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Europäischer Barockkomponist

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Bericht zum Buxtehude-Festival in Lübeck
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„Der abscheuliche Lerm der muthwilligen Jugend, und das unbändige Laufen, rennen und toben hinter dem Chor, will einem fast alle Anmuth, die man von der Music haben könnte, benehmen: zu geschweigen der Sünden und Gottlosigkeiten die unter der Gunst der Dunckelheit und des schwachen Lichts ausgeübet werden.“ Ja, die zivilen Manieren mancher neugierigen Besucher waren wohl nicht ganz angemessen, als Dieterich Buxtehude seine Abendmusiken in der gotischen St. Marien Kirche zu Lübeck veranstaltete.

Erstmals 1678 und zeitgleich mit der Eröffnung der Oper in Hamburg. Ob zufällig oder nicht: „Diese Abend-Musicken, welche jährlich (...) gehalten werden, sind nicht allein theatralisch, sondern sie sind ein vollkommenes Drama per musica und es fehlet nichts weiter, als dass die Sänger agiren, so wäre es eine geistliche Opera“, berichtete ein Zeitgenosse. Deshalb war „die älteste Konzertreihe der Welt“ im (nicht allzu) pietistischen Lübeck eine Sensation, durch deren attraktive Wirkung Dieterich Buxtehude zum europäisch beachteten Barockkomponisten avancierte.

Beim Festival zum 300. Todestag von Dieterich Buxtehude (1637–1707) drängte sich zwar das Publikum in den Dom, um die einzig erhaltene und verbürgte Abendmusik „Wacht! Euch zum Streit – Das jüngste Gericht“ zu erleben, doch das Interesse daran blieb sündenfrei. Zumal „Sünden und Tugenden“ das Thema dieses Oratoriums waren. Der Altarraum wurde zur Bühne für oft drastische Dialoge der hervorragenden Sopranistinnen Stephanie Petit-Laurent (Die gute Seele, Geitz), Monika Mauch (Die böse Seele, Hoffahrt) und Gela Birckenstaedt (Leichtfertigkeit), deren Partien im stets farbigen Kontrast zum belehrenden Bass Wolf Matthias Friedrich (Die göttliche Stimme) sowie zum Chor und zu den instrumentalen Intermezzi arrangiert waren. Die superb inszenierte Aufführung von Musica Fiata und La Capella Ducale breitete durch die optimale Regie von Roland Wilson ein Ultimum sinnlichen Klangs aus, wovon das Publikum vollkommen vereinnahmt wurde. Solch hohes Niveau hatten auch die anderen Konzerte, etwa mit dem Cantus Cölln unter der Leitung von Konrad Junghänel mit Kantaten aus dem Fundus „Buxtehude und seine Zeit“, nämlich seinen Kollegen Nikolaus Bruhns, Matthias Weckmann und Johann Rosenmüller. „Europäische Varianten im Italienischen Stil“ präsentierte der Nestor historischer Aufführungspraxis Gustav Leonhardt mit seinem Ensemble bei einem Kammermusik-Recital. Eine echte Rarität hatten die Lübecker Philharmoniker zu ihrem 7. Sinfoniekonzert parat: Das Arrangement der „Chaconne e-moll“ für großes Orchester von Carlos Chaves, wobei mexikanisches Kolorit der Buxtehude-Komposition besonderes Flair gab. Ton Koopman, Präsident der Internationalen Dieterich-Buxtehude-Gesellschaft, brachte mit dem Amsterdam Baroque Orchestra & Choir bei zwei Kantatenzyklen die melodische Individualität des Lübecker Komponisten in Verbindung mit einigen Werken seines Bewunderers Johann Sebastian Bach. Die kontemplative Apotheose „Membra Jesu Nostri“ zeigte in sieben Kantaten eine völlig andere Facette: ruhig atmende Kantilenen, die vom NDR-Chor, Hille Perl (Viola da Gamba) und dem Ensemble Sirius Viols unter der Leitung von Robin Gritton wie eine Andacht gestaltet wurden.

Noch eine kleine Sensation, denn der historische Kontext und die Biografie Dieterich Buxtehudes konnten mit Augen und Ohren in allen Aspekten betrachtet werden: Neben Originalexponaten wie Abschriften von Kompositionen und Instrumenten sind Arbeits- und Musikzimmer als eigene Räume rekonstruiert, Genrebilder und Hörstationen ermöglichen unmittelbare Einfühlungen ins Lübecker Barockleben. Das exzellent organisierte Festival zum 300. Todestag von Dieterich Buxtehude hat beim ersten Part im Mai 2007 (Fortsetzung im September) bisher alle Erwartungen übertroffen.

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