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Die Natur beginnt mit der Ursache

Untertitel
Zu den Potsdamer Tagen der Neuen Musik für Kinder
Publikationsdatum
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„Es gibt ein Vergessen alles Daseins, ein Verstummen unseres Wesens,
wo uns ist, als hätten wir alles gefunden“

Hölderlins Ausspruch führt in die Retrospektive, in einen Versuch, der eigenen Kindheit näher zu kommen. Mit der Frage und zugleich dem Ausstoß aus dem Olymp „Wohin denn ich?“, durchläuft Hyperion oder ein Eremit in Griechenland, nach dem Briefroman von Friedrich Hölderlin in der Bühnenfassung und Regie von Andrea Conrad am Hans Otto Theater Potsdam, seine exzentrische Bahn, die jedem Menschen unausweichlich gegeben ist.

Seit drei Jahren macht die Regisseurin in Potsdam ungewöhnliches Theater ebenso wie Musiktheater für Kinder. Sie hat Visionen und den Traum einer gesellschaftlichen Utopie. Ihre Inszenierungen sind getragen von einer hohen Sprachkultur, poetischen Bildräumen und einer seelischen Nacktheit, die betroffen macht. Was hat Hölderlins Hyperion mit Musiktheater für Kinder zu tun? Leidenschaftlich zitiert Andrea Conrad als Antwort aus Hyperion:

„Ruhe der Kindheit! Himmlische Ruhe!
Ein göttlich Wesen ist das Kind,
Es ist ganz was es ist, und darum ist es so schön.
Im Kind ist Freiheit allein,
es kennt sein Herz, die Dürftigkeit des Lebens noch nicht.
Es ist unsterblich, denn es weiß vom Tode nichts.
Schön ist die Zeit des Erwachens.
Es sind heilige Tage, wo unser Herz zum ersten Male die Schwingen übt“

Nur in diesem Spannungsfeld, die Kindheit immer wieder neu in sich zu entdecken, gelingt es ihr, Texte für Kindermusiktheater und Oper zu schreiben, professionelle Ensemble entstehen zu lassen und an wechselnden Orten zu inszenieren.

Andrea Conrad studierte Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft, assistierte und hospitierte über viele Jahre an den großen Opernhäusern unter anderem bei Willy Decker, Daniel Libeskind, Peter Greenaway, Achim Freyer und Ruth Berghaus.

„Ich konnte in meiner langen Lehre nie genug bekommen, diese Meister prägen und verpflichten zugleich, und nun sei es an der Zeit“, sagte sie in heiterer Stimmung, „den reichen Lebensfundus für die jüngste Generation zu öffnen und mit höchstem Anspruch Texte und poetische Bilder zu schaffen, die den Diskussionen um Wertebildung und Wertvermittlung standhalten und als Kunstform natürlich der Zeit vorauseilen muss.“

Gern wird Musiktheater für Kinder aus einer sehr infantilen Sicht der Erwachsenen inszeniert. Das haben Kinder nicht verdient. Als die Regisseurin 2006 Mauricio Kagels Werkvorgabe „Zählen und Erzählen – Musiktheater für Kinder und Erwachsene“ mit Tänzern der Staatsoper Unter den Linden Berlin, professionellen Musikern wie Patrick Walliser, Klavier, Susanne Busching Brerow, Cello, Wolf Bender, Geige, Auszüge aus Mauricio Kagels Trio I und II spielten und das Kinderklangorchester in den hintersten Reihen im Publikum agierte und somit das Gesamtkunstwerk Musiktheater verdichtete, wurde der Regisseurin klar, dass Kinder den höchsten Anspruch suchen und widerspiegeln. Nicht immer sei es wichtig, alles zu verstehen. Das Ereignis und der Respekt vor der jüngsten Generation sei entscheidend.
Viel Aufklärung und Bewusstseinsveränderung sei überall noch erforderlich.

„Wie ein heulender Nordwind fährt die Gegenwart über die Blüten unseres Geistes
Und versenkt sie im Entstehen.
Wir haben unsere Lust daran, uns in die Nacht des Unbekannten, in die kalte Fremde irgendeiner anderen Welt zu stürzen,
und wäre es möglich, wir verließen der Sonne Gebiet und stürmten über des Irrsterns Grenzen hinaus.
Das macht uns arm bei allem Reichtum.
Es ist, als wolltest du noch eine Sonne schaffen, und neue Zöglinge für sie, ein Erdenrund und einen Mond erzeugen.“
Hyperion

2006 entwickelte die Regisseurin in Zusammenarbeit mit Bildenden Künstlern, Komponisten und Musikern ein Konzept, Kindermusiktheater im Spektrum von Wissenschaft und Kunst in der Landeshauptstadt Potsdam als jährlich stattfindendes Festival zu etablieren. Da sie neben ihrer Tätigkeit als Regisseurin auch gleichzeitig als Veranstalterin für Konzerte und Theater ein sicheres Kulturmanagement führen muss, gelang es ihr, ein breites Netzwerk zu schaffen.

Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit dem Kinderchor der Staatsoper Unter den Linden, Konzerte, bewog sie, den damaligen Chef der Opernstiftung Berlin, Michael Schindhelm, studierter Physiker, für dieses zukunftsweisende Projekt unterstützend zu gewinnen.
Am 19.02.2007 widmete Andrea Conrad die 2. Potsdamer Tage der Neuen Musik für Kinder Leonardo da Vinci: „Der Erfinder – Vier Variationen zu Leonardo da Vinci“, Uraufführung nach der Vorlage „Der Codex Leicester“ von Leonardo da Vinci, Komposition Gisberth Näther, Konzept und Textbearbeitung Andrea Conrad, ein Musiktheater für Kammerorchester, Schauspieler und Tänzer.

Der Codex Leicester von Leonardo da Vinci ist das größte zusammenhängende Dokument. Seine Untersuchungen zu astronomischen, atmosphärischen und meteorologischen, paläontologischen, geographischen und geologischen Fragestellungen zeugen davon, wie leidenschaftlich da Vinci über Ursachen und Wirkkräfte nachdachte und für die beschriebenen Phänomene visuelle Modelle entwarf. Leonardo ein Visionär, in dessen Denken Kunst und Wissenschaft noch eine Einheit bildeten. Das zentrale Thema des Codex beschreibt den Körper der Erde –, insbesondere seine gewaltigen Transformationen und die Bewegung der Gewässer. Ein hoch aktueller Stoff im Zuge eines globalen Klimawandels.

Dieser Uraufführung folgte unter ihrer Federführung ein Schulprojekt der evangelischen Grundschule in Potsdam, ebenfalls am Hans Otto Theater aufgeführt: „Die Vier Elemente“, eine musikalische Handlung für Klangorchester und Schlaginstrumente. Kindern spielerisch und zugleich mit künstlerischen Mitteln wissenschaftliches Denken, den Prozess der Beschreibung, der Erfahrung und Erkenntnis zu vermitteln, sei ein Hauptanliegen.

„die Natur beginnt mit der Ursache und endet mit der Erfahrung“ (da Vinci L.C. Fol:55)
„Du hast noch nie so tief aus meiner Seele mir gesprochen. Das erste Kind der menschlichen Schönheit ist die Kunst. In ihr verjüngt und wiederholt der Mensch sich selbst.
Der Schönheit zweite Tochter ist Religion. Religion ist Liebe der Schönheit.
Und ohne solche Liebe zur Schönheit, ohne solche Religion ist jeder Staat ein dürr Gerippe, ohne Leben und Geist.
Das ist sicher, dass man in den Gegenständen der Kunst, doch meist den reifen Menschen findet.
Und wie der Gegenstand, so auch die Liebe und der nötige Sinn für Freiheit.“
Hyperion

Die thematische Auseinandersetzung führt die Regisseurin zwangsläufig auf die geprägten Begriffe – Gesellschaft als soziale Plastik – sowie „Der erweiterte Kunstbegriff“ von Joseph Beuys, der sich intensiv mit dem Schaffen des Renaissancekünstlers Leonardo da Vinci auseinandersetzte.

Am 31.10.08 wird die Oper „Der schwarze Schwan und das Mondsichelmädchen“ in der von Karl Friedrich Schinkel erbauten Nicolaikirche Potsdam ihre Uraufführung finden.

Andrea Conrad schrieb das Konzept und Libretto, wofür sie wieder den Komponisten Gisberth Näther gewinnen konnte. Eine Oper für großen Kinderchor, Kammerorchester, Kinderklangorchester , 4 Sänger und Tänzer soll aus der Taufe gehoben werden, ein Unterfangen, das seinesgleichen unter dem Opernhimmel sucht. Über den Inhalt war nur wenig zu erfahren, nur soweit, dass es in dieser Oper für Kinder und Erwachsene um die Geheimnisse des Lebens aus wissenschaftlicher und religiöser Sicht geht und daraus sich künftige Utopien, die jede Generation für sich selbst als Gesellschaftsmodell entwickeln muss, erschließen können.

Andrea Conrad arbeitet seit zwei Jahren mit einem Orchester zusammen, dass ihr hoch professionell zur Seite steht und alle Uraufführungen gewährleistet. Das Landespolizeiorchester Brandenburg unter der Leitung des Dirigenten Peter Vierneisel sichert auch in diesem Jahr karitativ die Einstudierung der Oper zu.

Eine sozial künstlerische Leistung, die es bislang in Deutschland noch nicht gab.

Das Landespolizeiorchester Brandenburg ist zukunftsweisend und es zeigt, dass zwar tradierte Werte notwendig sind, jedoch ein Polizeiorchester auch als ein Ensemble aus Musikern sich den zeitgenössischen Künsten offen stellt. Mit Erfolg, so merkt die Regisseurin voller Stolz an und zitiert abschließend Joseph Beuys: „…wir müssen die Formen des Denkens, als die Vorraussetzungen für alle weiteren Verkörperungen ansehen. Der Begriff Kunst muss auf die menschliche Arbeit angewendet werden. Das Kreativitätsprinzip ist identisch mit dem Auferstehungsprinzip – die alte Form ist erstarrt und muss in eine lebendige, durchpulste Gestalt, die Leben, Seele und Geist fördert, umgewandelt werden. Das ist keine Theorie, sondern eine Grundformel des Seins, die alles verändert.

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