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Sprechen über Pettersson: Martin Gelland (li.) vom Duo Gelland im Dialog mit Michael Kube, Vorsitzender der Internationalen Allan Pettersson Gesellschaft. Foto: Sabrina Piroth
Sprechen über Pettersson: Martin Gelland (li.) vom Duo Gelland im Dialog mit Michael Kube, Vorsitzender der Internationalen Allan Pettersson Gesellschaft. Foto: Sabrina Piroth
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Ein fast vergessener Schwede in Sachsen

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In Freiberg wurde Allan Pettersson zu seinem 100. Geburtstag gewürdigt
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Unsere Gegenwart ist ja so ungerecht. Darin macht sie sich mit der Vergangenheit gemein. Stets wird nur an die „ganz großen Namen“ gedacht. Und wir finden uns damit ab. Was bleibt uns auch anderes übrig? Ob aber die Nachwelt ebenso ungerecht ist, sollte doch – momentan zumindest – in unseren Händen liegen. Aber was tun wir? Feiern die Gedenktage an Altvordere nach Gutdünken und Willkür.

Gustav Mahler 100, Franz Liszt 200 – die runden Jubiläen in diesem Musikjahr 2011 halten sich in überschaubaren Grenzen. Könnte man jedenfalls meinen, wenn man nur auf die in der offiziösen Musikwelt zelebrierten Gedenk- und Jahrestage blickt. Gibt es aber neben dem 200. Geburtstag von Franz Liszt und dem 100. Todestag von Gustav Mahler sonst nichts zu feiern, das sich mit Aufführungen und Einspielungen bestens vermarkten lässt? O doch: Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, könnte an den 400. Geburtstag von Andreas Hammerschmidt (oder -schmied oder -schmiedt) aus dem böhmischen Brüx (heute Most) gemahnt werden, an den 100. von Alain Jehan, der vor allem in Paris von sich orgeln machte; von Béla Bartóks 130. zu schweigen. Der Thüringer Johannes Eccard ist vor 400 Jahren gestorben, der Franzose Alexandre Guilmant vor 100 Jahren. Nicht mal an das vor 220 Jahren so früh vollendete Genie Wolfgang Amadeus Mozart wird gesondert erinnert, auch Engelbert Humperdinck wird noch zehn Jahre warten müssen, bis seines vor einem Jahrhundert erfolgten Ablebens gebührend gedacht werden kann.

Erwartet da ernsthaft irgendwer, dass inmitten all der Liszt- und Mahler-Feierlichkeiten der 100. Geburtstag von Allan Pettersson gewürdigt werden sollte? Wer kennt den am 19. September 1911 geborenen Gustav Allan Pettersson denn überhaupt noch? Der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Jubilar ist in Stockholmer Randlage aufgewachsen, aus heutiger Sicht müsste seine Kindheit als äußerst prekär bezeichnet werden. Es gelang dem kulturell interessierten und künstlerisch sehr begabten Geiger und Bratscher dennoch, zunächst in Stockholm und später in Paris zu studieren, Kompositionsunterricht bei Karl-Birger Blohmdahl, Arthur Honegger, Darius Milhaud und Olivier Messiaen zu nehmen. Einige Bekanntheit erreichte der stets zwischen Tradition und zaghafter Avantgarde verhaftete Tonsetzer durchaus noch zu Lebzeiten, vor allem seine 1968 uraufgeführte Sinfonie Nr. 7 darf als eine Art Durchbruch anerkannt werden.

Just diese Siebente war es wohl auch, die als Initialzündung für ein gebührendes Angedenken gelten darf. Ausgerechnet im sächsischen Freiberg, einem 40.000-Einwohner-Erzgebirgs-Vorstädtchen zwischen Chemnitz und Dresden, wurde es am ersten November-Wochenende mit internationaler Beteiligung ausgetragen. Als die Mittelsächsische Philharmonie – hervorgegangen aus der politisch verordneten Fusion der Theater von Döbeln und Freiberg mit dem einstigen Wismut-Orchester – im Mai 2010 unter Leitung ihres Generalmusikdirektors Jan Michael Horstmann Petterssons Siebente aufgeführt hatte, stand auch das Violinkonzert von Jean Sibelius auf dem Programm. Den Solopart spielte Rebekka Hartmann – und die war sofort von Pettersson Musik fasziniert, wollte sich unbedingt und so bald wie möglich mit dessen Violinwerk vertraut machen.

Horstmann war damals in Sachen Pettersson ohnehin schon „vorbelastet“ und mit dessen Schaffen ziemlich vertraut. So wurde von den beiden „Überzeugungstätern“ tatsächlich ein Termin für das 1979 vollendete Violinkonzert gefunden, das die 1981 in München geborene Geigerin nun eigens für nur zwei Konzerte in Döbeln und Freiberg einstudierte und jeweils mit höchster Leidenschaft und technischer Perfektion vortrug. Eingebettet war dieses Werk in kluger Dramaturgie unter dem Konzerttitel „Mahler und das Jahr 1911“. So kam eine nachträgliche Gelegenheit zustande, den 100. Todestag von Gustav Mahler mit dem 100. Geburtstag von Allan Pettersson zu verknüpfen. Musikalisches Bindeglied zwischen dem Adagio aus Mahlers unvollendeter Sinfonie Nr. 10 und dem (weil aus dem Jahr 1949 bereits ein Konzert für Violine und Streichquartett vorlag) als Nr. 2 bezeichneten Violinkonzert Petterssons war die Schauspielouvertüre op. 4 von Erich Wolfgang Korngold. Dieses Werk eines 14-Jährigen – 1911 vom Leipziger Gewandhausorchester unter Arthur Nikisch uraufgeführt – traf in seiner sinfonischen Anlage ziemlich genau die Situation von Suche und Aufbruch jener Zeit. Das Schauspiel dazu müsste freilich erst noch geschrieben werden.

Ganz anders die Programmatik des brachial und teilweise wutvoll klingenden Konzertes aus der Feder des alten Schweden. Vertrackte Rhythmik zieht sich durch die gesamte Wirklichkeitssuche, die Allan Pettersson mit diesem Werk angeblich vornehmen wollte. Der Solopart ist fast durchgehend präsent und fordert vom Interpreten stets Höchstleistungen ab – wie Rebekka Hartmann diese Leistung bewältigte und trotz großer Besetzung immer „über“ dem Orchester stand, bleibt das Verdienst dieser Solistin und ihrer 1675er Stradivari. Neben vielen raumgreifenden Tutti-Passagen waren auch kammermusikalische Einsprengsel zu gestalten, in denen keinerlei Spannungsabfall zugelassen werden durfte – die Mittelsächsische Philharmonie hat unter ihrem GMD Horstmann erstaunliche Leistungen vollbracht, um diese Quasi-Sinfonie mit obligater Solovioline leuchten zu lassen.

Der für Pettersson offenbar glühende und sein Publikum mit packenden Worten mitreißende Dirigent hatte der lokalen Erstaufführung ein Lied aus den „Barfuß-Gesängen“ vorangestellt, dessen Thematik sich auch im Konzert findet. Den gesamten Zyklus, zu dem Pettersson Text und Musik schuf, interpretierte Zsuzsanna Kakuk im Kontext zu Franz Schuberts „Winterreise“ zwei Tage später. Aus dieser Verschränkung ergaben sich ganz originelle Gedanken zur europäischen Kulturlandschaft quer durch Zeiten und Räume. In einem weiteren Kammerkonzert wurden Petterssons „Sieben Sonaten für zwei Violinen“ aus dem Jahr 1951 vom Duo Gelland vorgetragen, in summa also eine Reihe lohnender Hörbilder dieses Unikats der europäischen Komponistenzunft.

Der 1980 in Stockholm verstorbene Allan Pettersson hat heute natürlich längst seine weltweite Gemeinde gefunden, die Internationale Pettersson-Gesellschaft arbeitet zielstrebig an deren Wachstum. Mit dem diesjährigen Jahrestreffen, das internationale Experten sowie neugierige Laien zu den genannten Konzerten und einem ebenso streitbaren wie informativen Symposium zusammenführte, dürfte ein weiterer Schritt hin zur Rehabilitation dieses Fast-Vergessenen gelungen sein.

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