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Intelligent durch Musik? Eine Frage, die weiterhin Kopfzerbrechen bereitet. Foto: Juan Martin Koch
Intelligent durch Musik? Eine Frage, die weiterhin Kopfzerbrechen bereitet. Foto: Juan Martin Koch
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Die nächste Studie kommt bestimmt

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Macht Musikunterricht intelligenter und sollten wir uns das wirklich fragen?
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Wir alle haben Schlagzeilen wie „Macht Musikunterricht schlau?“ schon oft gelesen. Denn in den letzten Jahren wurde dem Zusammenhang von Musikunterricht und der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten viel Interesse entgegengebracht. Dabei waren sowohl Medien und Öffentlichkeit als auch Praktiker und Forscher gleichermaßen fasziniert. Aber warum ist dieser Zusammenhang eigentlich so interessant?

Möglicherweise liegt der besondere Reiz der Idee, mit Musikunterricht kognitive Fähigkeiten fördern zu können, in der Annahme, dass wir eine schnelle und einfache Lösung für ein wichtiges Problem gefunden haben. Wir alle wollen vielleicht selber gern, dass Musikunterricht uns oder unsere Kinder schlau macht. Tatsächlich klingt das erst einmal nach einem einfach erreichten Bonus. Allerdings kommen einem bei genauerem Überlegen doch Zweifel an der Einfachheit dieser Lösung. Beispielsweise bedeutet Musikunterricht, dass man über Jahre hinweg regelmäßig und diszipliniert übt, wöchentlich am Unterricht teilnimmt und über diesen zeitlichen Aufwand hinaus entstehen finanzielle Kosten.

Ein anderer Grund für die Faszination dieser Forschung könnte der Wunsch sein, es jedem Kind zu ermöglichen, mit Musik in Kontakt zu kommen. Allerdings ist dieses Bestreben in Anbetracht von fachfremdem Unterricht, dem Wegfall von Musikstunden an der Schule und Ressourcenkürzungen immer schwerer zu realisieren. Deshalb könnte der außermusikalische Mehrwert, also die Verbesserung kognitiver Fähigkeiten, Musikunterricht wieder attraktiver machen. Durch diese neugewonnene Attraktivität könnte es vielleicht sogar wieder mehr Musikunterricht an Schulen oder in Kindergärten geben. Aber, ähnlich wie bei der Begeisterung für schnelle Lösungen, ist es zweifelhaft, ob das in eine vernünftige Richtung geht. Immerhin benutzen wir etwas „Musikfremdes“, um mehr Musikunterricht zu rechtfertigen. Das sollte eigentlich nicht passieren. Vielmehr wäre es wünschenswert, wenn wir Musikunterricht um der Musik willen hätten.

Was uns wieder zum Beginn der Überlegungen bringt. Macht Musik intelligenter? Sollten wir uns diese Frage wirklich stellen? Ich denke ja. Wenn wir akzeptieren, dass Musikunterricht uns nicht genial macht und die Verbesserung kognitiver Fähigkeiten nicht der Hauptgrund für Musikunterricht sein kann, dann können wir vielleicht an mancher Stelle das Förderpotenzial des Musikunterrichtes nutzen, ohne das Herzstück des Musikunterrichts, die Musik, aus dem Blick zu verlieren. Mit Förderpotenzial ist in diesem Fall gemeint, dass der Musikunterricht oder das gemeinsame Musizieren an manchen Stellen gezielt eingesetzt werden kann, um bestimmte Entwicklungen zu unterstützen. Allerdings sollte dieser Einsatz auf wissenschaftlich belastbaren Ergebnissen basieren. Das ist ein besonders wichtiger Punkt, da aufgrund des enormen Interesses an diesem Thema eine Vielzahl an Studien existiert und publiziert wurde. Jedoch sind diese Studien sehr unterschiedlich in ihrer Qualität und damit auch in ihrer Aussagekraft. Der überwiegende Anteil der Studien beschäftigt sich mit Zusammenhängen von Musikunterricht und einer bestimmten kognitiven Fähigkeit; beispielsweise der Intelligenz. Aber die Erforschung von Zusammenhängen erlaubt es uns nicht, Rückschlüsse auf die Kausalität, die genaue Ursache, zu ziehen. Es bleibt bei einer solchen Studie unklar, ob beispielsweise Musikunterricht intelligent macht oder ob intelligentere Kinder mit einer größeren Wahrscheinlichkeit Musikunterricht nehmen. Es ist durchaus plausibel, dass intelligentere Kinder häufiger Musikunterricht wählen, da der sozioökonomische Status einer Familie sowohl mit Bildung beziehungsweise Intelligenz zusammenhängt als auch mit der Wahrscheinlichkeit Musikunterricht zu nehmen. Darüber hinaus legt neuere Forschung nahe, dass Musikunterricht sogar mit der Persönlichkeitseigenschaft „Offenheit“ zusammenhängt.1 Diese Persönlichkeitseigenschaft würde dann nicht nur mit einer höheren Wahrscheinlichkeit mit dem Musizieren assoziiert, sondern sie hängt auch mit dem Intellekt zusammen. Solche „Dreierbeziehungen“ können uns Zusammenhänge finden lassen, obwohl diese gar nicht wirklich existieren. Deshalb ist es so wichtig, auf die Qualität von Studien zu achten. Nur sogenannte experimentelle Studien oder Trainingsstudien bringen uns der Ursache-Wirkungsbeziehung ein Stück näher und können somit belegen, dass Musikunterricht etwas beeinflusst oder nicht. Da solche Studien extrem aufwendig, also kosten- und zeitintensiv, sind, gibt es nur wenige Studien dieser Art.

Wenn man den derzeitigen nationalen und internationalen Forschungsstand betrachtet, dann gibt es beispielsweise Experimente beziehungsweise Trainingsstudien die belegen, dass Musikunterricht Verbesserungen in räumlichen Fähigkeiten, Intelligenz und sprachlichen Fähigkeiten bewirken kann. Die kanadische Arbeitsgruppe um Glenn Schellenberg (University of Toronto, Mississauga), die die Effekte des Musikunterrichts auf die Intelligenz belegen konnte,2 verwies jedoch darauf, dass die Steigerung der Intelligenz durch Musikunterricht eher gering ausfiel. Ähnliches gilt auch für die räumlichen Fähigkeiten. Daher erscheint es wenig sinnvoll, Musikunterricht in diesen Bereichen als gezielte Fördermaßnahme einzusetzen. Der Aufwand wäre deutlich größer als der Nutzen. Im Bereich der sprachlichen Fähigkeiten zeigt sich ein anderes Bild. Beispielsweise konnte in einer deutschen Trainingsstudie von Franziska Degé und Gudrun Schwarzer (Justus-Liebig-Universität Gießen) die phonologische Bewusstheit, eine Vorläuferfertigkeit des Lesens und Schreibens, mit Musikunterricht erfolgreich trainiert werden.3

Diese Studie belegt, dass ein musikalisches Training im Vorschulalter die phonologische Bewusstheit fördern kann. Dabei sind die durch Musik erzielten Verbesserungen ähnlich groß wie die Verbesserungen, die durch ein spezielles Training der phonologischen Bewusstheit erreicht werden. Genau an dieser Stelle könnte dann der wirkliche Mehrwert oder das Förderpotenzial von Musikunterricht oder einem musikalischen Training liegen. Es stellt eine Ergänzung dar zu bereits existierenden Förderprogrammen und ist zugleich möglicherweise motivierender als etablierte Sprachprogramme. Das könnte besonders bei Kindern mit Migrationshintergrund eine Rolle spielen. Da ein Musiktraining mit musikalischem Material arbeitet, werden die Vorschulkinder nicht mit etwas trainiert in dem sie bereits Schwächen und Defizite haben. Diese Annahme wird von aktuellen Forschungsergebnissen sogar belegt. Das erwähnte musikalische Training konnte auch erfolgreich die phonologische Bewusstheit von Kindern mit Migrationshintergrund fördern. So kann die Freude am Musizieren helfen, die Entwicklung einer sprachlichen Fähigkeit zu unterstützen.

Es kann festgehalten werden, dass es sich lohnt, die Frage nach außermusikalischen Effekten des Musikunterrichts zu stellen. Wenn man veröffentlichte Studienergebnisse kritisch betrachtet und nicht auf unrealistische Wirkungen hofft, kann Musikunterricht durchaus an entsprechenden Stellen gezielt zur Förderung eingesetzt werden. Allerdings sollten wir dabei nicht aus den Augen verlieren, Kinder für Musikunterricht zu begeistern, damit sie musizieren lernen.

Anmerkungen

1     Corrigall, K.A., Schellenberg, E.G., & Misura, N.M. (2013). Music training, cognition, and personality. Frontiers in Psychology, 4, Article 222.
2    Schellenberg, E.G. (2004). Music lessons enhance IQ. Psychological Science, 15(8), 511-514.
3    Degé, F., & Schwarzer, G. (2011). The effect of a music program on phonological aware­ness in preschoolers. Frontiers in Psychology, 2, Article 124.

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