Musikunterricht. Hier gilt es eben ein öffentliches Bewusstsein zu erzeugen, um dieses Defizit zu verstehen. Bewusstseinsbildung nötig Gropp: Welche Möglichkeiten werden Sie wahrnehmen, um das öffentliche Bewusstsein zu schärfen, ohne dabei den föderalen Strukturen zu sehr ins Handwerk zu pfuschen? Naumann: Sie wissen ja, dass es in einigen Ländern Musik-Gymnasien gibt; eine wunderbare Einrichtung. Und wer einmal eines dieser jungen Orchester gehört hat, glaubt seinen Ohren nicht zu trauen, wie perfekt die sind. Gropp: Es gibt aber auch andere Schulen, da gibt es über lange Jahre gar keinen Musikunterricht... Naumann: Das kann auch nicht der Sinn sein, dass die besten Talente des Landes in Spezialschulen versammelt werden und dort erstklassige Sinfonieorchester aufbauen mit einem Durchschnittsalter von 17 Jahren. Es kommt darauf an, dass der Musikunterricht in ganz Deutschland wieder auf das Niveau zurückgeführt wird, das er irgendwann einmal gehabt haben muss. Gropp: Was für Aktionen könnte man sich da vorstellen? Ich denke jetzt an Institutionen wie den Deutschen Musikrat, der ja immer wieder den Versuch unternimmt, konzertierte Aktionen ins Leben zu rufen. Gibt es da Möglichkeiten einer Zusammenarbeit? Oder könnten Sie sich vorstellen, für solch eine Aktion zum Beispiel eine Schirmherrschaft zu übernehmen? Naumann: In erster Linie kommt es darauf an, dass die Kultusminister-Konferenz sich mit diesem Thema intensiver beschäftigt, als das offenkundig der Fall ist. Es liegt aber nicht an mir, die Tagesordnung der Kultusminister-Konferenz zu entwerfen. Das muss sie selber tun. Hier ist auch der Musikrat gefordert, der übrigens auch vom Bund finanziell unterstützt wird. Gropp: Wie ist da die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem Deutschen Musikrat? Naumann: Wir haben uns gerade zu diesem Thema mehrfach ausgetauscht. Inzwischen wird es dazu kommen, dass der Europäische Musikrat, der europäische Dachverband aller Musikschaffenden, nach Bonn verlegt werden wird. Das ist auch meiner Initiative zu verdanken. Bundespolitische Reizthemen Gropp: Nun ein Schwenk zu den „Reizthemen“. Wie war das mit Ihrer Anregung in Bayreuth die Eintrittspreise zu erhöhen? Naumann: Die Wahrheit ist, dass es doch sehr schön wäre, wenn Karten, die zehnfach überzeichnet sind, die sie gar nicht bekommen, einem transparenten Vergabe-System unterworfen werden. Da beginnt für mich die Demokratie. Es gibt in Bayreuth auch die sogenannten Gewerkschafts-Vorführungen. Auch die Vergabe dieser Karten würde mich sehr interessieren. Aber das ist nicht meine Aufgabe. Ich bin nicht der Demokratisierer der in sich selbst ebenso fabelhaften wie politisch hoch interessanten Festspiele, sondern meine Aufgabe ist es ganz einfach, dafür zu sorgen, dass die Steuergelder sinnvoll und transparent zur Förderung von Kultur benutzt werden, sofern der Bund sich in diesen Gebieten engagiert. In einem Wort: Die 239.000 Mark Kürzung gegenüber 1999, die in der Tat – ich wiederhole es – die Hälfte eines Gala-Aufführungs-Honorars von Placido Domingo in der Hamburger Staatsoper, deren Aufsichtsrat ich fünf Jahre angehörte, entsprechen, diese Summe zu einem solchen Politikum zu machen, das ist einfach fadenscheinig. Gropp: Noch ein Politikum: Was für eine Zukunft hat die Philharmonia Hungarica aus Ihrer Sicht? Naumann: Das ist für mich kein Politikum, weil bereits der Vorgänger im Innenministerium, bei dem diese Zuständigkeit bis zum Regierungswechsel lag, nämlich Herr Kanther, die Einstellung der Förderung dieses Orchesters beschlossen hatte. Der Grund dafür ist eindeutig: Dieses Orchester hat sich 1956 konstituiert mit hervorragenden, vor dem Einmarsch der Russen geflohenen Philharmonikern aus Budapest und ganz Ungarn. Die historische Leistung dieses Orchesters wird überhaupt nicht in Frage gestellt. Die Frage stellt sich allerdings heute, warum ein Orchester, das nicht mehr diese politische repräsentative Rolle hat, die das Exil-Orchester damals hatte, weiterhin vom Bund gefördert werden soll. Die Grenzen zu Ungarn sind offen. Warum soll also heute vom Bund ein Orchester, das buchstäblich durch die Lande fährt wie andere Orchester auch, gefördert werden, wenn dieser ursprüngliche politische Zuwendungsgrund entfallen ist? Kulturfinanzierungsmodelle Gropp: Muss die Philharmonia Hungarica sich jetzt nach privatem Sponsoring umsehen? Naumann: Erst einmal wird das so geschehen, wie das immer geschieht in Deutschland, wenn der Staat sich aus irgendeinem Zuwendungs-Bereich zurückzieht. Es werden schwere politische Geschütze aufgefahren werden. Darauf bin ich schon vorbereitet. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass bereits Herr Kanther sagte, es gehe nicht mehr so weiter. Des weiteren wird der Bund helfen – anders übrigens, als das ursprünglich geplant war –, mit Sozialplänen beziehungsweise mit Übergangsgeldern, auf alle Fälle aber mit einem gleitenden Ende der Zuwendungen, dafür zu sorgen, dass hier nicht Menschen mit ihren Instrumenten auf der Straße stehen. Gropp: Ist das Sponsoring denn etwas, was Sie sich in Zukunft wesentlich stärker denken könnten? Ich denke dabei zum Beispiel an die Orchester-Landschaft in den USA, wo das private Sponsoring ja wesentlich stärker ausgeprägt ist. Naumann: Tatsache ist natürlich, dass die moderne Musik in Deutschland eine größere Plattform findet als das zum Beispiel in der Metropolitan Opera der Fall ist. Eine Kommissionierung eines Komponisten wie Rihm durch die Hamburger Staatsoper oder die Berliner Philharmoniker ist bei uns wesentlich selbstverständlicher als in den durch und durch privat finanzierten amerikanischen Orchestern. Auftrag Neue Musik Gropp: Sähen Sie das also gefährdet durch eine „Nur-Sponsoring-Kultur“, durch eine Event-Kultur, die dann daraus resultieren könnte? Naumann: Das ist eine sehr fiktive Frage. Ich glaube, dass es dazu niemals kommen wird. Es ist ja schon jetzt so, dass die durchaus nicht unbeträchtlichen Steuerabschreibungsmöglichkeiten, die für Sponsoring, Mäzenatentum und Stiftungsgelder zur Verfügung gestellt werden, gar nicht ausgenutzt werden. Für die Kultur werden in Deutschland per annum ungefähr 500 Millionen Mark gestiftet, nicht gesponsert. Das ist für das drittreichste Land der Welt doch eher eine klägliche Summe. Allerdings wird diese Regierung das Stiftungsrecht renovieren. Und das wird hoffentlich auch Auswirkungen haben auf den Musik-Bereich und den besonders teuren Teil der Musik-Kultur, den Instrumenten-Bereich. Die Abfolge beginnt mit einem Passus im Steuerreform-Gesetz, indem vor allem im kulturellen Bereich und sehr viel auch im musikalischen Bereich Ansporn gegeben wird, zu stiften, und zwar bis zu einer Höhe von 50.000 Mark. Das ist eine relativ große Summe, und sie können sich vorstellen, dass da auch jetzt noch mit dem Finanzministerium drum gekämpft wird. Aber die Zukunft der deutschen Musik-Kultur, die beträchtlich ist, abhängig zu machen von einer reinen Sponsoren- und Stiftungs-Mentalität in Deutschland, das halte ich für verwegen. Gropp: Und die Tendenz zu mehr Sponsoring und Fund raising sehen sie auch nicht? Naumann: Die Tendenz sehe ich nicht. Sie wäre aber auch nicht abzulehnen. Es wäre sinnvoll, wenn die nicht unbeträchtlichen Geldmengen, die in diesem Land angehäuft werden, in stärkerem Maße als bisher in die Musik-Kultur fließen. In Amerika sieht es ja so aus, dass die großen Sinfonieorchester zu fast 90 Prozent privat finanziert sind mit Gehältern, die sich mit den unseren messen lassen können. Das ist eine Sache, die man betrachten muss. Allerdings war ich gerade in Amerika und habe dort von denen, die diese Orchester leiten, zum Beispiel vom Chef des Stiftungsrates des Los Angeles Symphony Orchestras, gehört, dass die es eigentlich gerne so hätten, wie wir es haben. Wo der Steuerzahler geradezu verpflichtet ist, seinen Obolus für die Aufrechterhaltung der Musik-Kultur des Landes beizutragen. Die Wahrheit liegt hier in der Mitte. Ich glaube, dass in absehbarer Zeit die privaten Zuwendungen für die großen Orchester in Deutschland zunehmen werden. Gropp: Aber hoffentlich nicht auf Kosten des Repertoires. was Sie ja gerade ansprachen, denn die Neue Musik ist ja nun ein sehr wunder Punkt. Wenn ein Komponist wie Stockhausen sagt, in Deutschland stünde die Neue Musik doch „sehr weit hinten an“. Für seine Begriffe sollten 50 Prozent der Kultur schon „Neues“ sein, sonst sei eine Gesellschaft für ihn „kaputt“. Ist das etwas, wo zu wenig getan wird, wo auch der Bund Akzente setzen könnte? Naumann: Ich persönlich habe doch nicht die Aufgabe, Maler oder Komponisten mit Aufträgen zu versehen. Das ist die Aufgabe der Intendanten der großen Häuser in Deutschland, und das tun sie ja auch. Der Bund subventioniert beispielsweise in Berlin auf der Grundlage des Hauptstadt-Vertrages und auch in Bonn diese großen Podien der Kultur. Wie die Intendanten und die Verantwortlichen dann dort mit den Geldern umgehen, das liegt in der Tat in ihrer Hand. Es kann nicht sein, dass es hier einen Chef-Intendanten auf Bundesebene gibt, der plötzlich sagt: 50 Prozent, wie Herr Stockhausen sagt, in Moderne Musik. Das wäre närrisch. Musik und Film Gropp: Die Film-Förderung ist ein für Sie sehr wichtiger Bereich. Auf der anderen Seite spielt die Filmmusik immer eine nur am Rande gelegene Rolle, im Deutschen Film insgesamt. Bei vielen Budgetierungen liegt der Budgetanteil, der für Filmmusik ausgegeben wird, bei drei Prozent. In den USA, wo Sie ja gerade in dieser Angelegenheit waren, ist das ganz anders. Ist das ein Bereich, der hier zu kurz kommt? Naumann: Im Deutschen Film kommt vieles zu kurz! Die sogenannte Post-Production-Phase, also die Zeit des Schnitts und der Musik ist viel zu kurz für die Produzenten, fast nur halb so lang wie für amerikanische Filmproduzenten. So sehen manche Filme denn auch aus! Das hilft ihrer Export-Fähigkeit nicht. Dann gibt es aber andere Filme, denken sie nur an „Lola rennt“, die aufgrund ihrer musikalischen Qualität besonders viel Zuspruch gefunden haben. Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass gerade moderne Musik im Film einen großen Platz hat und einen Platz bekommen sollte. Das heißt, dass die Ausgaben vor allem auch der subventionierten Fernsehfilm-Produktionen und Film-Produktionen überhaupt einen stärkeren Wert darauf legen sollten, zeitgenössische Musik mit zu inkorporieren. Popularkultur Gropp: Einen sehr wichtigen Bereich haben wir bisher ausgelassen. Wir haben über Hochkultur bezogen auf klassische Kultur gesprochen, aber was ist im Bereich der Popmusik, wie sehen Sie diese Landschaft? Naumann: Das Interessante ist hier die Aufgabe des Bundes, teilzuhaben an einer Verbesserung des Urheberrechts. Tatsache ist, dass aufgrund der Digitalisierung und der Möglichkeit, inzwischen auch zu Hause eine CD nachzubrennen, der Musikindustrie auch gerade im Pop-Bereich außerordentlich hohe Verluste zugemutet werden. Hier versuchen wir in Zusammenarbeit mit dem Europarat und den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union das Urheberrecht zu harmonisieren und zu modernisieren, um diesen neuen Piraterien einen Riegel vorzuschieben. Ich bin allerdings der Meinung, dass das aufgrund der Universalität der digitalen Technik fast unmöglich geworden ist und buchstäblich ein weltweites Problem verursacht. Das hat zur Konsequenz, dass sich die Popmusik-Industrie aufgrund ihrer geringer werdenden Gewinne auf die Bestseller konzentriert. Dieses wiederum hat zur Konsequenz, dass es eine gewisse musikalische Verarmung geben wird. Neue Gruppen, die etwas anderes und völlig Neues probieren, werden nicht so oft die Marktchance bekommen, die sie eigentlich haben sollten, denn die Industrie muss auf Nummer Sicher gehen, weil ihr die Rendite wegläuft. Das sind sehr interessante Zusammenhänge, die möglicherweise dazu führen, dass die Entwicklung der Popmusik stagniert. Defizit Musikunterricht Gropp: Wie sieht das im Jazz-Bereich aus? Sie haben ja nun in der Familie eine bekannte Jazz-Sängerin. Was sagt die ihnen zum Thema Jazz? Naumann: Wenn Sie an Alexandra Naumann denken, dann ist sie eigentlich repräsentativ für die Jazz-Szene in Deutschland, eine erstklassige Jazz-Sängerin mit einer großen Stimme, doch der Jazz hat in Deutschland kein großes Publikum. Noch weniger übrigens in Amerika, dem Geburtsland dieser Musik. Woher das kommt, weiß ich nicht. Ich bedaure das sehr. Es hat wohl wiederum etwas zu tun mit dem Unterricht an den Schulen. Ich kann mich erinnern, dass wir in Jazz eingeführt wurden, durch erstklassige Musiklehrer, die uns über Gershwin langsam zum Bebop führten. Das ist vielleicht heute nicht mehr der Fall. Andererseits gibt es hier in Berlin und sicher auch anderswo gute Jazz-Sender, die die erzieherische Arbeit der Schulen ergänzen. Gropp: Sie hätten doch eine ganze Menge konkreter Anregungen für die Kultusminister-Konferenz. Wollen Sie die nicht doch einbringen, ohne sich zu sehr einzumischen? Naumann: Die Kultusminister-Konferenz fürchtet das Gespräch mit einem Staatsminister der Kultur vom Bund etwas. Sie hat verfassungsrechtliche Vorbehalte, die mit der Realität unseres Landes eigentlich gar nicht viel zu tun haben. Mein Amt steht indes keineswegs in einem Konkurrenzverhältnis zur Kulturhoheit der Länder. Im Gegenteil: Wo es möglich ist, soll sie gestärkt werden. Deshalb hoffe ich auf ein steigendes Gesprächsbedürfnis von Seiten der Kultusministerkonferenz. Der Abdruck erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Westdeutschen Rundfunks (“Musikszene“/WDR 3)

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!