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Pierre Jodlowski. Foto: Charlotte Oswald
Pierre Jodlowski. Foto: Charlotte Oswald
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Der Klangtunnelblick

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Pierre Jodlowski bei Siemens Frankreich in St. Denis
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Die Idee hatte etwas Verführerisches: Wie könnte man die Mitarbeiter einer großen Firma für die Anliegen der Neuen Musik interessieren – nicht durch ein Gastkonzert des Ensemble Intercontemporain in der Fabrikhalle oder einen Videofilm im benachbarten Kino, sondern durch aktive Mitwirkung. Der französische Komponist Pierre Jodlowski entwickelte gemeinsam mit dem Siemens Arts Program, dem IRCAM-Institut Paris und der französischen Siemens-Niederlassung in Saint Denis bei Paris ein Konzept, das die Aktivierung der Betriebsangehörigen wunderbar beförderte.

Jodlowski unterhielt sich zwei Jahre lang mit französischen Siemensangehörigen, fand etwa 50 ernsthaft Interessierte zum Mitmachen und los ging es: Die 50 teilten dem Komponisten ihre besonderen Musik- oder Klangeindrücke mit, zu letzteren zählten auch realistische Geräusche wie Vogellaute, Kirchturmglockenschläge oder Windgeräusche. Die Klangereignisse wurden gesammelt und im IRCAM elektronisch verarbeitet, anschließend wanderte die Aufzeichnung in den sogenannten „Klangtunnel“ einen etwa fünfzehn Meter langen, mannshohen, kastenförmigen Gang, der begehbar war. Wenn eine Person hindurch ging, wurden durch Bewegungsmelder Klangereignisse ausgelöst, in denen die Mitarbeiter ihre Beiträge, natürlich verfremdet, wiederfinden konnten. Selbstverständlich wollte sich auch der Komponist in den „Klangtunnel“ einbringen – auf unserem Foto posiert Jodlowski gerade für die Kamera von Charlotte Oswald –, gleichwohl entstand für den mehrfach spazierenden, nicht aktiv beteiligten Tunneldurchquerer ein durchaus vielfarbiges, gestenreiches, zwischen zarten Klängen und wuchtigen Schlägen changierendes Klangszenario, dem man gewisse klangmagische Qualitäten nicht absprechen konnte. Natürlich haben Jodlowski und der IRCAM-Stab ihrem Unternehmen auch eine gehörige Portion existentiell-philosophischer Implikationen zugedichtet, zum Beispiel: wird ein Durchgehender im Tunnel von einem schneller laufenden Zweiten überholt, löschen dessen Klangauslösungen diejenigen des ersten „Wanderers“ aus: dessen Existenz wird gleichsam vorübergehend. Das klingt recht bedeutsam, doch muss sich niemand deshalb verloren fühlen. Einmal ist der Berichterstatter ganz, ganz langsam durch den Tunnel geschlichen und es erklang: gar nichts. Um sich auszulöschen bedarf es also keines Schnelleren, sondern man muss alles nur höchst bedächtig angehen. Wie im Leben.

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