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Das Böse ist immer und überall*

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Während ich bei abgedunkelter Wohnung, allzeit bereit meine Nachbarn als Kofferbomber zu denunzieren, auf Wolfgang Schäubles prophezeite nukleare terroristische Bombe im Briefkasten warte, spielt sich eine bisher nicht analysierte Bedrohung im deutschen Musik-Fernsehen ab: POPSTARS, MTV, Popkomm und RTL heißen die Terroristen der neuen Generation. Da formiert sich zum x-ten Mal eine bereits vorher vergessene POPSTARS-Band im kreativen Terrorcamp von PRO 7; natürlich unter Drohungen und Videobotschaften des tanzenden Mr. Wichtig „Dee“. Trotz mutmaßlicher Musikexperten wie Dieter Falk oder Jane Comerford muss man wöchentlich ein Furcht erregendes und Angst einflößendes Geplärre der Kandidaten auf ihrem musikalischen Dschihad ertragen. Keiner, der den gefragten Ton um wenigstens sechs Töne drüber oder drunter anvisiert. Dafür gibt es von den Auszubildenden „Deutsch als Fremdsprache“, oft gemeingefährlich „performt“. Unbegreiflich, wie man diesen talentlosen Kids nur ein Gramm Musikalität bescheinigen kann. Aber Dieter Falk verbrach ja auch straffrei diverse PUR-Alben.

Ein „Recall“ in Guantanamo Bay statt in der Schweiz würde sicher Besserung unter allen Involvierten bringen. Kaum besser läuft es beim ehemaligen Musiksender MTV. Dort gibt es den als „MTV Video Music Awards“ getarnten musikalischen Streichelzoo aus Las Vegas mit Britney Spears als angeschossene Tanzbärin. Zur Eröffnung taumelt die desorientierte Pop-Queen bei ihrem „Comeback“ über die Bühne und mutiert live zum Zombie. Mit unbeholfenen Tanzschritten, die einer missratenen „Dirk Bach“-Parodie ähneln, lahmt sie ferngesteuert zwischen knackigen Tänzern, die sich mit diesem Auftritt ihre Karriere gründlich versaut haben. Die restliche MTV-Posse besteht aus grinsenden Gangsterrappern, deren Waffenarsenal unter den großzügigen weil runden Tischen problemlos um eine UZI aufgestockt werden konnte. Die Bedrohung lauert überall, möglicherweise sogar unterm Buffet. In den Werbepausen lohnt ein Zapping zum ZDF.

Das hat sich in den Vorabend-Nachrichten zu einer kurzen, aber uninspirierten, Popkomm Reportage nötigen lassen. Überraschender Weise ist bei der Popkomm alles toll und bunt, doch auf keinen Fall musikalisch. Dafür kindgerecht. Berüchtigte Teeniebands wie Tokio Hotel schröpfen die Brustbeutel der 13-Jährigen; eine minderjährige Newcomer Band wird als Sensation feilgeboten. Beleg: ein Livemitschnitt inklusive gnadenlosem Dosensound und einer Sängerin, die immerhin genau so viele Töne trifft wie ihre POPSTARS-Kollegen. Geil ist die Popkomm gleichwohl, schließlich fungiert Paul van Dyke, weltbekannter deutscher DJ-Recke auf musikalischer UNO Mission, als Aushängeschild und Legitimation der von den Kölnern nach Berlin geprügelten Veranstaltung. Bekanntlich haben wir alle einen „Paul van Dyke-Remix“ neben unseren Bombenbauanleitungen aus dem Internet im Gartenblockhaus versteckt. Bleibt noch RTL mit seinen gewissenlosen „100 ultimativen usbekischen Charthits“. Keine Frage, Schäuble hat Recht. Nur das Ziel muss neu justiert werden.

* Textauszug aus „Banküberfall“ der Ersten Allgemeinen Verunsicherung (EAV)

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