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Mehr Attraktivität für Jugendorchester
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Leiter und engagierte Mitglieder von Jugendorchestern hatte die Jeunesses Musicales Deutschland zu einer Fachtagung nach Weikersheim eingeladen. Viele waren gekommen. Die rund 50 Teilnehmenden, die sich inmitten vorweihnachtlicher Muckenzeit die fortbildende Auszeit in Weikersheim genommen hatten, repräsentierten die Jugendorchesterlandschaft in Deutschland: jugendliche Mitglieder von Schul-, Musikschul- und Universitätsorchestern waren ebenso vertreten wie Orchestervorstände, Leitungsverantwortliche aus dem Bundesjugendorchester, der Deutschen Streicherphilharmonie und den Landesjugendorchestern sowie Leitern und Leiterinnen von Jugendorchestern zwischen der Waterkant und dem Voralpenland.

Die bundesweit ausgeschriebene Tagung war zugleich der Schlussstein und die ergebnisorientierte Öffnung eines regionalen Modellprojekts, das die JMD unter dem runden Titel „Im Kreis dreht sich’s um Musik“ mit sechs Jugendorchestern im Main-Tauber-Kreis über zwei Jahre hinweg durchgeführt hatte. Es ging einerseits um den Fragenkomplex, wie sich Jugendorchester heute sowohl für ihre Mitwirkenden interessanter machen als auch für ihr Publikum aktueller präsentieren können, andererseits spielte der Grundsatz der verstärkten Mitverantwortung der jugendlichen Musiker eine zentrale Rolle.

Praxisorientiert sollte die Tagung sein, ihre Inhalte gewonnen aus dem realen Jugendorchesterleben, ihre Anregungen ganz auf die Anwendbarkeit vor Ort zugeschnitten. Was lag da näher, als mit einem orchestralen Auftakt des JSO Bad Mergentheim zu beginnen? Als Initiatoren des Modellprojekts in Baden-Württemberg gaben JMD-Generalsekretär Uli Wüster und Landesvorsitzender Peter Ammer einen Überblick über das, was sich an der Tauber von ersten Kontaktaufnahmen über gemeinsame Musikproben mit dem von Akademieleiter Günter Müller-Rogalla geleiteten „SinfonikPLUS“-Riesenorchester, über manchmal inspirierte, manchmal bemühte Themenworkshops mit den Jugendlichen bis hin zu zwei glänzenden Orchesterfesten mit großer Öffentlichkeitswirkung ereignet hatte. Teilnehmer aus den beteiligten Orchestern präsentierten ihre Einschätzungen über die Erfolge und Effekte der gemeinsamen Arbeit: Vernetzung, Kooperationsmöglichkeiten, Zielstrebigkeit, Motivation, Horizonterweiterung, Selbstbewusstsein wurden da genannt. Ein tolles Erlebnis sei das gewesen, dieses so rund laufende Orchesterfest auf verschiedenen Bühnen. Nach nur einem Jahr Vorlauf hatten sie ihre Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu eigenen Moderationen so perfekt hingedreht, dass das Publikum gar nicht anders konnte, als sich mitreißen zu lassen von Qualität und jugendlicher Musikbegeisterung. Eines der Orchester verdankte dem Projekt gar seine Gründung und seinen Stellenwert am Ort.

Die Fragestellung der Fachtagung war durch und durch ein Marketingthema. „Jugendorchester und ihr Markt“ war denn auch das Feld, zu dem Professor Angela Koch vom Kulturmarketingstudiengang der Reinhold-Würth-Hochschule Künzelsau eine gute Stunde Theorie beisteuerte: Was da zu hören war von Perspektiven für die Aufmerksamkeit auf Kultur in der heutigen Zeit, schien nicht gerade ermutigend für Jugendorchester und ihre eher periphere Rolle, wenn sich bei stetig wachsender Vielfalt auf dem Freizeitmarkt Konkurrenzen ganz anderen Zuschnitts ergeben. Dennoch – der Vortrag bot den Tagungsteilnehmern auch ein Handlungsschema von Zielsetzung, Analyse der Gegebenheiten, Besinnung auf die eigenen Stärken und strategischen Vorgehensweisen an, mit dem sich auch Jugendorchester einen Weg durch das Dickicht moderner Alltagsverflechtungen bahnen können.

Good-Practice-Beispiele einiger Jugendorchester schlossen sich an, illustrierten die Theorie, regten das eigene Nachdenken an: Eine ganz besondere Nische hat sich ORSO, das Offenburger Rock-Symphony-Orchestra, erschlossen, das mit seinem visionären jungen Dirigenten Wolfgang Roese und einem hoch motivierten ehrenamtlichen Team, einer knisternden Arbeitsatmosphäre und spektakulären Konzerten zu jedem Projekt fast 200 junge Musiker zusammentrommelt. Das Studentenorchester Münster macht mit 80 Mitgliedern und originellen Themenkonzerten seit 1976 Furore. Das höchst disziplinierte Ensemble probt wöchentlich, zieht pro Konzert rund 650 Besucher an. Vier bis fünf Konzerte jährlich zielen speziell auf Kinder und Familien als Publikum. Nicht leistbar wäre das ohne die „Drumherum-Kommission“, die sich ums spritzige Programmheft, um Sektbar, Bühnenbild und Präsentation kümmert, Öffentlichkeitsarbeit und persönliche VIP-Einladungen organisiert, auch mal ein Kombiticket für Kino und Konzert möglich macht oder für einen passenden Vortrag sorgt.

Auch im kleineren Rahmen kann das mit der Mitverantwortung im Orchester funktionieren, hält das Jugendsinfonieorchester Bad Mergentheim dagegen. Wenn sich einzelne Arbeitsgruppen spezieller Themen, etwa der Moderation, der Bewirtung, der Präsentation, der erforderlichen Auf-, Um- und Aufbauten annehmen, wenn eine AG die Werbung schultert und eine sich intensiv auf die Suche nach Sponsoren macht, dann ist sogar eine große Benefiz-Gala möglich. Welchen Grad an Originalität und Qualität ein Jugendorchesterprojekt gewinnen kann, wenn man die jungen Leute gewähren lässt, bewiesen Mitglieder des Orchesters der Kreismusikschule Kusel, die nicht nur mit „Musik im Blut“ bei der Sache waren, sondern unter diesem Titel ein spannendes Konzertprojekt im Rahmen des Deutschen Jugendorchesterpreises der JMD entwickelt hatten. Musikschul- und Orchesterleiter Thomas Germain probte dabei als neue Rolle den Ermöglicher im Hintergrund.

Was haben solche Erfolgsmodelle, was andere nicht so haben? Vielleicht eine klare Corporate Identity, die zu erarbeiten ebenfalls bei der Jugendorchester-Fachtagung auf dem Programm stand. Anhand eines gestaffelten Fragenkatalogs führte JMD-Generalsekretär Uli Wüster die Teilnehmer zu Selbstreflexion, Anregungen, Nachfragen und Diskussionen. Am liebsten hätte man da weitergemacht, wo man aus Zeitgründen aufhören musste. Mitnehmen konnte man eine Bewegung hin auf sich selbst und von dort wieder zum Publikum, zu Partnern, Förderern, Presse – und immer mit dem Blick auf die eigenen Potenziale. Und hier, da war man sich einig, gilt es, einen großen Schatz bei den jugendlichen Orchestermitgliedern selbst zu heben.
Den Abschluss machte am Sonntagmorgen eine Präsentation einiger Praxisbeispiele aus dem Education-Programm der Berliner Philharmoniker, die – in Vertretung seiner erkrankten Leiterin Cathy Milliken – Annika Schmitz aus dem „zukunft@BPhil“-Team gab. Kooperationsmodelle wie das jährliche Schulorchestertreffen, das auch eine hervorragende Anregung für die „tutti pro“-Initiative der JMD für Orchesterpatenschaften mit Berufsorchestern darstellt, Musikvermittlungsprojekte wie die Zusammenarbeit mit einem Komponisten und Schulklassen oder ein „Fest der Sinne“ sind brauchbare Anregungen auch für Jugendorchester, bieten Identifikationsmomente, eröffnen neue Zugänge zur Musik und zum eigenen Musizieren und machen nicht zuletzt einfach Spaß. Dass dies die eigentliche Motivationskraft und der überragende Attraktivitätsfaktor der Jugendorchester darstellt – dies konnten die Teilnehmenden leibhaftig von dieser Tagung als wichtigstes Ergebnis mitnehmen.

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