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Eine hohe Schule für Interpreten

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Zum Abschlusswochenende der Lachenmann-Perspektiven in Stuttgart
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Eine zweifache Zeitverschiebung steckt – von heute aus betrachtet – in Helmut Lachenmanns „Salut für Caudwell“. „Wir stellen die Forderung an euch, das Leben mit der Kunst und die Kunst mit dem Leben in Einklang zu bringen“, zitieren die zwei Gitarristen programmatisch aus Christopher Caudwells „Bürgerliche Illusion und Wirklichkeit“. Der Text war bereits 40 Jahre alt, als Lachenmann vor fast 40 Jahren das Stück schrieb: „Wir verlangen, dass ihr wirklich in der neuen Welt lebt und eure Seele nicht in der Vergangenheit zurücklasst.“ Nun ist zu Lachenmanns 80. Geburtstag seine neue Musikwelt allein in Stuttgart mit 22 Konzerten gefeiert worden. Doch die neue Welt, die der englische Autor 1937 erträumte, kurz bevor er im Spanischen Bürgerkrieg ums Leben kam, scheint weiter weg denn je.

Wie neu ist Lachenmann heute? Dies lässt sich am besten im Vergleich mit der nächsten und übernächsten Generation feststellen. Während seine Musik vor 50 Jahren noch Zuhörer aus dem Saal trieb, applaudieren heute auch in der Liederhalle begeistert die Abonnenten. An seinen Maximen kommt kein Kompositionsstudent mehr vorbei. Vier ihrer Absolventen hat die Stuttgarter Musikhochschule zum Abschlusswochenende beauftragt, Werke für eine Besetzung zu schreiben, für die bereits Lachenmann komponierte.

Davor Branimir Vincze stellt in „Pushmi-Pullyu“ dem „Salut“ ein Klangmaterial gegenüber, das in den 1970er-Jahren auf ganz andere Weise als unbürgerlich galt, nämlich zwei E-Gitarren mit Wahwah- und Fuzz-Pedal, wie von Jimi Hendrix. Seine Anregungen für die absteigenden Glissandi und Knackgeräusche entnimmt der studierte Biologe allerdings Tonaufnahmen antarktischer Seehunde, wie er im Gespräch anschließend vorführt. „Ein Komponist hat nichts zu sagen, er hat etwas zu schaffen“, wird Lachenmann im Programmheft zitiert. Dafür wurde ganz schön viel gesagt an diesen zwei Tagen: Immer zwischen einer Uraufführung und der Wiederholung des Werks gab der jeweilige Komponist ausgiebig Auskunft. Komponistinnen waren nicht dabei.

Und nicht nur Lachenmanns „Salut“ enthält manifestartig gesprochene Sätze. „Nicht lachen – nicht singen“, lässt sich aus Jan Kopps „Schwellen“ für hohe Stimme und Klavier deutlich heraushören: ein Fragment aus Anna Achmatowas „Abschiedsgedicht“, das hier ganz im Sinne Lachenmanns die musikalische Absicht unterstreicht, eben nicht die Konventionen des Klavierlieds zu bedienen: Daniel Gloger singt zuerst mit geschlossenem Mund und beugt sich dann in den geöffneten Flügel hinein, um auch ein wenig an den Saiten zu zupfen.

Sehr viel rabiater ist da Lachenmanns „Got lost“, in dem zuerst keine Texte zu hören sind, dann aber collagiert in drei Sprachen aus Nietzsche, Pessoa und einem Zufallsfund, angeheftet in einem Aufzug. Aus dem „Got lost“ des Titels lässt sich in Lachenmanns Vertonung auch „got(t)los(t)“ heraushören, wiederum in Anspielung auf Nietzsche. Wie Nuria Richter zuerst sprachlos Vokale und Konsonanten ausstößt und später wild durcheinander die drei Texte, könnte unglaublich komisch sein. Doch Lachenmann ist nicht zum Spaßen zumute. Dadaistischen Klamauk auf die Bühne zu bringen: davon hat er sich von Anfang an distanziert.

„Ich möchte wirklich singen“, beginnt demgegenüber die Cellistin Hanna Kölbel einleitend zu Iván González Escuders Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier: „weil ich singen mag.“ Acht Minuten kurz, ist das Trio deutlich lyrischer als Lachenmanns „Allegro sostenuto“, welches beeindruckend zeigt, dass seine Musik jedenfalls eines ist: eine hohe Schule für Interpreten. Wie ein Klavieranschlag oder ein gedämpfter Klarinettenton im Cello nachklingt, das erfordert höchste Präzision. Aus drei Instrumenten wird eines.

Höhepunkt des Programms war das Konzert des Veranstalters Musik der Jahrhunderte im Theaterhaus. Gerahmt von Lachenmanns erstem und drittem Streichquartett und unterbrochen von einem weiteren von Rebecca Saunders waren Werke von vier Lachenmann-Schülern zu hören, die aus seinen Lehren ganz verschiedene Konsequenzen ziehen. Alvaro Carlevaros „bagatelas pampeanas“ für sieben Stimmen dekonstruieren musikalische Traditionen, in diesem Fall Lieder von den Ufern des Rio de la Plata zwischen Uruguay und Argentinien. Damit kontrastierte Saunders’ Quartett „fletch“, ähnlich geräuschhaft wie Lachenmann, aber keineswegs auf Vorhandenes bezogen: vielmehr reine Energie, wie abgeschossene Pfeile.

Mark Andre deutet mit der Ziffer „3“ alles an: die Trinität, die Zahl Pi, seinen katholischen Kosmos. Dies mag aus der Musik heraushören wer will, jedenfalls ist das Werk für sechs Stimmen ungewöhnlich sanft, voll feinster Schwebungen. Als Weg nach innen, des In-sich-Hereinhörens lässt sich dies ohne weiteres begreifen. Furios intonierten Yukiko Sugawara und Tomoko Hemmi hingegen Gianluca Ulivellis „Post Scriptum“ für zwei Klaviere, die zunächst nicht zusammen finden, das eine tiefe Resonanzen hervorbringend, das andere helle Tastengeräusche. Sie treffen sich schließlich in mit Gummibällen auf dem Holz geriebenen tierartigen Lauten. Manuel Hidalgo kontrastiert in „Cuatro citas de Juan Goytisolo“ immer wechselnd zugleich Gesang ohne Text und gesprochene Texte des spanischen Dichters.

Ganz zum Schluss dirigierte Sylvain Cambreling, wie bei der Uraufführung 1980, das Staatsorchester und das Arditti Quartet durch die „Tanzsuite mit Deutschlandlied“: vielleicht Lachenmanns großartigstes Werk, durch die rhythmische Faktur gleichwohl zugänglicher als andere. Cambreling tänzelte sich durch die ständig wechselnden, sich überlagernden Metren. Aus dem Feuerwerk der Geräusche lässt sich bei entspanntem Hören doch die eine oder andere Anspielung heraushören. Mag sein, dass Beethovens anschließend gespielte „Eroica“ auch einmal neu und ungewohnt klang. Im Vergleich wirkt sie abgestanden und schal.

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