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Der Sinn fürs Machbare und die Kraft zur Vision

Untertitel
nmz-Gespräch mit Alexander Suder, Präsident des Bayerischen Musikrates, zum 70. Geburtstag
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Er ist sozusagen Bayerns musikpolitisches Urgestein: Professor Dr. Alexander L. Suder feiert - man glaubt es kaum - im November den 70. Geburtstag. Seine Integrationsfähigkeit und sein diplomatisches Geschick trugen maßgeblich dazu bei, daß der Musik in diesem Bundesland nach wie vor ein angemessener Stellenwert zukommt. Als Präsident des Musikrates wird Suder nicht mehr kandidieren, als Berater steht er hoffentlich - vital wie er ist - noch lange zur Verfügung. Die nmz gratuliert. Das Gespräch führte Theo Geißler. nmz: Herr Suder, wie kam es eigentlich zur Gründung des Bayerischen Musikrates? Suder: Am 21. Juni 1977, also vor 20 Jahren, wurde der Bayerische Musikrat von zwei Gruppierungen gegründet. Einerseits im musikberuflichen Bereich durch die Aktionsgemeinschaft „Musik in Bayern“ und auf der anderen Seite von dem Landesverband „Singen und Musizieren in Bayern“, der die Laienverbände zusammengefaßt hat. nmz: Wie kam es denn zur Gründung dieser Aktionsgemeinschaft „Musik in Bayern“, die ja die „Urmutter“ des Musikrats war? Suder: So ist es. Sie wurde 1971 gegründet und zwar aus der Erkenntnis heraus, daß die einzelnen Verbände bis dato ein Nebeneinander-Dasein geführt haben und erst sehr spät, im Vergleich zu anderen Bereichen – Sport zum Beispiel –, erkannt haben, wie notwendig und wichtig die übergreifende Zusammenarbeit und die Ballung der politischen Kräfte ist. nmz: Wenn man die Verbandslandschaft kennt und weiß, was für unterschiedliche Interessen wirken, dann war die von Ihnen zitierte Einsicht doch wohl gar nicht so einhellig da, Es bedurfte einer gewissen Informations- und Überzeugungsarbeit... Suder: ...die war gar nicht nötig. Denn es herrschte ein dramatischer Notstand auf vielen Gebieten. Es war eine Welle der Orchestereinsparungen und eine Welle des Musikunterrichtsabbaus; es war auch eine Welle der Musikschulgefährdungen, und aus diesen Bedrohungen heraus wuchs die Erkenntnis, daß eben endlich mal ein politisches Sprachrohr auf Länderebene gebildet werden sollte. Grundlage: Gute Kontakte nmz: Wie kam es denn zu den nötigen Kontakten in den Medien und vor allem auch zum Ministerium. Suder: Wir haben natürlich zum Ministerium immer eine sehr gute Verbindung gehabt; auch zum Landtag gab es bei mir sehr persönliche, sehr gute Kontakte. Richard Wengenmeier beispielsweise war gerade Ausschußvorsitzender geworden, saß ganz bescheiden im Hintergrund, hielt unseren Musikplanentwurf in der Hand und studierte da die Seiten, die mit Zahlen zu tun hatten. Und wir haben nun irgendwie ein flammendes Bekenntnis zu dieser Darstellung oder zu diesen Aufzeichnungen erwartet, aber er hat einen einzigen Satz gesagt: „Ich nehme den Musikplan sehr ernst.“ Wobei wir natürlich angenommen haben, das sind die typischen Politikersprüche, hinter denen sich nichts verbirgt. Aber weit gefehlt, denn schon im nächsten Haushalt war eine Summe von 5 oder 6 Millionen Mark mehr in den Musikpflegemitteln enthalten. nmz: Wer waren die nächsten Freunde oder Begleiter? Suder: Seit 1974 vertrat ich die Musikerverbände im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks bis 1990 und das ist eine Basis, die natürlich für die Vielfalt und die Qualität der Kontakte einen sehr günstigen Boden darstellt. Nicht nur zum Bayerischen Rundfunk, sondern auch zum Ministerium – nach dem Aussscheiden von Dr. Stümmer 1982 haben wir in Dr. Dirk Hewig einen glänzenden Nachfolger gefunden – hatten wir immer sehr guten Kontakt. Das Ministerium besteht natürlich nicht nur aus dem Musikreferat – hier sind in erster Linie die Schulabteilungen zu nennen. Und das betrifft einen Kernbereich unserer Arbeit, nämlich die Frage, inwieweit der Musikunterricht quantitativ, aber auch qualitativ verbessert werden kann. nmz: Wie hat denn der Deutsche Musikrat als ehemals recht zentralistisch orientierte Organisation darauf reagiert, daß sich da ganz föderal eine eigene Struktur bildet? Suder: Innerhalb des Deutschen Musikrates gab es damals zwei Strömungen. Eine Strömung, die der kulturpolitischen Realität Rechnung getragen hat und gesagt hat, es müßte auf der Länderebene viel mehr passieren, als tatsächlich passiert und eine andere, die Befürchtungen hegte, daß durch die Schaffung eigener länderspezifischer Gliederungen eine Schwächung des zentralen Bereiches eintreten würde. Nachdem wir in Bayern die Ersten waren, der sich noch dazu Bayerischer Musikrat und nicht Bayerischer Landesmusikrat nannten, gab es Stimmen, die mich besorgt zu Aussprachen eingeladen haben, ob wir denn jetzt uns abspalten würden oder nicht. Selbstverständlich hatten wir das nie im Sinn. Ich bin immer ein großer Freund bayerischer Eigenständigkeit und Selbständigkeit im Denken und Handeln gewesen, möchte aber ebenfalls intensiv zwischen Länder- und gesamtdeutschen Interessen vermitteln. nmz: Die Länder arbeiten ja inzwischen recht selbständig, und sie sind mittlerweile ins Präsidium des Musikrates integriert. Wie ging dieser Prozeß vor sich? Suder: Der Prozeß war sehr lang. Mir lag daran, daß in die Entscheidungsprozesse des Deutschen Musikrates, soweit sie die Länder tangieren, die Landesmusikräte als Entscheidungsträger mit verankert wurden. Das war in der alten Satzung nicht möglich. In der neuen Satzung ist es bereits geschehen und ist aber natürlich das Ergebnis eines langen Denkprozesses, der in den Fragen der Struktur immer besonders kompliziert ist. Brüder statt Väter nmz: Es war also eine Arbeit praktisch an einem Verfassungstext. Suder: Ja, so könnte man sagen. Es gab und gibt natürlich immer ganz unterschiedliche Strömungen. Es gibt solche, die sich in der Tat als Söhne des Deutschen Musikrates empfinden und gerne einmal zum „großen Papa“ hinaufschauen, und es gab eben andere, die gesagt haben, wir sind selbständig und reichen dem „großen Bruder“ freundschaftlich die Hand. nmz: Solche „Unterschiede“ gab es doch auch im Bayerischen Musikrat selbst. Können Sie ein bißchen aus der Schule plaudern? Suder: Es ging um den Zusammenschluß mit dem Landesverband „Singen und Musizieren“. Wir hatten uns natürlich in dem Prozeß des Zusammengehens und Zusammenraufens die Satzungsfrage gestellt. Dabei gab es folgendes Problem: In der Regel würden in einem Vorstand aus ganz unterschiedlichen Mitgliedsbeständen auch unterschiedliche und nach außen wirkende Gestalten auftreten. Das heißt, ein Musikrat würde nur dann ernstgenommen, wenn ein Profi an der Spitze steht. Andererseits ist die politische Rolle des Laienmusizierens so wichtig, daß man als Aushängeschild einen Politiker, der dem Laienmusizieren nahesteht, wählen sollte. Und Alois Krämer, der damalige Präsident, hatte diese geniale Idee, einen Satzungsentwurf vorzulegen, bei dem die beiden Gruppierungen gleichgewichtig ein Präsidium mit jeweils 4 oder 5 Personen bilden. Die eine Gruppe kann dann die jeweils andere Gruppierung nicht majorisieren. nmz: Auf welche Maßnahmen für den Laienbereich sind Sie besonders stolz? Suder: Ja, da fällt mir jetzt sehr schnell ganz spontan die Prüfungsordnung im Laienmusizieren, die wir schon 1983 erlassen haben, ein. Wir wußten, daß eine Qualitätssteigerung nur durch Schulung der Leitungskräfte geschehen kann. Wenn angehende Leitungskräfte sich daher Prüfungen unterziehen und unterzogen, dann erhielten sie vom Staat eine staatliche Anerkennung. nmz: Was gibt es im Bereich der außerschulischen Jugendbildung? Bald drei Akademien Suder: Wir haben in Bayern zwei komplett ausgebaute, zum großen Teil auf vielen Gebieten vorbildliche Institutionen in Hammelburg und Marktoberdorf. Wir haben einen Riesenbau in Alt-eglofsheim und ich hoffe, daß er in etwas mehr als einem Jahr seine Pforten öffnen wird. nmz: Was ist Ihnen im Bereich der schulischen Musikerziehung gelungen und wo haben sie Sie sich „die Zähne ausgebissen“? Suder: Unsere Erfolge auf dem Gebiet mögen , äußerlich gesehen, relativ gering sein, aber in einigen Bereichen ist Bayern, von uns unterstützt, sogar vorbildlich. Erstens haben wir gar nicht so wenig Klassen mit erweitertem Musikunterricht. Dann haben wir auch eine Zeitlang eine ausgesprochene Fortbildungswelle initiiert, die über drei oder vier Jahre hinweg viele Lehrer im Nachhinein fortgebildet hat und wir haben manche Kürzung verhindert. Einen eklatanten Mißerfolg muß ich hier leider nennen: Wir haben es nicht verhindern können, daß jetzt, in diesem Jahr beginnend, die Schüler der 7. Klassen bis zur 9. Klasse der Hauptschule hin entweder Musik- oder Kunsterziehung wählen müssen. Ich halte es für einen bildungspolitischen Unfug allerersten Ranges, daß es möglich ist, daß ein Schüler mit zwölf Jahren seinen letzten Musikunterricht in der Schule gehabt hat. Schwierige Hochschulpolitik nmz: Gehen wir noch einmal zu dem erfolgreicheren Teil der Bilanz. Wie sieht es mit den Konservatorien und Hochschulen aus? Suder: Das betrifft vor allem die Fachakademien und Hochschulen. Es war dem Bayerischen Musikrat eigentlich seit vielen Jahren ein Anliegen, die unterschiedlichen Ausbildungsbereiche so zu gestalten, daß die Absolventen bayerischer Fachakademien keinen Nachteil gegenüber den Absolventen aus den anderen Bundesländern haben. Es wurden daraufhin die Möglichkeiten geschaffen, daß die Fachakademieabsolventen auch die Prüfungen ablegen konnten oder können, die dem Hochschulabschluß in gewisser Weise entsprechen. Die Bereinigung der Landschaft in Bayern mit zwei Hochschulen und sechs Fachakademien beziehungsweise vier Konservatorien und zwei Kirchenmusikschulen ist in meinen Augen nach wie vor nicht befriedigend gelöst, weil nach unseren Vorstellungen das Potential auf Stellen in bestehenden Hochschulen und einer dritten in Bayern zu errichtenden Hochschule derzeit nicht im ausreichenden Maß zugute kommen kann. nmz: Die „Aktionsgemeinschaft Musik“, die dann zum Bayerischen Musikrat wurde, ist – 1971 – in einer Zeit der höchsten Gefährdung von Musik und Kultur gegründet worden, und man gewinnt den Eindruck, daß wir gerade wieder in so einer Zeit leben... Suder: Man hat dem zu wenig Rechnung getragen, welch’ eine wichtige Aufgabe und Funktion die Musik im Leben der Menschen in allen Bereichen hat. In den 60er Jahren war für „Jugend musiziert“ der große Nachwuchsmangel die auslösende Katastrophe. Heute ist es völlig anders in der Ursache: wir haben ein phänomenales Musikleben. Wieviel Musikdarbietungen jeden Tag werden live in allen Städten, Orten und Gemeinden geboten. Das ist ein ausgesprochen sehr, sehr hoher Standard, auch qualitativ. – Die Haupt-Ursache der heutigen Gefährdung liegt einerseits im Überdruß und Überfluß und andererseits in der hemmungslosen Kommerzialisierung des Gefühls. Pläne, Träume, Visionen nmz: Bayern, ein blühendes Musikland im Jahr 2010. Was müßte der Musikrat tun, damit dieses Ziel erreicht werden könnte? Suder: Ein Musikrat muß jetzt vor allen Dingen das Erreichte sichern. Das ist schon eine ausgesprochen schwere Aufgabe und liegt nicht nur innerhalb der höchsten Landesebene, sondern es ist auch die Frage der kommunalen Ebenen. Zum zweiten muß der Musikrat dafür sorgen, daß im Bewußtsein und damit auch in der politischen Realität die Erhaltung der Musikkultur in den verschiedensten Formen gewährleistet ist. Ich denke da zum Beispiel an die Frage der Musikschulen. Eine hemmungslose Privatisierung kann zu der größten Katastrophe führen, und deshalb ist ein permanentes Engagiertsein der öffentlichen Hand auf verschiedenen Ebenen für die Musikpflege von ganz entscheidender Bedeutung. nmz: Der Ministerpräsident als „Fee“ erfüllt Ihnen zum 70. Geburtstag drei Wünsche. Was wählen Sie? Suder: Als erstes wünsche ich mir das Haus der Musik in München. Ich gebe zu, daß dieser bisher nicht erfüllte Wunsch zu den schmerzlichsten Mißerfolgen gehört, die ich einzustecken habe. Der zweite Wunsch wäre der, daß das musikalische Bewußtsein der politischen Gremien sich weiterhin positiv entwickelt. Der dritte Wunsch wäre, daß alle unsere sehr zahlreichen Einzelmitglieder den Bayerischen Musikrat besser kennen würden, besser zur Kenntnis nähmen und besser darüber informiert wären. nmz: Herr Suder, wenn man für Ihr Persönlichkeitsprofil auf der einen Seite den Pragmatiker mit +10 ansetzt, auf der anderen Seite den Visionär mit -10, wo würden Sie sich ansiedeln? Suder: Das sind für mich keine Gegensätze, das sind nicht +10 und -10, sondern das ist beides +10. Und ein Pragmatiker ohne Visionen ist ein Handwerker und ein Visionär ohne Pragmatismus ist ein Lufthansl. Ich bin wirklich Pragmatiker, aber ich glaube, ich habe im Laufe der 20 Jahre oft genug bewiesen, daß ich auch ein bißchen weiter vorausschauen und vorausdenken kann. nmz: Was war denn in all den Jahren Ihr größter Erfolg? Suder: Sie werden lachen, ein ganz kleiner. Nämlich, wie es uns gelungen ist, daß der Bayerische Musikrat einen Vertreter in den Rundfunkrat und in den Medienrat entsandt hat. Das war eine ganz winzige Gesetzesänderung, aber von dem Erkennen der Möglichkeit bis zum Durchsetzen war das für mich eigentlich der größte Spaß und der größte Erfolg.

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