Hauptbild
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Digitale Kopie: Verdächtigungen in jede Richtung

Untertitel
Überwachung, offene Quellen und geheime Allianzen
Publikationsdatum
Body

Seitdem sich Verfahren zur Komprimierung von Klangdateien allgemein durchgesetzt und damit die Übertragung dieser Tondokumente im Internet ohne große Zeit- und Geldaufwendungen durchfühbar sind; seitdem CD-Brenner und CD-Rohlinge durch den Preisverfall fast schon zu Wegwerfgütern geworden; seit sich die Frage: „Kopie oder Original“ durch all diese Techniken aufgelöst zu haben scheint; seit all dem ist auch die Frage der Distribution von Musik nicht mehr eine Frage kulturpolitischer Relevanz sondern ein großer Spielplatz für die Herstellung herrschender Meinungen. Diese lassen sich orientieren zwischen dem Strafgesetzbuch und einer Selbstverwaltung von Musik durch eine andere Generation von Musikmachern. Dabei tun sich ganz unselige Allianzen auf.

Worum geht es eigentlich? Beispiel Privatkopie: Geht man heute durch einen Kiosk mit Zeitschriften so fallen einem im Bereich der Computer-Zeitschriften nicht unerheblich die auf, die versprechen, wie man einen etwaigen Kopierschutz umgehen kann. Dazu kann mal lustigerweise ein Filzstift reichen, in anderen Fällen benötigt man ein gescheites Stück Software, das im Einzelfall selbst Geld kostet und ebenfalls vor Kopien geschützt ist. Die einen wollen, dass man keine digitalen Kopien anfertigen kann, die anderen wollen darauf aus unterschiedlichsten Gründen nicht verzichten. Wo ist aber das Problem?

Wenn eine CD Kopierschutz und gegebenenfalls auch nicht in einem einfachen CD-Player abspielbar ist, man aber gerne Kopien von CDs machen will, dann kauft man diese CD eben einfach nicht. Sie hat dann nach den geltenden Regeln der CD-Herstellung einen technischen Mangel. In Berichten aus Großbritannien wurde nachgewiesen, dass eine mit solchen kopiergeschützen CDs handelnde Industrie weniger Exemplare verkaufen wird. Über den Sinn oder Unsinn eines derartigen Verhaltens der Phonoindustrie mag man zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen: Wer mit krimineller Energie Kopien machen will, der wird es auch schaffen, auf welchem Wege auch immer – und sei es auf einem Nichtdigitalen. Nun soll aber auf jeden Fall verhindert werden, dass Zeitschriften demnächst nicht mehr mit Informationen werben dürfen, die das Umgehen eines Kopierschutzes ermöglichen.

Schon in diesem kleinen Bereich hat man es mit drei Agenten des Spiels zu tun: Der Phonoindustrie, dem Kunden und der Presseöffentlichkeit. Das Problem dabei ist, dass es sich bei allen drei Teilnehmern des Spiels um schwache Mitglieder handelt. Die Musikindustrie „muss“ verkaufen und der Kunde kann „nur kaufen, was ihm angeboten wird“. Und die Presseöffentlichkeit steht grundsätzlich auf Seiten des Kunden, weil es auch ihr Kunde ist. Da kann man wirklich nicht erwarten, dass die schwachen Teilnehmer untereinander zu einer „vernünftigen“ Kommunikation finden werden.

Noch komplizierter wird es, wenn auch noch der vierte Teilnehmer ins Spiel kommt: Die Verwertungsgesellschaften, die sich auf der einen Seite hinter den Kunden stellen und die „Privatkopie“ retten wollen, andererseits aber jede Kopie lizensiert wissen möchten und weil es am einfachsten ist: pauschal abgerechnet (siehe auch den Beitrag „Gläserner Bürger der Zukunft“ von Gerhard Pfennig in „Oper & Tanz“ 2/2003). Demgegenüber meint der fünfte Teilnehmer, die Geräteindustrie (also die Hersteller von CD-Brennern oder CD-Rohlingen), das wäre nicht nötig, da es Mittel gäbe, all diese Lizenzen ganz genau abzurechnen im System eines „Digital Rights Managements“ (DRM) und verbünden sich damit mit den Kunden, die eben kein lizensiertes Material kopieren, sondern ihre Urlaubsfotos, ihre Festplatte et cetera. Während die Verwertungsgesellschaften die Angst vor möglicher Bespitzelung schüren, die ja auch nicht unberechtigt ist, müssten sie eigentlich die Interessen der Teilnehmergruppe Nummer sechs wahren, die der Urheber, den so genannten Schöpfern geistigen Eigentums. Man zahlt an der Supermarktskasse schließlich auch nicht einen Pauschalbetrag sondern für jedes Produkt. Auch dies also eine verfahrene Situation mit schwachen Argumenten.

Man hat bei allen eingeführten Teilnehmern dieses Spiels unterschiedliche Interessen, die allesamt allerdings eines eint: Sie agieren alle auf der Grundlage von Geschäftsmodellen, die nach hedonistischen Methoden konstruiert sind: Wenig Einsatz, hoher Gewinn. Das kann, wie auch in der Zeit stetig steigender Aktienkurse nicht auf die Dauer gut gehen. Die zuverlässige Win-Win-Situation gibt es nicht auf der Ebene von Geld und seiner Verteilung – jedenfalls nicht in diesem Spiel. Aus diesem Grunde wird der Kampf um dieses Kulturgut, welches Musik durchaus sein kann, unvernünftig geführt und am Ende nur noch auf gesetzgeberischem Weg. Ganz nach dem Motto: Der größte Feind des Menschen ist der Mensch (siehe auch Web-Watch im Dossier, S. 46). Doch alle spielen mit – fast alle.

Es gibt auch Kreise, in denen man nicht gegeneinander sondern miteinander arbeitet. Soziologisch wurzelt deren Arbeitsweise mehr im Begriff der „Gemeinschaft“ als dem der „Gesellschaft“. Gemeint ist eine freie Entwickler-Gemeinschaft wie sie Projekte aus „Open Source“ und „Creative Commons“ (siehe letzte Ausgabe der nmz, Webwatch) ergeben. Dort geht es um Vorteile, die man aus dem Tausch und dem (Ver-)Teilen von Leistungen erzielt. Das prominenteste Projekt ist sicherlich das Betriebssystem „Linux“, aber dazu zählen auch fast 100 Prozent der Produkte, die beispielsweise auf dem Internet-Server der neuen musikzeitung laufen: Programmiersprachen wie „“ oder „Perl“, dazu kommt die Serversoftware „“ und der Mailagent „Sendmail“ und auch das Kulturinformationszentrum ist „Open Source“: .

Auch dieser Text ist nicht mehr mit „Word“ verfasst, sondern mit dem „Writer“ aus dem OpenOffice-Projekt. Wichtig dabei ist folgendes: Es geht bei dieser Herstellungs- und Nutzungsgemeinschaft nicht darum, gegen die kommerziellen Organisationen vorzugehen, sondern einfach darum, einen anderen Standard der Kommunikation für sich zu etablieren – und natürlich funktioniert auch das keineswegs reibungslos. Es geht nicht um „Creative Commons“ gegen „GEMA, VG Wort oder VG Bildkunst“, es geht nicht um „Linux“ oder „Free BSD“ gegen „Windows“ oder „Unix“. Im Bereich der Musik ist das alles noch sehr vage, spielt sich zur Zeit vor allem im Feld der musikalischen Subkulturen ab; in der Club-Szene, bei Amateurkomponisten. Nicht die Wirtschaft hält die Gesellschaft zusammen, sondern Menschen. Das vergisst man gern und schnell.

Und wo es vergessen wird, da konstruieren sich Verhältnisse zwischen Menschen (vom Urheber bis zum Hörer) wirklich nur noch nach dem Prinzip des Strafgesetzbuches. Dann ist die Zivilgesellschaft wirklich kriminell geworden und lässt sich nur noch durch die Diktatur des Gesetzes lenken. Diesen Lösungsweg kennt man bestens, ist ja auch der Einfachste.

Weiter zum Thema im Dossier auf Seite 46 der allgemeinen Ausgabe

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!