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Frohe Botschaft

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An Weihnachten ist alles wieder gut. So reden wir es uns jedenfalls ein. Die Kinder sind lieb und singen gern die von der Mutter angestimmten Lieder mit (obwohl sie im Geiste schon bei den neuen Computerspielen sind), der größere Sohn bedankt sich höflich für das Abo beim ansässigen Sinfonieorchester (obwohl ihm ein iPhone lieber gewesen wäre, aber das muss er sich nun halt vom geschenkten Geld selber besorgen). Frieden wird für einige Stunden geschlossen und dann geht es wieder durch die Tretmühlen des Alltags – bis zu den nächsten Weihnachtstagen.

Kinder haben, und das ist ihr gutes Recht, ein ganz anderes Verständnis von Kultur, als es die Elterngeneration wahrhaben möchte. Was ist Beethoven gegen Kurt Cobain, was ein Schubert-Quartett gegen einen Song der Ärzte? Mit Schuld an dieser Einseitigkeit ist vornehmlich die ältere Generation. War es nicht so, dass noch vor zwanzig Jahren immer wieder, bevorzugt in der Faschingszeit, mal das schlechte Gewissen mahnte? Etwa so: Wir müssen etwas für den Nachwuchs tun! Und die Antwort: Was hatten wir denn letztes Jahr? Ach ja, Peter und der Wolf! – Nun gut, dann machen wir diesmal Karneval der Tiere. Und in diese meist von der Lüge über die zentrale Position der Kinder ummantelten Veranstaltungen, die oft noch das Kindchenschema als besondere Zuwendung kredenzten, schleppte man seine in Bluse, Rock oder Anzug gequälten Jüngsten – also dem festlichen Akt angemessen. Danach stellte sich das Gefühl von Pflichterfüllung, gar von Übererfüllung ein, denn die Nachbarn mit ihren zwei Kleinen habe man in dem pädagogisch besonders wertvollen Konzert nicht gesehen.

Nun nähern wir uns ja wieder Weihnachten, wo bekanntlich alles gut ist. Diesmal aber wirklich mit einer frohen Botschaft. Denn das Pingpong-Schema zwischen Peter und dem Karneval hat in den letzten Jahren Konkurrenz bekommen: Es ist eine, die die Kinder wirklich ernst nimmt und ihnen nicht falsche kulturelle Welten vorgaukelt (nichts gegen die beiden schönen Stücke, das Übel ist die Ideenlosigkeit der Veranstalter). So hat zum Beispiel vor knapp zwei Jahren der Komponist Klaus Lang mit „Der rote Spiegel“ ein Stück für Kinder geschrieben, das wirklich herausfordert. Und es wurde inzwischen in Innsbruck und Wien wieder aufgenommen und wandert jetzt nach München. Ein weiteres Beispiel sind die Education-Projekte der Berliner Philharmoniker (Zukunft@BPhil), die die Oboistin und Komponistin Cathy Milliken betreut. Auch hier: Kein Kindchenschema mehr, sondern ernsthafte Auseinandersetzung, die die äußerste Kreativität nicht zuletzt der betreuenden Kräfte verlangt. Kinder entwickeln ihre Stücke selbst, sie erfinden Klänge zu Texten und vergleichen sie mit dem dazu Erfundenen von Anton Webern, sie erfinden Rhythmen und Bewegungen zu Musik von Varèse, Birtwistle oder Heiner Goebbels. Die Neue Musik ist also keine Hemmschwelle, sondern in ihrer (kindähnlich?) unvoreingenommenen Art bestes Transportmittel. Und wenn sich diese Kinder unter dem Weihnachtsbaum weigern, „Ihr Kinderlein kommet“ zu singen, dann wohl, weil sie schon viel weiter sind.

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