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Die Macht des Geldes

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Kurt-Weill-Fest Dessau im zehnten Jahr
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Entgegen seiner landläufigen Einschätzung als gut konsumierbarer Songschreiber kann Kurt Weill immer noch provozieren. Er saß noch nie im Elfenbeinturm, und die Wirksamkeit seiner Kunst war ihm wichtiger als eine abgehobene „Qualität“ seiner Kunst selbst. Diese Erkenntnis vermittelt das ihm gewidmete jährliche Fest in Dessau von Mal zu Mal überzeugender. Aber man konnte zum zehnjährigen Bestehen, übrigens zum letzten Mal in der Handschrift des künstlerischen Leiters Andreas Altenhof, nur ein „kleines Jubiläum“ feiern, dem Rotstift in öffentlichen Händen sei’s geklagt.

Entgegen seiner landläufigen Einschätzung als gut konsumierbarer Songschreiber kann Kurt Weill immer noch provozieren. Er saß noch nie im Elfenbeinturm, und die Wirksamkeit seiner Kunst war ihm wichtiger als eine abgehobene „Qualität“ seiner Kunst selbst. Diese Erkenntnis vermittelt das ihm gewidmete jährliche Fest in Dessau von Mal zu Mal überzeugender. Aber man konnte zum zehnjährigen Bestehen, übrigens zum letzten Mal in der Handschrift des künstlerischen Leiters Andreas Altenhof, nur ein „kleines Jubiläum“ feiern, dem Rotstift in öffentlichen Händen sei’s geklagt. So fehlte diesmal einiges an Nachwuchspflege und nicht-professionellen Aktivitäten, was bisher zukunftsträchtige Substanz des Festivals ausgemacht hatte: der Lotte-Lenya-Gesangswettbewerb wird aufgrund seiner geplanten internationalen Ausrichtung künftig alle zwei Jahre stattfinden; die Anhaltische Musiktheaterwerkstatt, in der letztes Jahr Jugendliche aus Musikschulen der Region mit dem Musical „Rote Socken“ mit eigener künstlerischer Realitätsverarbeitung für Zündstoff gesorgt hatten, kämpft derzeit um ihr Überleben. Umso bemerkenswerter die Eckpfeiler des Programms, zum Teil große künstlerische Leistung und von erstaunlich aktueller politischer Aussage. Krieg und Frieden thematisieren sowohl Weills letztes in Deutschland verfasstes Werk, die Oper „Die Bürgschaft“, wie auch „Johnny Johnson“, erfolgreicher Musical-Einstand in der neuen Heimat USA, dies jedoch mit gänzlich verschiedenen, dem jeweiligen Umfeld angepassten Stilmitteln. Klarer kann sich der „typus theatralis“ (Stephen Hinton), dem die konkret bezogene Verständigung mit seinem Publikum wichtiger ist als ein übergreifender, musikgeschichtlich klassifizierbarer Personalstil, nicht zeigen. Dabei hat sich das Verständnis vom „Weill’schen Tonfall“ nicht zuletzt dank der Dessauer Aktivitäten schon erheblich geweitet: Dem Publikum dämmert so langsam, dass sich neben dem ironisch pointierten „Dreigroschen“-Songstil auch „seriöse“, zeitgenössisch-traditionell changierende Satztechniken und unverstellt sentimentales, populäres Melos zu doppelbödiger Einheit verbinden können. „Jüdischer Verdi“ wurde Weill ja auch einmal genannt. Er konnte eben alles, schlüpfte wie ein Chamäleon in die jeweils passende musikalische Haut.

Kein Songspiel, kein Lehrstück, die bürgerliche Form der großen Oper musste es sein, um das Heraufziehen der finstersten Zeiten 1932 vorwegnehmend zu kommentieren. Mit der „Bürgschaft“ zeigen Weill und sein Librettist Caspar Neher, Ausstatter des Welterfolgs „Dreigroschenoper“, wie die Macht des Geldes alle Regeln der Menschlichkeit außer Kraft setzt und zur Umwertung aller Werte führt. Schillers Hohelied der Freundschaft erfährt so eine tief pessimistische Deutung. Nicht nur marxistische Sentenzen untermauern sie, sondern ebenso Zitate des römischen Philosophen Seneca, biblische Symbole, Parabeln des „Volkssängers“ Johann Gottlieb Herder, die wiederum in den „Proben Rabbinischer Weisheit“ des Moses Mendelssohn, wie Weill aus Dessau gebürtig, wurzeln – kurz, ein vielschichtig geknüpftes Beziehungsnetz, das der Komponist geradezu zum Pasticcio nach barockem Vorbild ausweitete und als seinen „Ring des Nibelungen“ zum Gesamtkunstwerk erklärte.

Dem „Gesetz des Geldes und der Macht“ gibt Jonathan Eaton in seiner bereits dritten Inszenierung des Werkes – er brachte es beim Spoleto-Festival zur Weill-Jahrhundertfeier zur amerikanischen Erstaufführung und auch 1998 in Bielefeld erstmals seit 40 Jahren wieder auf eine deutsche Bühne – ein frappierend aktuelles Gesicht, indem er von seiner Allgemeingültigkeit überzeugt. Eine Bürgschaft, wie sie der Getreidehändler David Orth für seinen besten Kunden Johann Mattes abgibt, ist für den Regisseur wichtige Grundlage ziviler Gesellschaften. Doch die Idylle trägt den Keim des Untergangs in sich. Denn „es ändert sich nicht der Mensch; es sind die Verhältnisse, die seine Haltung verändern“ – dieser ostinatohafte Kommentar eines „kleinen Chores“ von grünlichen Elendsgestalten mit blutroten Händen übernimmt die Funktion des Chorals der Bach’schen Passionen. Wo Weill/Neher brechtischer sind als Brecht, von dem sie sich doch emanzipieren wollten, setzt Eaton die Verantwortlichkeit des Einzelnen dagegen: Der Nebel ist es, der ihn im Strudel sich umschichtender Machtverhältnisse scheitern lässt, Bild sowohl für Naturzerstörung als auch für zwischenmenschliche Unaufrichtigkeit. So stürzen Danila Korogodskys an Symbolen und Farbstilisierungen schier überquellende Märchenbilder in ein albtraumhaftes Gewalt-Szenario. Das wiederum immer rechtzeitig gebrochen wird durch die köstlichen „Drei“, ein in Trivialrhythmen schwelgendes Schurkentrio in den wechselnden Masken von Geschäftsmann, Günstling und Ganove. Ihm gehört der attraktiv-ironische, doch auch grobe Songstil, während der Chor sich in barocker Polyphonie, das Solistenensemble in eher romantischem Melos ergeht. Wie der junge GMD Golo Berg diese divergenten Fäden zusammenhält, die Anhaltische Philharmonie und die Sänger zu nuancenreicher Präzision anfeuert, hörbare Spiellust sich in differenzierte sichtbare Aktion umsetzt, das ist eine der ganz großen Theaterleistungen.

Während Neher 1958 an der Städtischen Oper Berlin eine „entschärfte“ Neuinszenierung herausbrachte, bestach in Dessau der Mut zur realistischen und doch fantasiegeschärften Auseinandersetzung mit brennenden Problemen.

Das wollte die „Johnny Johnson“-Coproduktion mit der Neuen Oper Wien und dem Frankfurter Kleist Forum zweifellos auch. Seit dem 11. September liegen ja die Reibungsflächen und Gedankentrümmer nur so herum. Dass Regisseur Dieter Berner die Geschichte vom naiven Pazifisten Johnny, der seiner Freundin zuliebe in den Ersten Weltkrieg zieht, erschrockenen Ground Zero-Touristen vorspielen lassen möchte, ist noch eine passable Idee. Doch wenn Johnny die Generäle mit Lachgas kurieren will oder im Irrenhaus der Völkerbund gegründet wird, schleicht sich peinlich chargierender Wiener Schmäh ein. Auch Weills zündende Rhythmen und scharf-karge Instrumentation lösen sich zuweilen in Schrammelmusik auf. Von Dramatik, gar ihrer ironischen Reflexion, keine Spur. Dabei führt auch dieses vermeintlich leichte Stück eine ernste, nicht widerspruchsfreie Auseinandersetzung um den Krieg, der alle anderen überflüssig machen soll, und enthält so prophetische Preziosen wie etwa das Lied der Freiheitsstatue, die sich missbraucht fühlt und in düster-modalen Tönen die zu erwartende Entvölkerung unseres Planeten beklagt.

Die beliebten Dinnershows, Dreigroschen-Workshops und Crossover-Aktivitäten – diesmal mit Gitte und Max Raabe – sowie die Uraufführung des recht klischeehaften Schauspiels „Lenya“ von Michael Kunze, Autor des Musicals „Elisabeth“, vervollständigten nach dem Motto „Es geht auch anders, doch so geht es auch“ das Programm.

Nachdem Andreas Altenhof zur Neuköllner Oper in Berlin wechselte, plant sein Nachfolger Clemens Birnbaum Konzentration und Ausweitung zugleich. Durchaus soll der Facettenreichtum des alten Festivalkonzepts erhalten bleiben, der sich ebenso durch Weills Musik selbst wie durch ihre unterschiedlichen Interpretationen sparten- und epochenübergreifend legitimiert. Ein Kompositionswettbewerb soll dies zukunftsweisend bekräftigen. Zugleich will der Musikwissenschaftler und ehemalige Chefdramaturg der Musikfestspiele Dresden drohender Verzettelung vorbeugen. So stellt er sich speziellere thematische Ausrichtungen vor, die Weill stärker in einen historischen, aber auch gegenwärtigen Kontext eingebunden vermitteln. Einen Vorgeschmack darauf dürfte das Konzert der Sopranistin Stefanie Wüst geboten haben: In einer geschickten Zusammenstellung von Songs, biografischen Notizen und Briefzitaten zog die von Michael Nündel am Klavier begleitete Sängerin Verbindungslinien zwischen Weill, Eisler und Stefan Wolpe, dessen 100. Geburtstag es in diesem Jahr zu feiern gilt.

Dass politische Kunst in der Novembergruppe, wo die drei Ende der 20er-Jahre zusammentrafen, etwas anderes bedeutete als man es sich nach jahrzehntelanger Bevormundung gemeinhin vorstellt, nämlich Avantgardismus auf inhaltlicher wie formeller Ebene, war ein Fazit dieser äußerst differenzierten Darbietung. Wie jedoch ganz im Sinne von Dessaus größtem Sohn Kunst direkt in das aktuelle Umfeld einzugreifen vermag, war beim „Geburtstagsspektakel“ mit einem Gastspiel des Stelzentheaters Grotest Maaru zu erfahren: Die seltsamen Figuren und ihre fremdartig-poetischen Pantomimen empfing der Ruf „Juden raus“, und die Attacken eines glatzköpfigen Jugendlichen ließen sich nur durch Umarmungen abwehren: „Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft!“

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