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Hausmusik möglich: Mike Svoboda und Anne-May Krüger in ihrem Basler Domizil. Foto: Christian Flierl
Hausmusik möglich: Mike Svoboda und Anne-May Krüger in ihrem Basler Domizil. Foto: Christian Flierl
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Ein Hauch Kommuneleben auf luxuriösem Niveau

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Der Traum vom uneingeschränkten Üben wird im „Musikerwohnhaus“ Basel wahr
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Der erste Eindruck dieser Anlage ist überwältigend. Große weiße Flächen, riesige Glasscheiben, hoch geschwungene Stahlträger und helle Holzbalken vermitteln eine Atmosphäre von Großzügigkeit, Modernität und Wohlorganisiertheit. Ein langgestrecktes Haupthaus öffnet sich zur Straße hin, Quergebäude schließen einen großen Hof ein, dem sich ein weiteres, zur Parallelstraße offenes Bauwerk anschließt. Durchgängigkeit und Geschlossenheit sind hier kein Widerspruch, die Vorbehaltlosigkeit, mit der Haus und Bewohner sich darbieten, scheint auf der Einhaltung fester Regeln zu beruhen.

Typisch Schweiz? Woanders wäre diese Einrichtung vielleicht nicht möglich. Das „Musikerwohnhaus Basel“ entstand aus jener Mischung aus Reichtum und sozialem Engagement, die im Calvinismus wirtschaftlichen Erfolg und gute Werke gottgefällig sein lässt. Beatrice Oeri, milliardenschwere Erbin des Hoffmann-La-Roche-Konzerns, engagiert sich seit Jahren für alternative, besondere Bedürfnislagen aufgreifende Projekte, die unter „normalen“ kommerziellen Bedingungen keine Chance hätten. Innerhalb ihrer Stiftung „Habitat“ beeinflusst sie mit ihrem Wohnungsbau für Ältere, Aidskranke oder Alleinerziehende die soziale Zusammensetzung ganzer Quartierszüge, versucht stillgelegtes Industriegelände als kulturelles Begegnungszentrum zu beleben oder fördert den Basler Jazzclub „Bird’s Eye“ – an dessen Tresen sie häufig selber steht und das Bier zapft. Ansonsten hält sich die Mäzenin streng im Hintergrund – auch dies eine spezifische Tugend des Schweizer Geldadels –, taucht höchstens innerhalb eines Festes oder eines Konzerts in ihren Projekten auf oder übernimmt auch mal unerkannt eine Führu.

„An sich haben wir hier ideale Bedingungen“, sagt Anne-May Krüger, Sängerin, Mutter eines 15 Monate alten Sohnes und Ehefrau des Posaunisten und Komponisten Mike Svoboda. Mit dem Einzug im Oktober 2010 gehört das Musiker-Paar zu den Bewohnern der ersten Stunde. Mit den üblichen Wohnbedingungen ist das Leben im Musiker-Wohnhaus nicht vergleichbar. Jederzeit üben zu können, ohne Rücksicht auf sich beklagende Nachbarn, ohne Störung durch selbst musizierende Kollegen, ist für jeden Musiker ein meist unerfüllbarer Traum. Für die Stiftung Habitat passte die Problemlage ins Konzept, erschwinglichen Wohnraum für Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu schaffen. Die 1903 erbauten stillgelegten Fabrikgebäude der Firma Levy Fils im wenig attraktiven Basler Norden inspirierten die Architekten des Büros Buol & Zünd zu einem behutsam modernisierten Umbau; wo einst Lichtschalter und Steckdosen produziert und gelagert wurden, entstanden neun Wohnungen für Berufsmusiker von ganz unterschiedlichem Zuschnitt – von der Zweiraumwohnung für Paare bis hin zur Sieben-Zimmer-Wohnung für Wohngemeinschaften. Jede Wohnung enthält einen schallisolierten Übungsraum. Zudem bietet das um die ehemalige Fabrikantenvilla gruppierte Ensemble weitere Übungsräume, vier ebenfalls schallisolierte Gästewohnungen, einen „Weißen Saal“ für Proben und Veranstaltungen, ein Tonstudio und – last not least – eine Kinderspielhalle sowie eine Kantine.

Die Überäume, erklärt Anne-May Krüger, stehen in jeder Wohnung zur persönlichen Verfügung, obwohl auch da innerhalb der Familien- oder WG-Konstellation „verhandelt“ werden muss. Das ist nicht immer einfach, wenn zum Beispiel gerade beide Partner an einem größeren Projekt arbeiten müssen oder in den WGs gerade fünf Leute den einzigen Überaum begehren. Wenn ein Nachbar Saxophonist ist und seine Frau Schlagzeugerin, dann kann schon mal sein, dass in einem nicht schallisolierten Raum geübt wird und man etwas hört – „aber dafür sind wir alle Musiker, um eine gewisse Toleranz zu üben“. Man kennt sich, verständigt sich und kann das meiste untereinander aushandeln. Reicht das nicht aus, so können zusätzliche Überäume gemietet werden. „Es kann auch vorkommen, dass sie von Leuten fest gemietet werden, die eine Straße weiter wohnen und auch Musiker sind. Auch an Musikinstitutionen der Stadt werden sie vergeben. Allerdings nicht zu so günstigen Konditionen, wie wir sie intern bekommen. Wir mieten die Räume auch für Leute, die wir für bestimmte Projekte brauchen, etwa als Kammermusikpartner oder Repetitoren.“

Die Mieten für die Musikerwohnungen sind trotz Subventionierung nicht gerade billig, und es berührt ein wenig seltsam, dass für jedes Extra, seien es die Übungsräume, die Kantine oder die Kinderspielhalle, zusätzlich bezahlt werden muss. Kann das Wohnen hier denn da überhaupt erschwinglich genannt werden? „Es gab in letzter Zeit viele Debatten über die Nutzungsregelungen“, sagt Anne-May Krüger, „etwa ob es Unterscheidungen geben soll zwischen uns und Leuten, die von außerhalb kommen, oder ob es Unterscheidungen geben soll zwischen einer kommerziellen Nutzung, wenn man zum Beispiel im Übungsraum unterrichtet oder für ein gut bezahltes Projekt seine Proben abhält,oder andererseits für ein Low-Budget-Projekt seine Proben abhält.“ Andererseits, legt die Sängerin dar, sei es ein „wahnsinniger Luxus“, hier Wohnen und Arbeiten direkt verbinden zu können. Im letzten Sommer hatte sie größere Opernprojekte in Basel und Luzern – „wenn ich bedenke, ich hätte in einer ganz normalen Mietwohnung wohnen müssen, die Akademie ist im Sommer natürlich zu, da hätte ich irgendwo ein Studio mieten müssen, um mit dem Repetitor zu arbeiten, und das hätte mich wirklich sehr viel Geld gekostet. So kann ich in einer halben Minute zum großen Saal herüberlaufen, und wenn irgendetwas mit dem Kind sein sollte, wäre ich auch sofort da.“

Das Spielhaus im Haus

Nebenan in der großen Kinderspielhalle, ein an die Kantine angrenzender Bau, werden Kinder ab fünf Jahren betreut. Das transparente Dach umfasst einen zweistöckigen Raum, der sowohl Spiel- als auch Rückzugsmöglichkeiten bietet, in Zimmern auf dem umlaufenden Gang im oberen Geschoss. Schon die Decke mit ihrem Lichteinfall suggeriert Durchlässigkeit, die ganz direkt herstellbar ist: Drei Wände des Hauses lassen sich zurückschieben, so dass der Außenraum zum Spielen einbezogen werden kann. Das ist ein ganz wesentlicher konzeptioneller Punkt, denn die Spielhalle soll nicht nur für die Kinder der Musiker geöffnet sein, sondern für das ganze Quartier. Deswegen bezahlt die Stiftung auch ein vierköpfiges Betreuerteam, bestehend aus einer Sozialpädagogin, einer Kindergärtnerin, einer Familienfrau und einem Solzialpädagogen – man ist glücklich, auch einen männlichen Betreuer dabei zu haben. Da ist denn auch gleich von handwerklichen Fähigkeiten die Rede, die die Jungs begeistern – Rollenbilder sterben zuletzt, bei aller Fortschrittlichkeit. Und von Musikmachen oder spielerischer Musikerziehung ist hier auch nicht die Rede – aber das ist vielleicht auch ganz gut so.

Vor allem werden hier allgemeine Umgangsformen eingeübt. Während in der leeren Halle alle Spielsachen fein säuberlich weggeräumt sind, fallen die handgeschriebenen Zettel an den Wänden auf. Über einer Hobelbank hängt: „Wir fragen, wenn wir Material und Spielsachen nehmen, tragen Sorge dazu und verräumen es nach Gebrauch.“ „Als wir hier anfingen, war alles ziemlich strukturlos“, erläutert eine Betreuerin. „Wir wollten einfach sehen, was so geschieht, aber dann entschieden wir uns, einige Leitsätze zu entwickeln.“ Und so kann man lesen: „Wir wünschen uns: einen liebevollen und respektvollen Umgang miteinander.“ „Wir akzeptieren jede/n, wie er/sie ist.“ „Wir tragen Sorge zu uns, zu unserem Material und zu unseren Mitmenschen.“ Ein wenig Rudolf Steiner spukt da herum, aber nicht als Ideologie, eher als geistiger Hintergrund einiger Mitarbeiter.

Paradies mit Wermutstropfen

Das Spielhaus symbolisiert die Lebensqualität dieser Wohnform nach innen, die über die spezifischen beruflichen Bedürfnisse von Musikern weit hinausgeht, und gleichzeitig ihre Ausstrahlung nach außen. Das Musikerwohnhaus hat das Quartier St. Johann in Basel verändert. „Früher war hier viel Industrie, wirklich eine der übelsten Ecken von Basel“, sagt Anne-May Krüger, die durch alle Einrichtungen geführt hat. „Die Verbesserung begann, als die Autobahn unterirdisch gelegt wurde. Eigentlich gibt es hier jetzt eine bunte Mischung, gehobener Mittelstand wohnt neben sozial Schwachen. Das bedeutet natürlich auch, dass die billigen Wohnungen verschwinden und bestimmte Bevölkerungsgruppen auch verdrängt werden.“

Ideale gibt es eben nach wie vor nur in Nischen, unter Menschen, die sie sich leisten können. Die beruflich-menschlichen Qualitäten der Verbindung von Wohnen und Leben zeigen sich, wenn von den Bewohnern etwa gemeinsame Konzertauftritte im „Weißen Saal“ konzipiert werden, aber natürlich auch bei spontanen Begegnungen im großen Innenhof – geplante Treffen haben bei der allgemeinen beruflichen Anspannung wenig Chancen. „Es ist schon wie ein bisschen Kommuneleben, natürlich auf sehr luxuriösem Niveau, denn niemand ist zu etwas verpflichtet.“

Kann es bei solchen paradiesischen Zuständen auch einen Wermutstropfen geben? Tatsächlich betrifft er ausgerechnet das Herzstück des Musikerwohnhauses: Die Schallisolierung der Überäume beruht auf einem „Raum-in-Raum“-Prinzip, das an keiner Stelle durchbrochen werden darf. Der Sauerstoff in solchen Räumen ist schnell verbraucht; man wird müde. Zum anderen mussten sämtliche akustischen Räume nachgerüstet werden, da die Wände hier ursprünglich absolut parallel sind. Schallschluckende Elemente absorbieren unter Umständen nicht die richtigen Frequenzen, so dass etwa bei Neubelegung durch einen anderen Musiker mit einem anderen Instrument unter Umständen wieder nachgerüstet werden muss. Zum anderen darf man bei dieser Konstruktion keinen Nagel in die Wand schlagen, keine Bohrlöcher etwa für Regale machen. Da hilft nur eines: Lüften und regelmäßig Pause machen beim Üben.

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