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Falsch gelacht

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Jede Haupt- und Staatsaktion hat das, was früher einmal Satyrspiel hieß – ihr Echo minderen Rangs. Dem so genannten Karikaturenstreit, in dem sich ein Konflikt zwischen einer Schar von Medienzynikern und Millionen manipulierter Fanatiker zum weltweiten Glaubenskrieg emporschaukelte, folgte auf dem Fuß die Frankfurter Notizblockaffäre: Schauspieler gegen Kritiker, Stichwort „Hau ab, du Arsch“. Beide Male prallten unterschiedliche Lebenswelten und Wertesysteme unver- söhnlich aufeinander.

Der ganz große Glaubenskrieg soll hier nicht kommentiert werden, sondern nur einige Facetten des bundesdeutschen Feuilletonaufruhrs, der eigentlich gar keiner war, weil das Ganze rasch zur persönlichen Angelegenheit eines überempfindlichen Kritikers umgebogen wurde. Damit war der Fall erst einmal erledigt, die Freiheit der Kunst blieb unangetastet.

Vorauszuschicken wäre noch: Da ich mir lieber im Fernsehen „Southpark“ anschaue als das freudlose Gerammel schauspielernder Selbsterfahrungsgruppen, habe ich natürlich die besagte Theateraufführung nicht gesehen. Um die geht es aber auch nicht primär, sondern um das, was hinterher in den Zeitungen stand. Und das kann jeder nachlesen.

Zum Beispiel den unsterblichen Satz aus dem Interview der „Berliner Zeitung“, mit dem der Regisseur der Frankfurter Aufführung, Sebastian Hartmann, den ausgeflippten Schauspieler in Schutz nahm: „Wir wollen Herrn Lawinky doch zugestehen, dass er aufgeregt ist. Er weiß, dass er un-gefähr eine Viertelstunde später sein Glied entblößen wird.“ Wir sind nicht beim Onkel-Doktor-Spiel, sondern im Theater, und so folgt gleich das nächste Highlight: „Als eine Schauspielerin mit Tränen in den Augen ungefähr anderthalb Meter von Herrn Stadelmaier entfernt einen toten Vogel gebar, lachte der Kritiker höhnisch.“ Die Szene muss man sich vorstellen und versuchen, dabei nicht an die Vogelgrippe zu denken. Und da wagt einer einfach zu lachen! Klar, dass sich da der zutiefst verunsicherte Exhibitionist sagt: Den knöpfe ich mir jetzt prophylaktisch aber mal vor. Denn wenn der in einer Viertelstunde wieder lacht, was mach’ ich dann mit meinem Pipifax?

Lachen kann bekanntlich töten, und keiner hat das besser vorgeführt als Jacques Offenbach. Unter dem Gelächter seiner Musik schrumpft auch der gewaltige General Bummbumm auf Normalmaß. Doch im Gegensatz zum Zweiten Kaiserreich mit seinen lustigen Eisenbahnbaronen, Börsenhaien und Arbeiterheeren leben wir heute bekanntlich in einer entmenschlichten Zeit, als deren grausiges Emblem Hartz IV über unseren Köpfen schwebt. Deshalb: Wehe dem, der lacht! Schauspieler, zeigt euer Leiden und entblößt eure Glieder! Das Theater muss der Spiegel sein, in dem dieser beschissenen Gesellschaft ihre eigene Fratze respektive ihr Hinterteil entgegengehalten wird. Unbeschönigt, unversöhnt.

Und so sitzen denn, wie man dem Hamburger „Spiegel“ entnehmen kann, beim „Macbeth“ in Düsseldorf nackte alte Männer auf dem Donnerbalken und kacken um die Wette. Womöglich steckt darin ja eine tiefere Wahrheit. Braun, die deutsche Farbe. Das könnte erklären, warum diese Variante von Regietheater ausgerechnet auf deutschen Bühnen so beliebt ist.

Die Wiener Aktionisten arbeiteten schon in den 60er-Jahren mit Tierblut, Kot und Urin. Sie hatten Wilhelm Reich gelesen und wollten mit ihrer Provokation den Faschisten aus dem Kleinbürger herauskitzeln. Wenn ihre Happenings mit Polizeieinsatz, Verhaftung und Hasstiraden des Boulevards endeten, sahen sie ihre These als bewiesen an. Ihre traurigen postmodernen Nachfahren können sich bei ihren Sandkastenspielen abstrampeln wie sie wollen – keine Polizei, keine öffentliche Empörung, kein Faschismus. Höchstens ein Kritiker, der im falschen Moment lacht. Da bleibt nur Selbstmitleid.

Das alte Spiel der Tabuverletzung entfacht hier zu Lande keinen Skandal mehr, weil es keine Tabus mehr gibt. Da muss man schon auf andere Religionen los, wie es die schlauen Dänen vorgeführt haben. Ein ganz klein wenig funktioniert es hingegen noch, wenn etwa Autoabgase in eine alte Synagoge geleitet werden, in rein künstlerischer Absicht natürlich. Er wolle „auf die Banalisierung der Erinnerung an den Holocaust aufmerksam machen“, wird der Urheber dieser Aktion, der spanische Künstler Santiago Serra, zitiert. Außerdem gehe es ihm gegen Staatsmacht und Kapital.

Damit liegt der unerschrockene Aufklärer natürlich hundertprozentig richtig. Das Unternehmen wird von der Stadtverwaltung in Pulheim bei Köln freundlich gefördert, denn Kultur bringt bekanntlich Standortvorteile. Das Feuilleton nimmt das, von Ausnahmen abgesehen, eher gelangweilt zur Kenntnis. Man ist ja tolerant geworden. Es melden sich höchstens ein paar humorlose Juden, die das Wesen der ästhetischen Provokation noch nicht begriffen haben und die Autoabgase in ihrer alten Synagoge seltsamerweise ganz persönlich nehmen. Aber die haben ja den deutschen Humor schon immer ein bisschen missverstanden.

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