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Ein weites Panorama der Epoche 1871 bis 1918

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Verändertes Profil: das Internationale Lübecker Kammermusikfest 2003
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Bekanntlich trat der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. nur bei Sonnenschein in der Öffentlichkeit auf. Kaiserwetter gab es auch beim Internationalen Lübecker Kammermusikfest 2003, das die „Epoche 1871 bis 1918 als Programm“ nun zum 13. Mal am Himmelfahrtswochenende präsentierte.

Da wurde ein Prisma in das Licht aus dieser Epoche gehalten und deren mannigfaltige stilistischen Facetten ausgebreitet. Mit Geschichtsbewusstsein für Zusammenhänge, die Moderator Hermann Boie vor jedem der drei Konzertabende mit Anekdoten ausgeschmückt erläuterte. Die Frage, wie lange denn die Konzerte dauerten, konnte er nicht beantworten, denn seine eigenen oft ausschweifenden Vorträge und häufige Zugabenwünsche des Publikums bestimmten das Zeitlimit in Lübeck. Das Profil des Festivals hat sich mittlerweile verändert – zugunsten seiner Attraktivität –, und zwar weil junge, aber bereits international erfahrene Talente wie Lucille Chung dort auftreten. Die in Kanada geborene zierliche Pianistin erntete publizistische Superlative für ihre Aufnahmen der „Études“ von György Ligeti, von denen sie drei mit feinem Sensorium und stupender Energie aus Anlass seines 80. Geburtstags am 28. Mai spielte. Eine aktuelle Reverenz.

Und eine weitere an Sergej Prokofieff zum 50. Todestag. Die Klaviersonate Nr. 2 (1912) entwickelte sich bei Lucille Chang zum Tornado, sowohl auf den Tasten als auch in ihrem Gesicht, das die schroffe Kinematik dieses Werkes wie einen inneren Film reflektierte. Und dann, wie im Auge des Wirbelsturms: sanfte „Préludes“ von Alexander Skrja-bin. Völlig souverän in beiden Extremen konnte Lucille Chung auch die härtesten Skeptiker überzeugen. Ebenso ihr Freund Alessio Bax, Primus beim Leeds Klavierwettbewerb 2000, der mit launig-exaltierten „Préludes“ von Sergej Rachmaninoff glänzte. Einen Überraschungscoup landete das Artis Quartett aus Wien mit dem „Streichquartett Nr. 1“ des fast vergessenen Karl Weigl. Expressionistische Dramatik und hymnische Kantilenen konturieren dieses bisher unterschätzte Werk, über das Weigls Freund Arnold Schönberg schrieb, es sei in der besten Wiener Tradition komponiert.

Die Reihe junger Talente setzte sich fort mit dem Ars Trio di Roma mit dem spätromantischen Klaviertrio von Xaver Scharwenka auf dem Notenpult sowie mit Shirley Brill und ihrem Partner Jonathan Aner fort, beide verliebt in die „Sonate für Klarinette und Klavier“ von Camille Saint-Saens. Die junge Generation der 20- bis 30-jährigen Solisten prägte also mit ehrlicher Begeisterung fürs Repertoire und motiviert durch die freundliche Atmosphäre dieses Festival. Zu den tragenden Säulen des Lübecker Kammermusikfestes gehört seit je Cello-Weltstar Natalia Gutman. Mit ihrem Klavierpartner Viatscheslav Poprugin zelebrierte sie dieses Mal das entzückende Märchen „Prohadka“ von Leos Janacek sowie die „2. Sonate“ von Nicolai Miaskowsky und ihr gewidmete Stücke von Edisson Denissow.

Einen Gruß nach St. Petersburg zum 300-jährigen Stadtjubiläum schick-te das detektivische Klavierduo Sontraud Speidel/Evelinde Trenkner mit dem „Capriccio italien“ von Peter Tschaikowsky. Von ihm selbst arrangiert, selten gespielt und deshalb dankbar in neuer Frische angenommen.

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