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Unverwechselbare Originalität: Heinz Holliger. Foto: Dániel Vass/Schott Music
Unverwechselbare Originalität: Heinz Holliger. Foto: Dániel Vass/Schott Music
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Das eigentliche Wesen des Musik-Machens

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Der Komponist und Oboist Heinz Holliger wird siebzig
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Am 21. Mai kann Heinz Holliger seinen 70. Geburtstag feiern. Er ist einer der wenigen Musiker, denen ein vollkommener Ausgleich zwischen interpretatorischem Wirken und dem Komponieren gelang. Als Oboist (1961 erhielt er den 1. Preis beim Münchner ARD-Wettbewerb), aber auch als Dirigent vermochte er immer wieder spannend neue Akzente in Bezug auf avantgardistische Spielweisen wie auch im Umgang mit alter Musik zu setzen. Und sein kompositorisches Schaffen begleitet radikale schöpferische Ansätze feinhörig seit nunmehr fast 50 Jahren.

Es waren oft seine Experimente mit geräuschhaftem Klang und mit grenzgängerischem Ausloten der interpretatorischen Physis, die bei anderen Komponisten, etwa bei Helmut Lachenmann, Vinko Globokar oder Dieter Schnebel, neue Impulse frei setzten. Holligers Schaffen zielt auf Gesellschaftliches, auch auf Absurditäten des Musikbetriebs, dem er häufig Zerrspiegel vorsetzte, um auf das Wesen des Musik-Machens hinzuweisen. Als er 1987/88 mit den Musikpreisen von Kopenhagen und Frankfurt ausgezeichnet wurde, stiftete er die Preisgelder Greenpeace und dem Ensemble Modern. 1991 wurde der rastlos Tätige mit dem Siemens-Musikpreis ausgezeichnet. Die Siemens Stiftung würdigte „damit den Virtuosen, der die Spieltechnik seines Instruments in unvergleichlicher Weise weiterentwickelte, und sie ehrt den Komponisten, der eine Musik schreibt, in der Komplexität und Kommunikation sich nicht ausschließen, sondern gegenseitig bestimmen“, befand die Jury damals und charakterisierte treffend den umfassenden Anspruch Holligers.


„Ich bin ganz einfach Musiker, und ein Musiker macht Musik. Musik ist aber ein ganzer Kosmos von Dingen. Deshalb war es früher selbstverständlich, dass ein Komponist auch Interpret war, dass er Dirigent war. Erst heute in unserem Spezialistentum gibt es Spezialisten, die nur noch Rachmaninow spielen oder so. Und die Musik hat deshalb eine unglaubliche Verarmung erlitten. (…) Zum Komponieren versuche ich mir Zeit freizuhalten, in der ich wirklich den ganzen Tag nur komponiere. Natürlich arbeite ich dann während des Jahres, auch auf Reisen, die Dinge aus. Wirklich komponieren kann ich aber nur, wenn ich völlige Ruhe habe.“ So schätzte Holliger sein eigenes Wirken einmal in einem Gespräch ein.
Als Holliger zu komponieren begann, waren die Hochzeiten reihentechnischer Konstruktion bereits vorbei. Die nachrückende Generation setzte auf geschärften Klang mit gesellschaftsbezogenen Aspekten. Bei Holliger ist dies im Grunde bis heute zu beobachten, auch wenn man drei deutlich getrennte Schaffensphasen ausmachen kann.

Seine ersten Werke zeichnen sich durch instrumentale Radikalität aus (der Interpret hat zum Beispiel über seine Belastungsgrenze hinaus zu spielen) und formulieren oft gesellschaftliche Widerständigkeit. Als Beispiel sei sein experimentelles Chorwerk „Dona nobis pacem“ genannt, das in Zusammenarbeit mit der Schola Cantorum unter Clytus Gottwald entstand (immer wieder hat sich Holliger intensiv mit einzelnen Interpreten zusammen getan, um auf ihre spezifischen musikalischen Möglichkeiten einzugehen). Das zentrale Werk seiner zweiten Phase – es ist eines von Holligers faszinierendsten Kompositionen überhaupt – ist der zwischen 1975 und 1985 entstandene Scardanelli-Zyklus nach Hölderlin. Die radikalen Klangerfahrungen der ersten Phase wurden nun selektiv zu ganz direkter Aussage gebündelt. Die dritte Phase schließlich ist um das Jahr 1990 anzusetzen. Holliger wandte sich nun direkt seinen heimatlichen Wurzeln, der Schweiz zu. Die eigenartige Mischung aus Enge, Eingeschlossen-Sein, finsterer Grundhaltung, aber auch geradezu überbordendem Humor faszinierte ihn.

Und er fand zu einem neuen musikalischen Idiom, in dem Zitate, direkte Volksmusikanklänge aber gleichzeitig verunsichernde, ja des Bodens beraubte Klanggestaltung eine fundamentale Rolle spielen. Besonders drastisch ist dies in seiner sinistren „Geischter und Alpermusig“ (so der Untertitel) „Alb-Cher“ verwirklicht, aber auch das grandiose Violinkonzert kündet davon. Der Schweizer Dichter Robert Walser rückt ins Zentrum, etwa im Liederzyklus „Beiseit“, schließlich in der 1997/98 entstandenen Oper „Schneewittchen“ nach einer Erzählung Walsers, die nach Ende des ursprünglichen Märchens in einer surreal imaginären Welt ansetzt. Mit diesem ständigen Suchen nach neuen musikalischen Ausdrucksgebieten hat sich Heinz Holliger bis heute seine unverwechselbare Originalität bewahrt.

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