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Demonstration anlässlich des Kurt-Weill-Fests im Februar 2010. Foto: Andreas Hauff
Demonstration anlässlich des Kurt-Weill-Fests im Februar 2010. Foto: Andreas Hauff
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„Es müsste Montagsdemonstrationen für Kultur geben“

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Michael Kaufmann, Intendant des Kurt-Weill-Fests, im Gespräch über Pläne und Probleme in Dessau
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Seit August 2009 ist Michael Kaufmann Intendant des Kurt-Weill-Fests Dessau. Die Festivalausgabe 2010 – noch von Kaufmanns Vorgänger Clemens Birnbaum konzipiert – war, so titelte die nmz in der April-Ausgabe, überschattet vom „Blut- und Tränenpapier“ der Stadt. Andreas Hauff sprach mit Michael Kaufmann über die finanz- und kulturpolitische Lage in Dessau und über seine künstlerischen Pläne für die kommenden Jahre.

neue musikzeitung: Die kulturpolitische Situation in Dessau ist derzeit äußerst schwierig. Bedauern Sie schon, nach Dessau gegangen zu sein?

Michael Kaufmann: Es ist im Moment überall schwierig, wo immer man sich mit Kultur beschäftigt ... Nein, ich bin sehr froh, dass ich die Möglichkeit habe, mich um Kurt-Weill-Zentrum und Kurt-Weill-Fest zu kümmern. Es ist eine sehr spannende Aufgabe.

nmz: Wo liegt der Reiz?

Kaufmann: Zum einen in der Figur, der Persönlichkeit und dem Schaffen von Kurt Weill. Ich sehe ihn als Zeichen oder Botschafter einer Zeit, die sicher die spannendste war in der deutschen und europäischen Geschichte. Im Grunde fangen wir in Deutschland jetzt erst an, uns unvoreingenommen mit der Weimarer Republik, ihrer Vorgeschichte und ihrer Fortsetzung in der NS-Zeit zu beschäftigen. Vorher waren immer die Biographien Lebender berührt, gab es immer die Furcht vor Verwundungen und die Sorge vor negativen Entdeckungen.

nmz: Und zum anderen?

Kaufmann: ... interessiert mich die Stadt. Weill ist ja relativ früh von Dessau weggegangen, aber das Bauhaus ist, als es sich in Weimar nicht halten konnte, dorthin gezogen. Da gäbe es noch einiges zu entdecken – gerade über die Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Oder denken wir an Moses Mendelssohn. Der ging auch früh weg von Dessau, aber es scheint doch, als gäbe es einen historischen „Humus“ in dieser Stadt, der uns viel über unsere Gesellschaft verrät. Ich gehe dort permanent auf Entdeckungsreise.

nmz: Aber man sieht dabei fast nichts auf den ersten Blick. Man muss in Dessau immer noch mal genauer hinschauen – oder sich erzählen lassen.

Kaufmann: Das ist etwas, das ganz gut zu mir passt. Das war ja auch vielleicht an meinen Programmen in Essen zu merken, dass ich gerne – sozusagen als Trüffelschwein – bestimmten geschichtlichen und künstlerischen Entwicklungen nachspüre und diese dann für andere weitererzähle. Ich empfinde das als Privileg und auch als Verpflichtung, nicht nur als Vergnügen. Man muss den Menschen Geschichten erzählen wollen, sonst landet man in einer Art Event-Kultur. Das Kurt-Weill-Fest profitiert bei dieser Arbeit natürlich sehr von der großartigen, lebendigen Kooperation mit dem Anhaltischen Theater.

nmz: Was ist denn so interessant an der Weimarer Republik, dass man sich unbedingt mit dieser Zeit beschäftigen sollte?

Kaufmann: Da ist die unglaublich vitale Musiklandschaft mit einer ebenso faszinierenden Bandbreite – Leute wie Schönberg einerseits und Korngold andererseits, die ganzen Operettenkomponisten, die Unterhaltungsmusik – und Weill mittendrin als Brücke zwischen U- und E-Musik. All das auf einem hohen Qualitätsniveau und nebeneinander, ohne sich gegenseitig auszuschließen oder zu kannibalisieren. Dabei war, um noch einmal auf den gesellschaftlichen Aspekt zurückzukommen, die Weimarer Republik eine Krisenzeit. Auch damals sind Wertesysteme kollabiert, gab es Endzeitstimmung, eine Weltwirtschaftskrise ...

nmz: Sie denken dabei an unsere Gegenwart?

Kaufmann: Wir erleben seit geraumer Zeit eine Über-Individualisierung, die zerstört, was man „common sense“ nennt. Der Kitt der Gesellschaft geht verloren, die Mitte löst sich auf. Wir können von damals lernen – nicht zuletzt, aktiv mit der Situation umzugehen. Also mutig etwas zu sagen, womit man vielleicht aneckt, aber den notwendigen Diskurs darüber auslöst, wie in Zukunft wieder mehr Gemeinschaft in der Gesellschaft entstehen kann. Die Deutsche Post hat letztes Jahr eine 145-Cent-Marke herausgegeben mit dem Schiller’schen Satz „Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit“. Das wäre ein gutes Motto.

nmz: Was bedeuten diese Überlegungen für das Programm des Kurt-Weill-Festes?

Kaufmann: In diesem Punkt bin ich selbst noch auf der Suche. Grundsätzlich kommt es natürlich darauf an, Konstellationen und Bezüge herzustellen. Also etwa Weill in einem Programm mit seinen Zeitgenossen zusammenzubringen. Oder, wie mein Vorgänger Clemens Birnbaum es für dieses Jahr noch vorbereitet hatte, eine verschüttete Gattung wie das „Songspiel“ wiederzubeleben, um daraus neue Impulse zu gewinnen. Eigentlich müsste man jetzt diese Linie weiter verfolgen, aber das schaffen wir nicht bei unseren geringen Mitteln. Für das, was es leistet, ist das Weill-Fest tatsächlich unterfinanziert.

nmz: Aber ein Programm für 2011 haben Sie ja schon!

Kaufmann: Nächstes Jahr kommt das wunderbare Ensemble Modern als Artist-in-Residence! Damit setzen wir ein Zeichen in Richtung Neue Musik. Es gibt einen kleinen thematischen Schwerpunkt zum „Dadaismus“, den ich besonders spannend finde, weil sich hier der Zerfall von Gesellschaft unmittelbar in der Sprache spiegelt – ein Thema, das ich sehr aktuell finde. Ein Kompositionsauftrag geht an den französischen Komponisten Renaud Garcia-Fons, der vom Jazz herkommt. Er schreibt die Musik zu einem Scherenschnitt-Film von Lotte Reiniger. Das ist eine interessante Verbindung von Alt und Neu, und wir kommen damit auch heraus aus der reinen E-Musik-Ecke. Und generell wünsche ich mir, dass wir die Grenzen des Kurt Weill Fests überspringen. Ich möchte unser Festival-Thema übers Jahr vorbereiten und inhaltliche Fäden weiterspinnen.

nmz: Gibt es dazu schon Pläne?

Kaufmann: Wir wollen das Kurt-Weill-Zentrum stärker ins Spiel bringen und an drei Wochenenden im Herbst und Winter auf das Weill-Fest hinarbeiten. Durch solche „Satelliten-Veranstaltungen“ können wir spannende Bezüge herstellen: Weill war zum Beispiel in Berlin mit dem Philosophen Ernst Bloch befreundet, weshalb sich eine Kooperation mit der Ernst-Bloch-Gesellschaft anbietet. Aus solchen Ansätzen könnte eine Art Studium generale zu den verschiedensten Themen entstehen.

nmz: Ist denn nicht Weill selbst unterrepräsentiert auf dem Weill-Fest? Als Song-Komponist genießt er inzwischen große Beliebtheit, aber die Theater spielen nach wie vor fast nur „Dreigroschenoper“, „Mahagonny“ und „Die sieben Todsünden“.

Kaufmann: Dem muss ich leider zustimmen, und hier möchte ich auch etwas ändern. Weill hat wirklich zu wenig Lieder, Kammermusik und Orchestermusik komponiert, als dass man Was die amerikanischen Werke betrifft, so gilt die Kurt-Weill-Foundation in Deutschland ja als sehr restriktiv. Aber wir waren jetzt schon zweimal mit einer Delegation der Kurt-Weill-Gesellschaft in New York, und ich war angenehm überrascht von der Offenheit, mit der man uns begegnete. Durch gute Arbeit können wir hier Vertrauen schaffen und vertiefen. Auch wenn die amerikanischen Musicals an deutschen Bühnen mit hauseigenen Ensembles schwer zu realisieren sind – die fantastische Aufführung von „One Touch of Venus“ am Anhaltischen Theater hat ja gezeigt, dass es geht. Vielleicht können wir in Dessau so eine Art „Botschaft“ für den „amerikanischen Weill“ werden – zur Ermunterung und Unterstützung interessierter Intendanten und Dramaturgen.

nmz: Wenn es das Theater dann noch gibt…Wie sehen Sie denn die Aussichten für die Kultur in Dessau?

Kaufmann: Dessau ist ja nicht die einzige Stadt in solch einer Situation. Überall schlägt die Landes- und Bundesgesetzgebung auf die Kommunen durch. Nur ist Dessau als erste Stadt in die Schlagzeilen geraten, weil der Oberbürgermeister eben nicht hinter verschlossenen Türen ein Sparprogramm erarbeiten ließ, sondern die Öffentlichkeit vorab über das gravierende Finanzierungsproblem und mögliche Konsequenzen ab 2013 informiert hat. Das macht es möglich, gemeinsam auf die Barrikaden zu gehen und Strategien zu entwerfen. Und inzwischen wird auch immer mehr Politikern auf Landes- und Bundesebene bewusst, dass man die Kommunen, in denen in allererster Linie die Lebensqualität der Menschen gestaltet wird, nicht „verrecken“ lassen kann.

nmz: Sind Sie also zufrieden mit den Protest-Reaktionen in Dessau?

Kaufmann: Von der Aktion zu Beginn des Weill-Festes wurden wir als Kurt-Weill-Gesellschaft überfahren; das hat ein wenig zu Verstimmungen geführt. Aber inhaltlich liegen wir auf einer Linie. Es geht nicht an, dass die kulturelle Versorgung in Teilen unserer Gesellschaft für überflüssig gehalten wird. Im Grunde müsste es jetzt regelmäßige Montagsdemonstrationen für die Kultur geben. Doch es liegt auch an uns Kulturschaffenden, ob die Menschen bereit sind, für Kultur auf die Straße zu gehen. Da haben wir wohl in den 80er- und 90er-Jahren auch den Fehler gemacht, das zur Verfügung stehende Geld anzunehmen, ohne die Bedeutung von Kunst und Kultur für die Existenz einer humanen Gesellschaft herauszuarbeiten. Wir müssen uns wieder mehr darauf besinnen, bekenntnishaft zu arbeiten. Meine Frage ist: Schaffen wir es, das als einen kraftvollen, dynamischen Prozess zu gestalten? Darauf müssen wir eine plausible und überzeugende Antwort finden.

Interview: Andreas Hauff

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