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Es könnte vielleicht eine Chance sein...

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Zur Generalversammlung des Deutschen Musikrates in Berlin
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Am 27. und 28. Oktober kam der Deutsche Musikrat zu seiner 31. Generalversammlung in Berlin zusammen. Maßnahmen wie der Wettbewerb “Jugend musiziert“, das Bundesjugendorchester, der „Deutsche Musikwettbewerb“, die CDs „Edition Zeitgenössische Musik“ und die neue CD-Reihe „Musik in Deutschland von 1950 bis 2000“ – gerade in Berlin mit dem „Echo-Preis“ ausgezeichnet – stehen für erfolgreiche Einzelprojekte in der Verantwortung des Musikrates. Nur mit der Gesamtdarstellung dieses wichtigsten Dachverbandes der Musik in Deutschland haperte es bislang erheblich. Bei der Generalversammlung ging es daher nicht nur um Sachfragen in den Fachausschüssen und um die Neuwahl des Präsidiums, sondern vor allem auch um die lange überfällige Weichenstellung für die zukünftige politische Arbeit des DMR. Wichtige Aufgaben Jeder gesellschaftliche Bereich ist heute ganz zweifellos auf eine möglichst effiziente Lobbyarbeit angewiesen. Das gilt in besonderem Maße für jene Segmente, die im Sog allgemeiner politischer Entwicklungen und vermeintlicher Sachzwänge allzu leicht unterzugehen drohen. Die Musik beispielsweise spielt zwar in beinahe allen Winkeln unserer klingenden Erlebnisgesellschaft eine auch ökonomisch zunehmend bedeutendere Rolle, kann aber längst nicht auf eine vergleichbar geschlossene öffentliche Selbstdarstellung zurückgreifen wie etwa der Sport. Gemeint ist damit natürlich nicht ein gleichmachendes Corporate Design, sondern eine in die Breite des öffentlichen Bewusstseins zielende und gegenüber der Politik möglichst schlagkräftig gebündelte Interessenvertretung des vielschichtigen Musiklebens in Deutschland. Genau das wären die zentralen Aufgaben des Deutschen Musikrates. Mit seinen vielen Musikorganisationen, Verbänden, 16 Landesmusikräten, zahlreichen Persönlichkeiten des Musiklebens und dem Bundespräsidenten als Schirmherr ist der DMR der zentrale Dachverband für Musik in der Bundesrepublik. Er repräsentiert nicht zu letzt über acht Millionen Bürger, die sich professionell oder als Laien mit Musik befassen. Dieser Wichtigkeit schien sich der Musikrat bisher nur wenig bewusst gewesen zu sein – dieser Eindruck musste jedenfalls in der Öffentlichkeit entstehen. Dabei laufen unter seiner Regie viele gute und wichtige Förderprogramme und Projekte, auf die der Deutsche Musikrat selbstbewusst und vor allem öffentlichkeitswirksam hinweisen könnte und müsste. Viele dieser Maßnahmen sind – für sich allein genommen – sehr erfolgreich. Nur der Musikrat selbst als verantwortlicher Dachverband bleibt dabei bescheiden im Verborgenen. Viele gesellschaftliche Realitäten wurden beim Musikrat bisher oft schleppend bis gar nicht realisiert beziehungsweise in aktive Handlungen umgesetzt. Diese Defizite wurden aber inzwischen durchaus erkannt und bei der diesjährigen Generalversammlung in Berlin kontrovers diskutiert. Wichtige Sachfragen Am Beginn der diesjährigen Zusammenkunft stand allerdings zunächst die wichtige Detailarbeit der Fachausschüsse. Die neue Generalsekretärin, Dr. Marlene Wartenberg, zeigte sich mit der Behandlung dieser Arbeitsschwerpunkte sehr zufrieden: „Wir arbeiten wirklich sehr konkret. Wir haben zum Beispiel gerade in zwei Bundesfachausschüssen sehr deutliche Beschlüsse gefasst, und das ist auch in anderen Fachausschüssen der Fall gewesen. Das sind dann schon sehr klare Handlungsempfehlungen an die Politik. Und das ist schließlich auch Sinn der Sache: Wir sind ja als Spitzenverband zuständig für die fachliche Politikberatung.“ So reagierte der Deutsche Musikrat mit Stellungnahmen auf einige politische Entwicklungen und Entscheidungen. Der Musikrat äußerte sich zustimmend zur Initiative der Bundesregierung, die Problematik der „urheberrechtlichen Vergütungen“ endlich an die veränderten Technologien, hier vor allem Personalcomputer und digitale Tonträger, anzupassen. Gefordert wurde auch die „nicht gerechtfertigte, allein zu Lasten der Urheber gehende Freistellung der gewerblichen Wirtschaft und der Behörden“ für die Vervielfältigung geschützter Werke aufzuheben. Die Neuen Medien standen auch im Mittelpunkt der Diskussion im Bundesfachausschuss „Musik und Medien“. Die Bundesregierung wurde von dort aufgefordert, eine ständige Expertenkommission mit dem Komplex der „Digitalisierung im Musikleben“ zu betrauen. Dabei müsse vor allem den sich fundamental wandelnden Begriffen „Urheber“, „Werk“ und „Interpret“ besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Schwieriger wurde die Beschlussfassung hinsichtlich der Veränderungen bei der Künstlersozialversicherung, da hier auch innerhalb des Deutschen Musikrates die konkurrierenden Interessen von Künstlern und Veranstaltern aufeinanderstoßen. Betont wurde allerdings die Forderung nach einer „Rückkehr zur Spartentrennung“. Die Generalversammlung verabschiedete ferner eine Protesterklärung zu den Plänen des Berliner Senators für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Christoph Stölzl, zur Berliner „Opern-Haus-Debatte“. Darin wird das Konzept einer Zusammenführung der Deutschen Oper mit der Deutschen Staatsoper und die Verkleinerung des Orchesters der Komischen Oper als „künstlerisch völlig inakzeptabel“ abgelehnt. Notwendige Strukturreformen Daneben waren es aber vor allem die internen Strukturen des eigenen Verbandes, mit denen sich die Delegierten recht kontrovers beschäftigten. Besonders die Verwaltungsstrukturen des DMR sind äußerst reformbedürftig. Dem stehen sicher gelegentlich die Tradition des Dachverbandes selbst und seiner vielen Mitglieder entgegen. Die meisten finanziellen Mittel sind an konkrete Projekte des Musikrates gebunden. Unsere fluktuierende Mediengesellschaft allerdings macht Organisationen erforderlich, die schnell reagieren können – also auch Mittel und Personal für strategische Maßnahmen im geeigneten Moment zur Verfügung haben. Der Deutsche Musikrat muss beispielsweise als großer Lobbyverband massiv auf den zunehmenden Rückzug des Staates aus seiner kulturellen Verantwortung reagieren können. Dieser Rückzug deutete sich fast symbolhaft durch das Nicht-Erscheinen von Kulturstaatsminister Dr. Michael Naumann beim abendlichen Empfang in Berlin an. So empfand es wohl auch Generalsekretärin Dr. Wartenberg: „Die GEMA und der Deutsche Musikrat gestalten gemeinsam einen Empfang, und ich denke, es hätte sehr, sehr gut gepasst, wenn Herr Naumann dort gewesen wäre. Gut, wir hoffen beim nächsten Mal! Wir werden ihn aber nicht davon verschonen, dass wir ihm alle unsere Beschlüsse sehr nachdrücklich auf den Tisch legen werden!“ Hauptsache: Musik Staatsminister Naumann hätte als Schirmherr auch eine zentrale Aktion des Deutschen Musikrates aus der Taufe heben sollen, die ein gutes Beispiel für die zuvor genannte wirkungsvolle und gebündelte Präsentation der Musik in der Öffentlichkeit darstellen könnte, die sogenannte „Hauptsache: Musik“, die nun doch wieder zur Nebensache wurde. Nach fünf-jährigen Startschwierigkeiten soll diese Maßnahme nun endlich als Dach-Kampagne fungieren, soll Veranstaltungen und Initiativen unter einem einheitlichen Logo zusammenfügen. Inzwischen konnte auch ein Mitarbeiter als Projektkoordinator für diese wichtige Aufgabe eingestellt werden, Michael Teilkemeier. Er beschreibt die Zielsetzung dieser Dachkampagne: „Mit der Aktion ,Hauptsache: Musik‘ soll der gesellschaftliche Stellenwert der Musik erhöht werden. Die musikalische Bildung und Erziehung soll somit gesichert und gefördert werden. Besonders der Aspekt der Bildung darf nicht – wie es im Moment leider aussieht – immer weiter ins Hintertreffen geraten.“ Wichtig wird es nun, die nötigen finanziellen Mittel einzuwerben und die einzelnen Aktionen zu koordinieren, damit sich diese „Hauptsache: Musik“ auch wirklich als schlagkräftige Marketing-Idee in aller Breite durchsetzen lässt. Kleines, aber leider symptomatisches Detail am Rande: Bei der Vorstellung des eigens entworfenen Logos, über dessen Eignung sich übrigens streiten lässt, herrschte im Präsidium Unsicherheit darüber, ob denn nun künftig auch der Schriftzug „Deutscher Musikrat“ im Logo erscheinen werde. In solchen Momenten stockt dem Musikrats-Beobachter dann wieder sein mühsam aufgebauter Erneuerungs-Optimismus. Beim Kongress „Kinder und Musik im 21. Jahrhundert“ soll nun am 15. und 16. Februar 2001 in Hannover der dann hoffentlich etwas lautere Startschuss zur Kampagne „Hauptsache: Musik“ fallen. Spätestens angesichts solcher Aktionen stellt sich dann die Frage, warum der Musikrat nicht endlich seine Kräfte zu einer wirklich großen Eröffnungs-Kampagne zusammenfassen und beispielsweise eine Gala oder Fernsehshow als Anschubmaßnahme auf die Beine stellen kann. Kontrovers diskutiert Fast wie eine Befreiung wirkten da am zweiten Vormittag einige zuweilen scharf vorgetragene Redebeiträge im Plenum. Diese beschäftigten sich vor allem mit der mangelhaften Außendarstellung des Musikrates und gipfelten beispielsweise in der frappierenden Frage, was denn eigentlich die bisherige Mitgliedschaft im Deutschen Musikrat einem Verband wie etwa der „Jeunesse Musicals“ eingebracht habe. „Bisher fast nichts“, so das ernüchternde Fazit des Redners. Prof. Klaus Bernbacher, früherer Musik-Chef bei Radio Bremen, forderte massive interne Strukturveränderungen im Musikrat. Außerdem müsse „jetzt eine Generation die Führung im Präsidium übernehmen, die sich einordnet und einmischt in die große kulturpolitische Diskussion unserer Republik.“ Das setzte allerdings auch eine „gewisse Streitlust“ voraus, die von Seiten der Politik geradezu erwartet werde. Eine mögliche Chance? Ob nun das am Samstag neu gewählte Präsidium tatsächlich diesen vielfach und laut geforderten Wandel bringen kann, bleibt abzuwarten und zu hoffen. Der alte und auch neue Präsident Prof. Dr. Franz Müller-Heuser ließ diesen Willen zu wirklich einschneidenden Veränderungen allerdings kaum erkennen. Er selbst wurde bei knapp einem Drittel Gegenstimmen gewählt. Auch der Tätigkeitsbericht des alten Präsidiums stieß auf zahlreiche Enthaltungen, die Müller-Heuser lakonisch kommentierte: „Ich will mal sagen, das ist so ein bisschen Stimmungsmache vielleicht manchmal. Das kann man nicht wirklich als Enthaltungen bezeichnen. Die Projekte des Deutschen Musikrats laufen hervorragend. Es ist hier gerade das Problem der Lobbyarbeit angesprochen worden und auch eine gewisse Modernisierung im Geschäftsbereich, die sicher notwendig ist. Die haben wir aber schon seit einem halben Jahr beschlossen im Präsidium und schon in Auftrag gegeben.“ Ihm erwiderte der Präsident des Bayerischen Landesmusikrates, Wilfried Anton, der schon während der Debatte im Plenum massive Vorwürfe gegen das alte Präsidium erhoben hatte: „Das ist die Sachlage deutlich verniedlicht! Der Deutsche Musikrat hat in den vergangenen 20 Jahren versäumt, sich in der Öffentlichkeit als Institution zu profilieren, die das deutsche Musikleben mit Ideen und Gedanken versorgt!. Er hat es versäumt, sich in der Öffentlichkeit auch darzustellen in entsprechender Weise, er ist derzeit ein No-Name, und das wollen wir seitens der Länder-Vertretungen, aber auch seitens der Bundesverbände allmählich verbessern. Wir haben eine neue Generalsekretärin und hoffen, dass der Schwerpunkt der künftigen Arbeit auf der Kontaktpflege zwischen dem DMR, der Politik und den Verbänden und den Ländern liegt.“ Gerade in diesen kontroversen Beiträgen und nicht zu letzt in den vielen Gegenstimmen und Enthaltungen könnte nun tatsächlich eine Chance zur Erneuerung beim Deutschen Musikrat liegen. Welche Rolle das neu gewählte Präsidium bei diesen sicher nicht leichten Umgestaltungsprozessen spielen kann und will, ist derzeit noch schwer abzuschätzen. Ihm gehören einige neue Mitglieder an, die teilweise durchaus auch neue Akzente vermuten lassen. Immer wieder werden von ihnen die Themen „populäre Musik und Alltagskultur“, Kontakte zur Musikwirtschaft und vor allem Intensivierung des politischen Einflusses geltend gemacht. Die Musikwissenschaftlerin Dr. Ulrike Liedtke, einzige Frau im „Elferrat“, will vor allem die Förderung junger Musiker, Komponisten und Musikwissenschaftler in den Mittelpunkt stellen. Sie nimmt auch einen der beiden Vizepräsidenten-Stellen ein. Und Axel Linstädt vom Bayerischen Rundfunk sieht seinen Schwerpunkt naturgemäß beim wichtigen Thema „Musik und Medien“. Ferner wurden Prof. Dr. Eckart Lange (als weiterer Vizepräsident), Rüdiger Grambow, Prof. Dr. Karl-Jürgen Kemmelmeyer, Christian Höppner, Michael Russ, Prof. Wilfried Krätschmar und Hans-Dieter Starzinger gewählt. Dieter Gorny, Geschäftsführer der VIVA Fernsehen GmbH, der vom alten Präsidium zur Kandidatur vorgeschlagen wurde, konnte die Delegierten übrigens nicht überzeugen. Knapp gewählt wurde hingegen Stefan Piendl. Der junge und medien-erfahrene Piendel hatte auf Vorschlag der „Jeunesses Musicales“ Deutschland kandidiert, die sich von ihm offenbar etwas Bewegung im neuen Präsidium verspricht. Seine Schwerpunkte sieht er vor allem in unternehmerischen Fragen: „Wenn man den Musikrat sieht, der über einen Etat von 18 Millionen Mark verfügt, der indirekt acht Millionen Mitglieder vertritt, dann ist es ganz wichtig, dass er ein unabhängiger Verband ist, dass ehrenamtliche Arbeit geleistet wird. Aber das sind dann auch Dimensionen, die eigentlich hier und da unternehmerisches Agieren erfordern. Und mein Eindruck ist, dass man das positiv beim Musikrat einbringen und Verbesserungen herbeiführen kann.“ Der Verband braucht tatsächlich dringend diese Professionalisierung auf der ganzen Linie, das wurde bei der Generalversammlung mehr als deutlich. Chancen für einen solchen Neubeginn hat die Generalversammlung ohne Frage geboten, die erstmals aus dem „Routine-Schlaf“ erwacht sei, wie ein Teilnehmer am Rande meinte. Jetzt müssen diese Chancen allerdings auch von den Beteiligten – und hier vor allem von den mit großer Verantwortung ausgestatteten Mitgliedern des neuen Präsidiums – in geeignete Maßnahmen umgewandelt werden. Maßnahmen, die dann auch ausnahmsweise von einer breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen werden sollten. Eckhard Gropp Das neue Musikrats-Präsidium Die tiefe Unzufriedenheit der „höchsten Instanz“ des Deutschen Musikrates, nämlich der Generalversammlung, mit dem Zustand des musikalischen Spitzenverbandes fand auch bei der Wahl zum Präsidium deutlichen Ausdruck. Noch nie ist der präsidiale Wahlvorschlag so gründlich zerlegt worden wie in diesem Jahr. Sich ohne Gegenkandidaten ein Drittel Gegenstimmen oder Enthaltungen einzufangen, sollte den alten und neuen Präsidenten Franz Müller-Heuser eher zu ein wenig Selbstkritik veranlassen statt zu wehleidigen Spekulationen über angebliche „Kampagnen“. Bemerkenswert die starke Präsenz der Landesmusikräte im Präsidium: Steht zu hoffen, dass diese frischen Kräfte auch dank ihrer Erfahrung im Umgang mit Politikern und den Medien endlich angemes-senen Schwung in das müde gewor- dene Getriebe des Musikrates einbringen. Porträts der neuen Rats-Mitglieder finden sich in der nmz 11/2000 sowie unter www.nmz.de im Web. Prof. Dr. Franz Müller-Heuser (Präsident) Prof Dr. Eckart Lange (Vizepräsident) Dr. Ulrike Liedtke (Vizepräsidentin, Musikakademie Rheinsberg, Landesmusikrat Brandenburg) Rüdiger Grambow (infocenter Zupfmusik Hamburg, Zupfmusikmagazin), Christian Höppner (Musikschule Berlin-Wilmersdorf, HdK Berlin, Landesmusikrat Berlin), Prof. Dr. Karl-Jürgen Kemmelmeyer (Hochschule für Musik und Theater Hannover, Landesmusikrat Niedersachsen), Prof. Wilfried Krätschmar (Musikhochschule Dresden), Axel Linstädt (Bayerischer Rundfunk, Leiter der Hauptabteilung Musik), Stefan Piendl (BMG Ariola Classics, vorgeschlagen von der Jeunesses Musicales), Michael Russ (Verband deutscher Konzertdirektionen), Hans-Dieter Starzinger (Kultusministerium NRW).

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