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Ereignis von erregender Einmaligkeit

Untertitel
Konzertprojekt „Karneval der Tiere und Pianisten-Cocktail“, Teil I · Von Reinhild Spiekermann
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„Niemand hätte die beschwerliche Reise und den ungewohnten Kostümzwang auf sich genommen, wenn es sich nicht um ein kulturelles Ereignis von erregender Einmaligkeit handelte – den Karneval der Tiere!“ In freier Anverwandlung des Loriotschen Eingangstextes zum „Karneval der Tiere“ lässt sich feststellen: auch die Leiterin der Johannes-Brahms-Schule in Detmold, Ele Grau, und ich hätten die planerische und musikalische Reise nebst ungewohnten Sach- und Organisationszwängen nicht auf uns genommen, wenn wir nicht vom pädagogischen Modellcharakter dieses Konzertprojekts überzeugt gewesen wären.

Schon seit den ersten gemeinsamen Gesprächen, in wie weit eine Verzahnung von Studium und Beruf in Detmold möglich ist, trugen wir uns mit dem Gedanken, ein gemeinsames Konzert zu veranstalten. Unser Wunsch war es, möglichst vielen Kindern und Jugendlichen einen Auftritt in der Hochschule zu ermöglichen und dabei zugleich den Studierenden eine Chance zu geben, die Probenarbeit mit Heranwachsenden aller Altersstufen kennen zu lernen. Das Jubiläumsjahr der Johannes-Brahms-Schule anlässlich ihres 45-jährigen Bestehens bot einen willkommenen Anlass, dieses Konzertprojekt in den Reigen der festlichen Kooperationskonzerte der Musikschule aufzunehmen und zugleich den Anspruch der Hochschule, eine Hochschule der Kooperationen zu sein, zu untermauern.

Planungsphase

Natürlich stand zu Beginn die Frage im Raum, welches Werk einstudiert werden soll. Das von Dr. Maximilian Hofbauer erstellte Arrangement des hinlänglich bekannten „Karneval der Tiere“ von Camille Saint-Saens bot sich aus verschiedenen Gründen an. Im Gegensatz zur Originalfassung ist ein Großteil der Orchesterstimmen zusätzlich auf die Pianisten (oft sogar auf vier Pianisten) übertragen worden, für Studierende mit dem Hauptfach Klavier ein dankbares Spielfeld! Dies bedeutet aber auch, dass man in der Besetzung der übrigen Stimmen folglich sehr frei verfahren und somit auf örtliche Gegebenheiten reagieren kann. Hinzu kommt, dass viele Kinder der Grundstufe einer Musikschule den „Karneval der Tiere“ im Unterricht kennen lernen und auf sehr kreative Weise verarbeiten. Für uns waren das viele gute Argumente, dieses Großprojekt in Angriff zu nehmen und ins Leben zu rufen.

Im Handumdrehen waren mehr als 130 Mitwirkende gewonnen, davon rund 85 Kinder aus Früherziehungs- und Grundausbildungskursen im Alter von vier bis sieben Jahren. Unter Anleitung ihrer Lehrerinnen studierten diese Gruppen verschiedene Nummern des „Karnevals“ ein, um sie im Konzert vielfältig gestaltet auf der Bühne darzustellen: Chiffontücher, Löwenperücken, Fischkostüme oder kunstvoll erstellte Schwanenmasken sorgten für einen bunten Anblick bei der Verbildlichung der Musik.

Ein Großteil der Studierenden im Seminar „Fachdidaktik/-methodik Klavier“ erklärte sich spontan bereit zur Mitwirkung, so dass das pianistische Material auf zehn Spieler verteilt werden konnte. Parallel zur Besetzung dieses „musikalischen Rückgrats“ prüfte die Musikschule, in welchem Umfang die Instrumentalstimmen besetzt werden können. Für nahezu alle im Arrangement verteilbaren Stimmen fanden sich Mitwirkende aus den unterschiedlichsten Instrumentalklassen der Johannes-Brahms-Schule. Zuletzt wurde noch der Rektor Prof. Martin Christian Vogel als Sprecher gewonnen, was in seiner Symbolkraft nicht unterschätzt werden sollte.

Pianisten-Cocktail

Eine weitere Besonderheit des Arrangements sollte ausführlich erwähnt werden: Saint-Saens hat die Eitelkeit der Spezies „Pianisten“ im Original gebührend zur Schau gestellt – Arrangeur Dr. Maximilian Hofbauer treibt dies auf die Spitze. Die originalen Fingerübungen von Saint-Saens bilden nur noch den äußeren Rahmen für ein rasant-pianistisches Feuerwerk, das an eine gigantische Klavierstunde – im Zeitraffer ablaufend – erinnert. Rund 50 Werkausschnitte, die potpourriähnlich montiert sind, stellen an Klavierspieler aller Alters- und Leistungsstufen beinahe akrobatische Ansprüche. Es geht um kurze, glänzende Auftritte eines jeden, bevor der Nächste schon wieder ungeduldig ans Klavier drängt. Schon Gounods „Ave Maria“, zu Johann Sebastian Bachs C-Dur-Präludium erklingend, heitert düstere Klavierstundenerinnerungen auf. In rascher Aufeinanderfolge ertönen Zitate von Mendelssohn oder Schumann, dann zeigen die Anfänger am Klavier, dass es nicht nur Czerny, Diabelli oder Burgmüller gibt, sondern dass Schaum auch Wohlklingendes komponierte. Nach Eingreifen Beethovens hört man wieder „ordentliche“ Klassik, gefolgt von einem Zitatenmix aus Werken von Brahms, Liszt oder Paganini. Über Spätromantik und Impressionismus klingt der aberwitzige „Cocktail“ mit Milhauds „Brazileira“ aus. Die abschließenden Terzenübungen der Pianisten holen alle Beteiligten wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Auch wenn der „Cocktail“ in die Hände von maximal 68 Spielern gelegt werden kann, hatten wir uns entschlossen, es bei der Hälfte an Pianisten zu belassen, um den Probenaufwand kalkulierbar zu machen. In einer Vorprobe stellten wir sicher, dass die Studierenden das Ineinandergreifen ihrer Klavierparts können, – dennoch blieben genügend Stellen, in denen Unter- beziehungsweise Mittelstufenschüler im Quodlibet mit den Studierenden zu spielen haben. Für einen Moment gewannen Besorgnis und Frustration die Oberhand, ob diese verrückte Mixtur überhaupt zu schaffen ist.

Vielleicht hatten wir in der Euphorie der Stimmverteilung den Fehler gemacht, zu viele der Spieler an beiden Flügeln abwechselnd einzusetzen? Wäre es nicht viel besser gewesen, jeden Spieler eindeutig einem Instrument zuzuordnen? Doch auch dies ließ sich im Verlauf der achtwöchigen Probenphase ausbügeln, so dass die letzten Proben vergnügt entspannt verliefen.

Pädagogisches

Welche pädagogischen Impulse setzte das Projekt? Für mich als Leiterin des Studiengangs Musikpädagogik gab es einen zentralen Gedanken: Studierende konnten hautnah erfahren, in welchen Spannungs- und Spielräumen die Arbeit mit musikalischen Laien stattfindet. Dieses Mal lag der Fokus eben nicht auf dem kontinuierlichen Prozess des Instrumentalunterrichts, sondern auf der Erarbeitung eines Werks, das innerhalb weniger Wochen auf die Bühne gebracht werden sollte. Den Studierenden wurden Möglichkeiten eingeräumt, zusätzliche Kompetenzen im Bereich der Projektarbeit zu erwerben. Im Hinblick auf spätere Praxisfelder gewinnen ja gerade diese Fähigkeiten an Bedeutung. Manch einem Absolventen hat schon die engagierte Teilnahme an einem Projekt weitere Berufstüren geöffnet. Der Kompetenzzuwachs in einem Teilbereich kann ungeahnte Kräfte in anderen Bereichen freilegen. Sehr interessant war in diesem Zusammenhang auch die Beobachtung, wie die Gruppe der Studierenden einerseits zusammenwuchs (Stichwort: Integration verschiedener Kulturen), wie andererseits der Einzelne mit seiner ganzen Persönlichkeit auf die jeweiligen Stationen des Projekts reagierte. Wesentlicher Aspekt war auch die Verknüpfung von Instrumentalpädagogik mit dem Bereich der Allgemeinen Musikerziehung (AME). Vielen Studierenden unserer Hochschule mit instrumentalem Hauptfach erschließt sich die Bedeutung der AME nur sehr mühsam, allzu weit weg vom eigenen Tun entfernt erscheinen Inhalte und Arbeitsformen.In einem gemeinsamen Konzertprojekt, so hoffte ich, würden sich Barrieren abbauen lassen und Sensibilisierung für die AME stattfinden.

Teil II in der neuen musikzeitung November 2004

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