Hauptrubrik
Banner Full-Size

Düstere Glut

Publikationsdatum
Body
Johann Caspar Kerll: Missa pro defunctis (Hassler Consort, Franz Raml) Musikproduktion Dabringhaus und Grimm MDG 614 0739-2 Franz Raml, Organist an der historischen Holzhay Orgel in Rot an der Rot und Leiter des Hassler Consort, lenkt auf seiner jüngsten CD mit Johann Caspar Kerlls „Missa pro defunctis“ das Interesse nachhaltig auf einen jener süddeutschen Komponisten des ausgehenden 17. Jahrhunderts, die bislang in das historische Loch zwischen Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach fielen. Immerhin haben sich diese Komponisten noch in der nachfolgenden Generation Abschriften seiner musikalischen Werke besorgt. Der im sächsischen Vogtland geborene und später zum Katholizismus konvertierte Kerll (1627-1693) war ein Schüler des Tastenvirtuosen Froberger und wirkte als Komponist und Kapellmeister am Münchner und Wiener Hof. Die Ersteinspielung seiner 1689 im Druck erschienenen Totenmesse durch den neugierigen, wagemutigen Franz Raml ist alles andere als eine akademische Pflichtübung. Gegenüber dem sinnenfrohen Katholizismus des gleichaltrigen, in Venedig wirkenden Johann Rosenmüller handelt es sich bei Kerlls Requiem um eine eher introvertierte, verhaltene Musik voll spröder Glut und Nachdenklichkeit. Es ist wohl kein Zufall, daß Kerll, der wenige Jahre später starb, diese Totenmesse seinem eigenen Angedenken widmete. Raml hat die sieben mehrstimmig vertonten Meßteile in ihren ursprünglichen Kontext einer Allerseelenmesse zurückversetzt, wie sie um 1690 in Süddeutschland zelebriert wurde und macht damit einmal mehr deutlich, daß die alte katholische Liturgie, die im 2. Vatikanum vollends über Bord ging, ein religiös-musikalisches Gesamtkunstwerk gewesen ist. Hilfreich für den Hörer ist, daß das – wie stets bei Dabringhaus & Grimm – ambitionierte Booklet nicht nur eine kundige musikalische Werkeinführung, sondern auch eine hilfreiche theologische Erläuterung der Musik durch einen der Mitwirkenden, den Altus Florian Mayr, enthält. Daß Kerll durchaus Eigenständiges zu sagen hat, macht seine eher zurückhaltende Vertonung des Herzstücks der lateinischen Totenliturgie, der Sequenz „Dies irae“, deutlich. Anders als später Mozart und Verdi in ihren bekannten Versionen malt Kerll kein apokalyptisches Schreckensbild, sondern folgt mit seinem melancholisch-weichen Gestus der Vorstellung eines gnädigen jüngsten Gerichts, dem der Gläubige in Demut und Hoffnung entgegensehen kann. Ergänzt werden die Sätze der Messe durch zusätzliche Vokal- und Instrumentalkompositionen Kerlls, die ihn als einen Meister des konzertierenden Stils ausweisen. Gegenüber den vorausgegangenen Monteverdi- und Praetorius-Einspielungen hat das Hassler Consort mit der vorliegenden Aufnahme an interpretatorischer Stilsicherheit wie klanglicher Balance gewonnen, so daß man es heute bereits zu den besten deutschen Ensembles rechnen muß, die sich der geistlichen Vokalmusik des Barock zuwenden. Uwe Schweikert

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!