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Eine Art den Regen zu beschreiben

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Zur großen Hanns-Eisler-Retrospektive im Wiener Filmmuseum
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Zögerlich haben in den letzten Jahren die großen Kinematheken der Welt begonnen, auch das Werk von Filmkomponisten zu präsentieren. Das Österreichische Filmmuseum hat es nun geschafft, nach einer wunderbaren Korngold-Retrospektive die bisher größte Reihe mit Filmen zusammenzustellen, die Hanns Eisler orchestriert hat: von dem legendären „Kuhle Wampe“ bis zu der in Wien gedrehten Brecht-Verfilmung „Herr Puntila und sein Knecht Matti“. Dazu gab es sehr faktenreiche Einführungen von Johannes C. Gall, der in den letzten Jahren die Eisler-Filmmusik-Forschung sehr belebt hat.

Die Komponisten von Brecht sind lange Zeit bei uns im Schatten des Meisters gestanden. Vollkommen zu Unrecht, wie man weiß: Kurt Weill hat das Musiktheater revolutioniert, Paul Dessau war ein begnadeter Liedschreiber und Hanns Eisler hat versucht, der Filmmusik neue Impulse zu geben. Sein zusammen mit Theodor W. Adorno entstandenes ketzerisches Buch „Komposition für den Film“ wurde hierzulande zum Klassiker der Musik-Film-Theorie.

Entstanden ist dieser praktische „Ratgeber“ als Fazit des sog. „Film Music Project“ der Rockefeller Foundation in den frühen vierziger Jahren. Ein weiteres Ergebnis dieses Projekts war die Vertonung eines Stummfilms seines linken Freundes Joris Ivens gewesen: „Regen“. Unter dem schönen Titel „Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben“ wurde diese kammermusikalische Komposition zwar zum  Repertoirestück, aber jahrzehntelang hat sich kaum jemand für die vielleicht existierende „Originalfassung“ des Stücks interessiert. Alle „Rekonstruktionen“ funktionierten nicht: weil die Zwölftonkomposition nicht zur Bildmontage passte, sie war zu lang. Man hat das damals als „eigenartige Manifestationen von Eislers Konzept des dramaturgischen Kontrapunkts“ gewertet, wie Gall anmerkte. Eislers Musik sei halt nur vom Film „inspiriert“ gewesen, hieß es.

Erst dem Eisler-Forscher Johannes C. Gall ist es vor einigen Jahren gelungen, die Musik dem Film perfekt anzupassen. Denn wie sich herausstellte, hatte die Originaleinspielung von 1941 überlebt. Einerseits auf zwei Schellackplatten, die sich im Nachlass von Louise-Eisler-Fischer fanden, andererseits als Lichtton-Positiv im Archiv des Amsterdamer Filmmuseums. Dabei stellte sich heraus, dass Eisler für seine Vertonung nicht die Stummfilmfassung von 1929 verwendet hatte, sondern die Tonfilmversion von 1932, mit Musik von Lou Lichtveld. Und jetzt „schnappte“ die Musik plötzlich ein, wie Gall in seinem Nachwort zur Suhrkamp-Neuausgabe des Buchs schreibt, der eine DVD beigelegt ist mit Ausschnitten aus Eislers „Film Music Project“, darunter der komplette „Regen“-Film. Wer mehr über die Recherche zur „Regen“-Musik erfahren will, dem sei ein Aufsatz in dem neuen Musik-Konzepte-Band „Hanns Eisler. Angewandte Musik“ (erschienen bei Text + Kritik) wärmstens empfohlen: „Eine wiedergefundene Art den Regen zu beschreiben“. Gall schildert darin präzise die ganze Vorgeschichte, seine Detektivarbeit und liefert dazu eine aufschlussreiche Analyse der Filmmusik.

In der Filmretrospektive selbst konnte man einen großartigen Filmkomponisten kennenlernen, der zwischen Berlin, Paris, Amsterdam, Hollywood und Wien sein Metier immer sehr ernst nahm. Wobei er sich nicht immer an die Vorgaben seines  „Ratgebers“  hielt. Immer wieder jedenfalls hat Eisler in den verschiedensten Genrefilme seine Gassenhauer wie das „Solidaritätslied“ geschickt verarbeitet. Gewissermaßen seinen eigenen „Katalog“ hatte er ja schon für den einzigen kommunistischen Spielfilm der späten Weimarer Republik entwickelt: „Kuhle Wampe“. Ein Gegenstück zu den Ufa-Tonfilmoperetten von Werner Richard Heymann oder Friedrich Hollaender. Wobei seltsamerweise die Musik zu diesem Film auch immer wieder überbewertet wurde, weil die wirkliche Kenntnis des filmmusikalischen Umfelds damals einfach gefehlt hat. Andererseits hat man Eislers Hollywoodarbeit bis auf Brecht/Langs „Hangmen Also Die!“ immer unterschätzt. Dabei hatte er dort Mitte der vierziger Jahre noch drei weitere Filme von Emigranten perfekt orchestriert: Gustav Machatys Film Noir „Jealousy“, Jean Renoirs „Woman On The Beach“ und Douglas Sirks Gaunerkomödie „A Scandal In Paris“. Leichtfüßig kommt da plötzlich seine Musik daher, klingt dabei sogar an manchen Stellen exotisch. Damals scheint er tatsächlich auf dem Weg gewesen zu sein – mit seinem Buch im Gepäck! – zum Hollywood-Komponisten zu reifen, der bis zum Auftauchen der neuen Generation um Alex North frischen Wind in die Szene gebracht hätte. Aber McCarthy machte einen Strich durch die Rechnung: als angeblicher Kommunist wurde er 1948 aus den USA ausgewiesen.

Obwohl in Leipzig geboren, hat sich Eisler „zeitlebens als Wiener“ gefühlt. Und so hat er gleich nach seiner Ausweisung in seiner früheren Heimatstadt wieder Anschluss gesucht, wie man ausführlich nachlesen kann in dem Sammelband „Hanns Eisler – Ein Komponist ohne Heimat?“ (Böhlau Verlag).

Auch hier findet man einen sehr lesenswerten Beitrag zum Filmkomponisten Eisler. Peter Schweinhardt widmet sich darin „Schicksal am Lenkrad“, einem bisher komplett übersehenen „Heimatfilm“  aus Eislers „Rosenhügel“-Jahren zwischen 1953 und 1955. Auch in diesem Fall ist eine DVD beigelegt mit Ausschnitten aus dem analysierten Film. Den Höhepunkt seiner Wiener Spätphase stellen freilich die beiden Filme von 1955 dar: die bizarre „Puntila“-Verfilmung mit Curt Bois in der Titelrolle und das sarkastische „Bel Ami“-Remake mit Johannes Heesters. Für „Puntila“ scheint sich Eisler an die Musik erinnert zu haben, die er für Chaplins „The Circus“ komponiert hatte und den sehr französischen „Bel Ami“ tauchte er in Wiener Walzerklänge ein. Unglaublich souverän hat er all diese späten Werke in Musik gegossen: mit Witz, Esprit und Chuzpe.

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