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Die aggressive Angst vor dem Fremden abwehren

Untertitel
Jubiläumsschrift des Dresdner Zentrums für zeitgenössische Musik zum Zehnjährigen
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Marion Demuth und Udo Zimmermann (Hg.): Klang - Raum - Bewegung. 10 Jahre Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik. Wiesbaden/Leipzig/Paris, 1996. Breitkopf & Härtel. 172 S. 39,- Mark. Zehn Jahre sind ein Jubiläum, das sich besonders in einer Periode ökonomischer Zwänge zu feiern lohnt. Das Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik - kurz DZzM - hatte im vergangenen Jahr ein Dezennium auf dem Buckel, und Frank Schneider bezeichnet in seinem offenen Brief die Gründung des Zentrums als einen wichtigen „Akt der Notwehr“, um die „alte Kulturstadt Dresden“ für die musikalische Avantgarde neben Berlin und Leipzig zurückzugewinnen. Sieben namhafte Autoren schufen hier einen Band, der einige Koordinaten Neuer Musik als Dreigestirn bereits im Titel absteckt: „Klang - Raum - Bewegung“. Die reich bebilderte Jubiläumsschrift, gedruckt auf Hochglanzpapier und jeder Beitrag sowohl in einer deutschen als auch in einer englischen Fassung, ist so etwas wie eine reflexive Summe dessen geworden, was sich über Anspruch, Akzeptanz und Standort zeitgenössischer Musik sagen läßt. Daß die Argumente weitgehend die gleichen geblieben sind, erweist sich darum nicht als Nachteil, sondern als instruktiver Konsens. Neue Musik als gesellschaftskritisch verstandener Motor, ihre mangelnde Attraktivität wegen überkommener Hörgewohnheiten, die immer neu zu stellende Frage nach den Strukturen der menschlichen Wahrnehmung (inwieweit muß sich denn Unbekanntes auf Bekanntes beziehen lassen?): Udo Zimmermann, Direktor des DZzM und selber angesehener Komponist, vergegenwärtigt solche erkenntnistheoretischen Fragen, um den aktuellen Klangkünsten gerade am Ende des Jahrhunderts neue Wege zu ebnen. Er setzt dabei auf kreativen Wandel und beschreibt in einer philosophisch instruierten Sprache die Gegenwartsmusik als „höchst komplexe Nachricht der Teilhabe an Dingen, seien sie Welt, seien sie Subjektivität“. Auch „Verurteilungen der Neuen Musik“ werden erneut aufgerollt, unter denen die „aggressive Angst vor dem Fremden“ (Hanns-Werner Heister) nur ein Aspekt ist. Günter Mayer prüft im historischen Kontext des Zerfalls der DDR sowohl die politische als auch die musikalische Avantgarde auf ihre Tauglichkeit und empfiehlt eine begrifflich neuorientierte „Politisierung der Künste“, einschließlich der Musik, um ihre öffentliche Wirksamkeit zu retten. Einen Blick auf die geschichtliche Entwicklung der „Hierarchisierung“ und einer thetischen „Enthierarchisierung“ der Künste wirft Helga da la Motte-Haber, wobei sie diese Spur bis hin zur „Auflösung der Gattungsgrenzen“ verfolgt. Ohr und Auge, Musik und Kunst, bilden ein neuschöpferisches Ensemble, bei dem auch multimediale Vakanzen gefüllt werden können. An „Begegnungen mit Interpreten“, bei denen „noch der einstige ‚Avantgardismus‘ der heute sehr heterogenen Neuen Musik“ nachwirke, erinnert sich Frank Geissler. Dabei reflektiert er zugleich über die mögliche Personalunion von Komponist und Interpret als Frage nach der authentischen Werkwiedergabe und findet einen „Gegenpol zur ‚Authentizitätssuche‘: Das Hören selbst wird also so wie das Musizieren auch zum ‚work in progress‘“. Eine Musikerschar setzt sich demzufolge aus lauter Solisten zusammen, so daß Geissler die „Betonung des Individuellen im Kollektiven“ als das Typische der Neuen Musik formuliert. Der Sinn der Arbeit des DZzM sei es, „in der Öffentlichkeit Neugier zu wecken“, schreibt übrigens Marion Demuth in ihrem Rückblick auf etliche der experimentellen Dresdner Tanz-, Spiel- und Musik-Veranstaltungen, die der Anhang des Buches lückenlos dokumentiert.

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