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Ein Festival, das aus „Der Reihe“ kommt

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Sommer in Stuttgart: ein neues Festival in der baden-württembergischen Hauptstadt
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In einem Leitartikel der nmz zur Ära des Opernintendanten Klaus Zehelein hatte Gerhard Rohde Stuttgart noch vor einem Jahr zu „einer Art Welthauptstadt der Neuen Musik“ erklärt (nmz 9/06, S. 1).

Doch der Höhenflug war damals bereits vorbei. Nach dem ISCM World New Music Festival (WNMF), das viele Kräfte vereint, aber auch verzehrt hatte, nach dem Ende des einzigartigen Forums Neues Musiktheater, dessen Bedeutung zu erkennen sich Stadt und Land bis zuletzt hartnäckig geweigert hatten, fiel die schwäbische Landeshauptstadt von der Pole Position zurück in ein tiefes Loch. Zu allem Überfluss hatte der SWR-Intendant Peter Voß zum Ende seiner Amtszeit auch noch dem stets gut besuchten Eclat-Festival die Kompositionsaufträge gestrichen. Mit einem Spagat zurück in die Romantik schaffte es dessen künstlerischer Leiter Hans-Peter Jahn zwar, mit knappen Ressourcen ein halbwegs konsistentes Programm zusammenzustellen. Doch das Publikum hat die Lücken sehr genau registriert und wird mit einer Hilfskonstruktion auf Dauer nicht zu halten sein.In dieser Situation ein zweites jährliches Festival für Neue Musik ins Leben zu rufen, scheint auf den ersten Blick gewagt. Freilich bietet der „Sommer in Stuttgart“, der nun, ein wenig in wehmütiger Erinnerung an das letztjährige große Festival, vom 28. Juni bis 1. Juli zum ersten Mal stattfand, keinen eigentlich zusätzlichen Programmpunkt im jährlichen Kalender der Stadt. Er ersetzt vielmehr „Die Reihe“, eine bisher an wechselnden Orten ausgetragene Konzertreihe, die nach dem Wegfall des Musiktheater-Forums ohnehin einer Neudefinition bedurfte: Statt über das Jahr verteilt findet die Kooperation von Musik der Jahrhunderte, SWR, Staatsoper und Akademie Schloss Solitude nun im Rahmen eines jährlichen Sommerfestivals statt.

Um es klar zu sagen: Das Eclat-Festival kann der Sommer in Stuttgart nicht ersetzen. Weder gab es Orchesterkonzerte noch viele übergreifende Projekte, wie sie sich bei Eclat immer großer Beliebtheit erfreuen. Denn das Einpersonen-Theater „Femmina Balba“ des iranischen Regisseurs Hamed Taheri mit der Darstellerin Elisa Rosenthal steht auf einem anderen Blatt: ein außergewöhnliches Projekt in der Tradition Antonin Artauds, das nur in Folge des WNMF bei Musik der Jahrhunderte gelandet ist.

Dafür gab es viel reine Musik erster Güte: Zweiminütige Miniaturen mitgerechnet waren es 17 Uraufführungen, dazwischen Namen wie Georges Aper-ghis, Vinko Globokar, Giacinto Scelsi und Isang Yun. Unter den Ausführenden standen die Neuen Vokalsolisten und das Ensemble Ascolta im Mittelpunkt: auch eine Folge der relativ kurzfristigen Planung, aber zugleich eine Garantie für höchstes Niveau.

Andreas Dohmens „adest“ spielt mit den Resonanzen hell klingender Metallophone in obligaten Pedalpauken. Markus Hechtles „Linie mit Schraffur“ schiebt die Erwartungen an kompositorische Finessen bis zuletzt gekonnt hinaus. Eliav Brand überschreitet in „Libera Me: a’in, oh my god!“ den Kontext der westlichen Welt und konfrontiert das aufgeklärte Publikum mit seiner eigenen Erwartungshaltung. Jens Joneleit zeigt mit seinem Klavierquartett „SIMA“, dass auch leise Töne die große musikalische Form tragen können.

Dass weniger manchmal mehr sein kann, bewiesen aufs Lustvollste sieben Stipendiaten der Solitude-Akademie mit der abschließenden Dekonstruktion eines Liederabends. Nur die Staatsoper, die diesmal lediglich Michael Hirschs nicht ganz taufrische Stadtbahn-Oper neu auflegte, wird ihre Rolle in Zukunft noch definieren müssen.

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