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Das Violoncello und elektronische Medien

Untertitel
Friedrich Gauwerky im Gespräch mit Susanna Schoenberg, Dirk Specht, Franziska Windisch, Teil 1
Publikationsdatum
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»Die Auseinandersetzung mit anderen Medien ist ein Teil meiner permanenten Arbeit. In einer von der elektronischen Revolution der letzten Jahrzehnte entscheidend geprägten Zeit ist die Auseinandersetzung mit elektronischen Medien grundsätzlich von wesentlichem Interesse. Das gilt auch für meine Arbeit als Musiker.«

 

 

 

Friedrich Gauwerky ist ein weltweit aktiver Cellist mit einem umfangreichen Repertoire, das bis zur neuesten Musik reicht. Für die Reihe Nocturnes hat er auf Einladung von Prof. Anthony Moore ein Programm zusammengestellt, das Instrument und elektronische Medien aufeinander bezieht. Als unsere kleine Runde mit ihm über die Zusammenstellung der Stücke sprechen will, stellt er sofort klar, dass die Darstellung stilistischer Vielfalt nur einen Aspekt seiner Auswahl darstellt; somit können produktionsbezogene Aspekte auch erklären, warum ein Werk des englischen Komponisten Brian Ferneyhough gerade an einer Institution wie der KHM aufgeführt wird.
Das Programm für Nocturne 34 erklärt Friedrich Gauwerky nach einer Art „ranking of electronic impact“:
I. Werk mit Zuspiel-Band (Karlheinz Stockhausen: Violoncello aus Orchester-Finalisten (1995));
II. Werk, in dem die Zuspiel-Musik mit einem sogenannten transducer auf den Korpus des Instrumentes übertragen wird; die Zuspiel-Musik ist selbst aus dem Probenprozess entstanden, sodass der Gesamtklang von derselben Schallwelle kommt (Johannes S. Sistermanns: „inter vue“ for Violoncello, CD, Piezo Membrane und Klangregie (2004/7));
III. Werk mit Zuspiel-Musik, die durch den Interpreten über ein Fußpedal eingespielt wird; dazu noch Harmonizer und Reverb: „Das ist – würde ich sagen – die typische IRCAM Elektronik, jedenfalls in der Entstehungszeit des Werkes.“ (Kaija Saariaho: Près für Violoncello and Electronics (1992));
IV. Werk mit einer Fülle von live-elektronischen Applikationen: Zeitverzögerungen; Rechts-Links-Abbildung durch die Fußpedale, die der Interpret zu bedienen hat; Ringmodulator; auch Vokal-Aktionen (Brian Ferneyhough: Time and Motion Study No. II for vocalizing cellist and live electronics (1974-76)).

neue musikzeitung: Instrumentale  Technik und Ästhetik sind ja sehr eng miteinander verbunden. Sie sprechen zum Beispiel von einem wachsenden Gespür für eine ästhetische Notwendigkeit, durch das die Überwindung instrumental- technischer Komplikationen möglich wird.
Friedrich Gauwerky: Oft werde ich mit sehr innovativen Spieltechniken konfrontiert. Manchmal findet man das zunächst einmal geradezu abstoßend. Es ist ein ganz wichtiges Moment, wenn man entdeckt: es muss so sein. Wenn man versteht, dass es ein Teil einer schlüssigen Ästhetik im Ganzen ist, dann hilft es sehr, technische Schwierigkeiten zu überwinden. So ist es mir mit Time and Motion Study gegangen. Ich weiß nicht, ob Sie die Gelegenheit hatten, sich einmal die Partitur anzuschauen, allein die Cello-Partitur, schon das bloße Cello-Spiel ist so exorbitant schwer, mit innovativer Spieltechnik und den „verrücktesten“ spieltechnischen Anforderungen versehen – an welcher Stelle der Bogen spielt, perkussive Ansätze aller Art am Korpus des Instrumentes und so weiter. Und dazu kommt Ferneyhoughs Kompositionsweise, die zumeist genaue Festlegung einschließt. Es gibt einmal in der Mitte des Stückes einen Abschnitt, in dem ich sozusagen frei gelassen bin, wo ich in einem gewissen Rahmen improvisieren darf, aber ansonsten ist in dem Werk alles genau festgelegt, ganz genau determiniert mit Viertelton-Melodik.
Es ist eine berechtigte Frage, ob diese Fülle an Informationen nicht auch eine gewisse Problematik beinhaltet. Im Endeffekt ist das klangliche Resultat oft so, dass durch die enorme Komplexität und Vielschichtigkeit, die auch zusätzlich noch durch die elektronischen Applikationen verstärkt wird, eine ganze Menge von dem, was im Cello-Part steht, verdeckt wird.
Es gibt Momente, die so dicht sind, dass man sich fragen kann: Warum habe ich dies alles geübt?
nmz: Sie verwenden den Ausdruck Determinismus... aber Sie sprechen auch von Freiheit...
Gauwerky: Die ästhetische Intention des Stückes ist der gefesselte Mensch, den Ferneyhough fast allegorisch darstellen will. Es geht hier zwar nicht um Musiktheater, aber diese Allegorie ist ganz deutlich. Dazu gehört auch das buchstäbliche Fesseln des Interpreten: ich habe diesen Cello-Part zu spielen, gleichzeitig die Fußpedale zu bedienen; ich muss so ein Ding am Hals tragen (Halsmikrophon, Anm. der Redaktion), das kratzt und sowieso unangenehm ist. Das sind alles Elemente, die Teil der Ästhetik, Teil des ästhetischen Anliegens der Komposition sind. Ich stelle jemanden dar, der gefesselt ist. Und worin, das kommt aus der Musik selbst wahrscheinlich nicht eindeutig hervor; das hängt mit philosophischen Erwägungen zusammen.
Brian Ferneyhough ist vom Philosophen Walter Benjamin beeinflusst: es besteht ein sehr starker Bezug zu Benjamin in verschiedenen Werken von ihm: auf jeden Fall in den drei Time and Motion Studies.
nmz: Walter Benjamin bezog sich selbst auf Unterbrechungen und Wiederholungen als Momente jener Geste, die man „zitieren“ kann...
Gauwerky: Wobei in Time and Motion Study sehr stark auch der soziale, wirtschaftliche Aspekt eine Rolle spielt, also Benjamins Sozialkritik. Bei Time and Motion Study setzt Ferneyhough an diesem Gedanken von Benjamin an, dem Gedanken einer Überprüfung der Menschen nach Zeit und Bewegung im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Effizienz, also dem Zustand des Gefesselt-Sein in wirtschaftlichen Produktionszwängen.

Fortsetzung in der nächsten Ausgabe der nmz
nmz: Und wie kommt es dann im Verlaufe des Werkes zu einer Befreiung von Determiniertheit?
Gauwerky: Das ist einfach musikalisch zu verstehen: im Allgemeinen ist im ganzen Werk  alles, was ich spielen muss, haargenau notiert: Dynamik, Tonhöhe, Rhythmik, also,  alles ist von einer ziemlichen Kompliziertheit..
Ich kann versuchen, das näher  zu beschreiben: stellen Sie sich eine Partitur vor ,in der  ein Takt ein 5/32 ist, dann kommt ein 5/16, dazu Rhythmen von einer unglaublichen Komplexität, dann eine eruptive Dynamik mit vielleicht 5 und mehr verschieden Lautstärkeangaben, dann eine Klangfarbenbehandlung, bei der die  Klangfarbe  andauernd wechselt, sul ponticello, sul tasto, pizzicato am Steg, pizzicato am Griffbrett und so weiter.
Es ist zwar kein serielles Konstrukt, aber von der Klanggestik her ist es einer solchen  sehr ähnlich: Es ist eine Musik von größtmöglicher Kompliziertheit und Komplexität,
sodass man als Interpret sich schon  fragen kann: Warum nimmt der Komponist  nicht eine Maschine, um das alles zu realisieren? Irgendein elektroakustisches Instrument..; eine Maschine kann es bestimmt besser machen als ich, wie sehr ich mich auch bemühe.
Von daher ist dieser Abschnitt in der Mitte des Stückes,der insgesamt einige Minuten anhält,  in dem ich plötzlich losgelassen bin, und in dem in der Partitur zum Beispiel  nur steht: »12 Sekunden lang mit 3 Tönen improvisieren«, ein sehr wichtiger: das ist ein Moment der Befreiung.
Dazu kommt in diesem Abschnitt  dieses Wechselspiel zwischen der Elektronik und meinem Spiel, was so schön geklappt hat neulich Abend, dann reagiere ich immer auf Arco oder auf Pizzicato Einsätze im Feedback, und dann spiele ich weiter.. Das meinte ich mit Befreiung von Determiniertheit. Ein Augenblick lang bin ich losgelassen von den Fesseln..
nmz: Brian Ferneyhoughs Musik wird auch als New Complexity bezeichnet..
Gauwerky: Sicherlich ist das nur ein Schlagwort, aber es beschreibt doch ein wenig wie die generelle stilistisch kompositorische Orientierung von Ferneyhough ist.
Die Bezeichnung New Complexity ist entstanden als Reaktion auf Neue Einfachheit; das war das Motto eines WDR Festivals hier in Köln, im Januar 1977, bei dem  ich selbst damals mitgemacht habe. Es war eine Bewegung, die in den 70er Jahren als Reaktion auf die »serielle Sackgasse«  - möchte ich ganz provozierend sagen - erfolgte. Später entstand wiederum der Begriff New Complexity in Zusammenhang mit Komponisten wie Brian Ferneyhough, Richard Barrett, Roger Redgate und Anderen.
nmz: Kommen wir zur Technik des Wiederholens, in diesem Stück z.B realisiert durch die zwei Bandschleifen von jeweils 9 und 14 Sekunden; es geht um Erinnerung, und darum, dass Erinnerung auch ein Überschreiben bedeutet: es werden beim Aufzeichnen zwangsläufig Daten gelöscht, oder?
Gauwerky: ›Erinnerung‹ ist in der Tat ein Thema des Stückes; Ferneyhough schreibt, ich zitiere sinngemäß: Erinnerung, wie sie färbt, wie sie neu ordnet. Das sind alles ästhetisch kompositorische Fragen.
Daraus ergibt sich für mich eine Fragestellung, die mich auch persönlich anspricht. Wie ist es mit unserer Erinnerung an Ereignisse? Zum Beispiel an politische Ereignisse. Zum Irak-Krieg: Wer erinnert sich noch, dass Saddam Hussein mit Unterstützung  des früheren amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan an die Macht kam? Oder zum Afghanistan-Krieg: Wer erinnert sich noch daran, dass Osama Bin Laden zusammen mit Amerika gegen die Sowjets gekämpft hat? Ich habe das Gefühl, dass wenige sich daran erinnern.
Das ist ein Phänomen, das mich persönlich sehr bewegt, und das  ich für mich auch in die Ästhetik dieses Stückes hineininterpretiere, aber das mag auch sehr persönlich sein.
nmz: Das ist schon interessant, weil an dieser Stelle der Unterschied zwischen der Maschine und dem Interpreten besteht. Man würde sagen, dass die menschliche Erinnerung von Plastizität gekennzeichnet ist: Jedes Mal, wenn Erinnerungsinhalte wieder auftauchen, werden sie sehr wahrscheinlich leicht umgebaut, also stellen sie immer erneut eine veränderte Rekonstruktion dar; während mittels der Maschinen eher versucht wird, der Idee einer ›stabilen und korrekten Originalkopie‹ nahezukommen.
Gauwerky: Das ist zweifellos richtig, in der menschlichen Erinnerung wird oft etwas gelöscht, woran das liegt, möchte ich jetzt dahingestellt sein lassen, ich denke, das hat nicht nur medizinisch-biologische Hintergründe, die Maschine, wenn sie funktioniert, ist unbestechlicher.
nmz: Im Stück gibt es nicht nur diese zwei Ebenen der delays (9 und 14 Sekunden zeitlich verzögerter Wiedergabe des Celloparts), es gibt zusätzlich eine dritte Ebene, die einer kontinuierlichen sukzessiven Aufnahme von 2 langen Parts, diese Aufnahme wird dann im weiteren Verlauf gestoppt und zurückgespult, um im ca. letzten Drittel der Komposition parallel abgespielt zu werden.
Gauwerky: Gegen Ende kommt dieser Abschnitt, in dem der Anfang wiederkehrt, und  durch  den sich auch ein fast traditionell zu nennender formaler Aspekt des Werkes offenbart (quasi eine Art Reprise).  Danach kommt dann endlich, möchte ich sagen, ein ›reiner‹ Solo-Cello-Abschnitt, so dass ich nicht mehr mit der Elektronik zu kämpfen habe.
Die letzten Abschnitte sind dann sehr stark: ein fortissimo, und dann noch ein crescendo..
man rackert sich ab, und dann zack, der plötzliche Abriss.
So steht es in der Partitur: 8 Sekunden lang wie eingefroren sitzen. Dann muss es ein Click-Geräusch geben, bewirkt durch das Abschalten der elektronischen Geräte, darauf kommt das theatralische Moment: ich soll kollabieren, wie eine Maschine, die abgestellt wird.
nmz: Man braucht an Emotionen nichts einzubauen, das ist genau der Punkt, wenn es um reproduktive Handlungen geht.
Gauwerky: Entweder ist das Gefühl für die Musik da oder nicht. Das Stück hat an sich etwas Abschreckendes, es wird auch ganz wenig gespielt. Meine CD-Einspielung  von 1996 war die erste überhaupt. Es ist eine horrende Arbeit, das Stück auch nur zu lesen. Ich habe eine einzige Studentin in Oslo, die für ihre Doktorarbeit zur Zeit das Stück studiert. Und den dazukommenden technischen Aufwand darf man auch nicht vergessen.
Man muss die richtigen Leute finden, da es um eine Art Kammermusik geht.
nmz: Was können Sie abschließend zu Ihrer Haltung zu Medien aussagen?
Gauwerky: Ich gebe ein zunehmendes Interesse für Medien zu. Zur Zeit entwickle ich  Programme zu Musik und Sprache. Irgendwelche Stücke zusammenstellen, die irgendwie schön sind, das ist zu wenig. Eine Thematik zu verfolgen, das ist wichtig.

 

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