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Kollektiver Klangkörper von Individualisten: „piano possibile“. Foto: Eduardo Navarro
Kollektiver Klangkörper von Individualisten: „piano possibile“. Foto: Eduardo Navarro
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Das Tier hat Masse und kann trotzdem leise auftreten

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Das Münchner Ensemble „piano possibile“ will den kleinen Kreis der Neue-Musik-Spezialisten aufbrechen
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Ein Konzertprogramm in München Anfang Februar: Der UniversitätsChor München singt, begleitet vom Ensemble „piano possibile“, Werke von Louis Andriessen und Klaus Schedl, dazu erklingen, allein vom Chor gesungen oder vom Ensemble gespielt, Arbeiten von György Ligeti, Alejandro Vinao und Fausto Romitelli, eine Sologesangsnummer von Emanuele Casale rundet die Abfolge. Die Stücke folgen ohne Pause aufeinander, sie verschmelzen zu einem großen, facettenreichen Gesamtstück. Die Idee zum Programm mit dem Titel „singsing“ stammte von „piano possibile“, den Chor musste man zunächst ermutigen, bevor er mit wachsender Begeisterung mitmachte. Das Publikum erschien in großer Zahl, sowohl die Aula der Universität als auch, tags darauf, die Muffathalle waren stark besucht.

Mit Konzerten dieser Art hat „piano possibile“ in den letzten Jahren immer wieder Aufmerksamkeit erregt. 1993 wurde die Formation gegründet, nicht zuletzt, um einem Defizit in der Münchner Ensemblesituation in Sachen Neuer Musik entgegenzutreten. Selbst sieht man es so: „Die Lust an der Teilnahme spannender Prozesse, künstlerischer wie gesellschaftlicher Natur, gepaart mit dem Verlangen nach Musizieren auf höchstem Niveau, ließ 1993 das Ensemble entstehen.“ Man hat sich ein Emblem gegeben, das auf humorige Art den Charakter widerspiegeln soll: ein Nashorn. Das Tier hat Masse, zugleich weiß es, ganz leise, also piano possibile, aufzutreten. Damals ahnte man vielleicht nur, dass damit noch auf Anderes angespielt wurde. Es ist die Hartnäckigkeit, die sich in den folgenden Jahren als Notwendigkeit erweisen sollte, um im nicht gerade üppigen Fahrwasser der Neuen Musik zu überleben. Denn finanziert wurde das Ensemble zunächst nur über die Gelder, die ganz direkt für Projekte von der Stadt gewährt wurden (erst in letzter Zeit wurde ein fester Betrag gewährt, der in etwa für ein bis zwei Projekte ausreicht, auf den man aber fest bauen kann; von Sockelfinanzierung mag man hier freilich noch nicht sprechen).

Oftmals stand „piano possibile“ denn auch über die Jahre vor der Resignation, die freischaffenden Musiker mussten ihr Geld über parallele Aktivitäten, seien es Konzerte, das Erteilen von Unterricht oder andere Arbeiten, verdienen. Das machte natürlich eine kontinuierliche Arbeit, etwa was Proben betrifft, recht schwer. Immer wieder aber gelang es, mit aufregenden Konzerten, manchmal fast wie Phönix aus der Asche, auf sich aufmerksam zu machen. Der individuelle Elan der Musiker, das Gruppengefühl, der Einsatz „für die Sache“ waren letztlich stärker. Und die Lust mag auch gefördert worden sein durch die Tatsache, dass die Musiker aus ganz verschiedenen Bereichen kamen: aus der klassischen Musik, aus dem Jazz, aus freien improvisatorischen Aktivitäten oder aus der experimentell zeitgenössischen Musik.

Diese Vielfalt erwies sich letztlich als Stärke des Ensembles. „Es ist sowohl das Ergebnis harter Arbeit als auch ein Glücksfall, dass sich eine Gruppe von Individualisten zusammengefunden hat, die in einem kollektiven Klangkörper sowie auch im künstlerischen Team aktiv an der Entstehung und Umsetzung zeitgenössischer Musik teilnehmen“, beurteilt man selbst den eigenen Werdegang. Mit dem Komponisten Klaus Schedl kann man auch auf so etwas wie einen genuin „piano possibile“ verpflichteten Mitarbeiter verweisen. Von ihm stammen nicht nur immer wieder neue Kompositionen, die dem Ensemble auf den Leib geschrieben sind, er ist auch beratend mitverantwortlich für die Durchgestaltung der Programme oder auch für die anstehenden Bearbeitungen von Stücken. Hier legt auch der Trompeter Philipp Kolb, der zugleich die organisatorischen Arbeiten übernommen hat, immer wieder seine Hand an. Freilich wird dennoch ein Großteil der Projekte im Kollektiv besprochen und ausgearbeitet.

Der Klang von „piano possibile“ ist aus gesagten Gründen ein vielfältig und individuell aufgebrochener. Man kann auf einen Pool von vielleicht 15 Musikern direkt zugreifen, bei Bedarf ist Erweiterung kein Problem. Und es gibt inzwischen schon um die 200 Werke in einem sich ständig erweiternden Repertoire. Dabei sucht das Ensemble „piano possibile“ immer wieder sehr erfolgreich ausgefallene Konzertsituationen, den kleinen Kreis der Neue-Musik-Spezialisten aufzubrechen ist dringendes Anliegen. Hierfür dienen sowohl die Programme des kontinuierlichen Übergangs zwischen den Werken (mit oft bestechender Wirkung!), als auch das Auftreten in Discos, wo eben neben radikalerem Rock auch Klänge der zeitgenössischen Musik erklingen. All dies macht „piano possibile“ unverwechselbar. Weniger als Konkurrenz zu den etablierten Ensembles für Neue Musik (etwa Ensemble Modern), sondern vielmehr als notwendige Ergänzung. Die Entwicklung über die 15 Jahre zu verfolgen machte jedenfalls dem Münchner Publikum viel Spaß. Und es geht weiter!

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