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Der Preis des Preises

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Zwei Beobachtungen. Erstens: Die Münchner „musica viva" plant in die Zukunft. BMW unterstützt. Worauf einigt man sich? Man schreibt einen Kompositionswettbewerb aus. Die Jury wird gedrängt, Preiswürdiges zu finden. Man findet. Die Stücke werden aufgeführt. Zweitens: Die Donaueschinger Tage für Neue Musik planen in die Zukunft. Die Deutsche Bank unterstützt. Worauf einigt man sich? Man schreibt ... (weiteres siehe oben). Nicht nur bis dahin gleichen sich die Bilder – und wir wollen gnädig darüber hinwegsehen, dass in München drei Sieger, in Donaueschingen nur einer auserkoren werden. Die Bilder gleichen sich auch noch bei den Uraufführungen: Die Stücke bringen nichts Neues, ja teilweise sind sie so beängstigend konservativ aufgeputzt, als müsse der Komponist zu einem Vorstellungsgespräch in höhere Etagen eines Designer-Büros. Der Frack aber sitzt nicht, auch nicht bei denen, die inzwischen ihr Ich so umkrempelten, dass sie ihn des guten Eindrucks wegen gerne anziehen. Was im Modischen immer noch Nebensache bleibt, als Marotte oder auch als Goodwill-Akt abgetan werden kann, das schlägt im Künstlerischen ins totale Gegenteil. Die Preise sind ausgeschrieben, um neues, unbekanntes Terrain zu entdecken, um musikalische Ansätze kennen zu lernen, denen der Betrieb noch nicht auf der Spur ist. Freilich stößt man auf solches Terrain, durchaus aber nicht im erwarteten Sinne. Man trifft auf Kompositionen des vorauseilenden Gehorsams. Die jungen Musiker wollen ihre Aufgabe besonders gut machen, sie wollen nicht anecken oder gar provozieren. Denn eine provozierte Jury, so versteht es ein eiferndes Newcomer-Denken, ist selten eine gutwillige. Da sitzt also dann die Jury, zwanzig, dreißig Jahre älter als die Einreichenden, deshalb auch noch 68er-artig protest- und auflehnungsgewohnt, und wartet sehnsüchtig auf ihre Provokation. Hätte diese nur ein wenig Hand und Fuß, man wäre glücklich. Aber nichts dergleichen kommt, nur in Noten verpackte Devotionsbezeugungen, artig in dreifacher Ausfertigung wie ein Sozialhilfeantrag. Was soll die Jury tun? Weinen, alles zum Fenster hinaus werfen, toben und poltern – oder gar den Preis verweigern? Letzteres aber wäre dem Sponsor nicht recht. Also macht sie (vielleicht nach Weinen und Poltern) das, was alle von ihr erwarten: sie vergibt den Preis. Am Besten einem Bedürftigen. Der wird dann gespielt. Wer was davon hat, danach wird nicht gefragt. Und wer den Schaden hat, der braucht sich um den Spott (siehe diesen Cluster) ohnehin nicht zu sorgen.

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