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Beethoven mit und ohne Kopftuch: Streicherinnen des Cairo Conservatory of Music Orchestra. Foto: Barbara Frommann
Beethoven mit und ohne Kopftuch: Streicherinnen des Cairo Conservatory of Music Orchestra. Foto: Barbara Frommann
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Die Kultur des Anderen bewundern

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Das Beethovenfest Bonn 2007: innovativ, experimentierfreudig, klassisch
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Beethovenfest Bonn – das waren die-ses Jahr 61 Konzerte, davon acht Uraufführungen, darunter die Skandal-oper „Freax“ von Moritz Eggert, ein Streichquartett von James Clarke, Nigel Charnocks Performance zu Beethovens „Brief an die unsterbliche Geliebte“, Mauricio Kagels Trio Nr. 3 für Violine, Violoncello und Klavier und das Orchesterwerk des ägyptischen Komponisten Mohamed Saad Basha. Die bunte Uraufführungsmischung macht Bonn noch nicht zum Donaueschingen am Rhein. Fraglos aber hat es Ilona Schmiel, die ihre „Lehrjahre“ bekanntlich in Donaueschingen absolviert hat, in den drei Jahren ihrer Bonner Intendanz geschafft, das Festival neu zu positionieren: es gilt heute als innovativ und experimentierfreudig, dem Event nicht abgeneigt und dennoch Beethovens Erbe verpflichtet. Etwa 70 Prozent Eigenproduktionen zeugen vom neuen Bonner Profil und das alles bei zumeist vollem Haus. Ein Besuch einiger sehr unterschiedlicher Veranstaltungen an einem Wochenende in Bonn mag diese Einschätzung verdeutlichen.

Nicht den anderen mit seiner Kultur zu beglücken, verstehe er unter Kulturaustausch – Kulturaustausch sei im Gegenteil als der Versuch anzusehen, den anderen zu verstehen und seine Kultur zu bewundern. Der Verwaltungsdirektor der Deutschen Welle, Reinhard Hartstein, brachte in seiner Ansprache nach einem Konzert des Cairo Conservatory of Music Orchestra die Philosophie der Campus-Konzerte im Rahmen des Beet-hovenfestes Bonn auf den Punkt. Das Projekt Orchestercampus von Deutsche Welle und Beethovenfest ist mit dieser Live-Übertragung nach Kairo ins siebte Jahr gegangen und hat nach Europa und Asien erstmals die arabische Welt erreicht.

Echter Kulturaustausch

Das Cairo Conservatory of Music Orchestra existiert bereits seit 1967, Auslandstourneen waren seit den 90er-Jahren nicht mehr möglich. Umso bemerkenswerter, dass gerade dieses Orchester nach Bonn kommen konnte – Völkerverständigung durch Musik beschränkt sich bei diesem Campusprojekt nicht auf das Spielen von Beethoven, sondern ist echter Kulturaustausch: Die jungen Musiker und Musikerinnen lebten bei Gastfamilien, tauschten sich mit jungen deutschen Musikern aus und arbeiteten im Rahmen der Campus-Werkstatt mit dem Dirigenten Peter Gülke an Werken von Beethoven, Britten und Weber.

Beethoven und Britten standen auch auf dem Programm des live in ganz Ägypten ausgestrahlten Konzertes unter der Leitung des bulgarischen Dirigenten Ivan Filev. Vor diesem mitteleuropäischen Kulturgutexport stand die Uraufführung einer etwa zehnminütigen Komposition von Mohamed Saad Basha. Das Stück für verstärkte Laute, Riqq – die arabische Form des Tamburins – und Orchester folgte in seiner Bauweise einem traditionellen ägyptischen Konzept. Basha, der selbst dirigierte, verwendete unter anderem arabische Modi, von denen einige Vierteltöne umfassen und einem ganz eindringlichen Rhythmus zusammengehalten werden.

Als Kontrastprogramm dann Benjamin Brittens „Simple Symphony op. 4“ und nach der Pause die Zweite Symphonie von Ludwig van Beethoven. Intonationsschwächen im Blech glichen die jungen Instrumentalisten durch Verve aus. Und nach zwei Zugaben gab es Standing Ovations für die Ägypter. Es war die Begeisterung, die zählte.

Vertanzter Beethovenbrief

Wer sich von der Improvisation über Beethovens „Brief an die unsterbliche Geliebte“ einen literarisch-musikalischen Abend erhofft hatte, sah sich schnell getäuscht. Der Stimmakrobat und Performancekünstler Nigel Charnock vertanzte Beethovens Brief auf atemberaubende, mitunter schockierende Weise. Unterstützt von Improvisationsspezialisten wie Michael Riessler an Bassklarinette und Zither, dem jungen deutschen Wunderkind des Jazzgesangs, Michael Schiefel, und dem Tischperkussionisten Jean-Pierre Drouet. Allein dessen Arbeit mit unterschiedlichen Utensilien auf seinem Tisch war ein optisches und akustisches Vergnügen. Charnock ist der seltene Glücksfall des tanzenden Schauspielers oder sprechenden Tänzers – je nach Perspektive. Weit entfernt von der Textvorlage zeigte er Beethoven als leidenschaftlichen Liebhaber, aber auch als exzentrischen und unverstandenen Menschen und Künstler. Eine Performance, die Hör- und Sehgewohnheiten brüskierte.

Brüsk wirkte auch die Interpretation von Beethovens Großer Fuge op. 133 am darauf folgenden Abend durch das Arditti-Quarttet. Eingebettet in einem Programm aus zeitgenössischen Streichquartetten, spielten Irvine Arditti, Ashot Sarkissjan, Ralf Ehlers und Lucas Fels die Fuge als eine wilde Jagd, und verzichteten auf alles Statuarische und Erhabene. Mit Werken von Thomas Adès, Simon Bainbridge, Brian Ferneyhough und Jonathan Harvey breiteten die vier Streicher die Kunst des Streichquartetts der Gegenwart vor dem Bonner Publikum aus. Die Uraufführung des vor Energie knisternden Streichquartetts „Untitled No 4“ von James Clarke direkt im Anschluss an die Fuge Beet-hovens war ein gekonnter dramaturgischer Kunstgriff der Ardittis.

Dann die Nacht der Stimmen: Man ging durch die Stadt, vom Beethovenhaus zum Münster, von der St. Remigius Kirche zur Schlosskirche. Sich treffen, sich begegnen, sich austauschen – hier war das Festival ganz bei sich. Auch die Auswahl der Ensembles war geglückt: Der Choir of King’s College Cambridge, das Hilliard Ensemble und Singer pur standen für die Traditionslinie des A-Cappella-Gesangs. Das finnische Ensemble Rajaton und das Vokalquartett schnittpunktvokal aus Kärnten kamen zwar nicht aus der Meisterkurs-Schmiede der Hilliards, brauchten sich vom Niveau her jedoch nicht hinter den großen Namen zu verstecken.

Unmusikalisches Auge

Beethovens Mondscheinsonate fürs Auge statt fürs Ohr bot Götz Lembergs Lichtinstallation im T-Mobile Forum. Lemberg hatte den 1. Satz dieses Hits unter den Beethoven-Sonaten Ton für Ton in Lichtimpulse umgesetzt. Vom tiefsten rot bis zum blau in den hohen Lagen erklang die Musik optisch. Es gab zwei Versionen: eine stumme und eine, bei der die Mondscheinsonate leise dazu ertönte. Schnell stellte sich die banale Erkenntnis ein, dass das Auge nicht musikalisch ist. Das Sehen der Farbfolgen stand in keinem Zusammenhang mit dem inneren Hören der Sonate. Anders zwei weitere Installationen Lembergs, bei denen sich die Synästhesie von Klang und Licht sofort erschloss.

Ein Wochenende in Bonn, das einen beinahe vergessen ließ, wie viel originalen Beethoven man auf dem Beethovenfest hören kann – und das einem aufzeigte, wie viel Zukunft sich im scheinbar so vertrauten Œuvre Beethovens noch verbirgt.

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