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Theo Brandmüller. Foto: C. Oswald
Theo Brandmüller. Foto: C. Oswald
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Ganz nahe bei den großen „Musikanten“

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Zum Tod des Komponisten und Hochschullehrers Theo Brandmüller
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Langsam wächst das Gefühl, dass wir den Abschied von einer ganzen Komponistengeneration erleben. Und dazu gehört auch der Abschied von vielen großen Kollegen, die einem über die Jahre so ans Herz gewachsen sind, dass man sich eine Welt ohne sie eigentlich nicht vorstellen kann und vor allem nicht vorstellen mag. So ein Großer war Theo Brandmüller.

Ich habe ihn schon gleich bei unserer ersten Begegnung fest ins Herz geschlossen und mich jedes Mal aufs Neue gefreut, wenn ich ihn gesehen habe. Musikfestivals, Konzerte, GEMA-Versammlungen, Hochschulveranstaltungen, Meisterkurse: Überall war Theo anzutreffen, immer ansprechbar, nie grantig oder eifersüchtig, immer loyal, positiv, wie ein Berserker Orgel spielend, komponierend, unterrichtend. Ich bin froh, dass das viele Menschen erleben durften und dass viele jetzt diese Erinnerung an ihn besitzen und jederzeit hervorholen können.

Musikalisch war er ein Monstrum des Talents: ein grandioser Organist, der auch die kniffligsten Sachen scheinbar mühelos spielen konnte. Und der daher folgerichtig bei niemand anderem als Olivier Messiaen Komposition studieren musste (weitere Studien folgten bei ebenso klangvollen Namen: Kagel, Klebe, Halffter). Die Orgel blieb immer sein Hauptinstrument, und seine Musik ist daher oft aus einem überwältigenden, quasi theatralisch packenden Registerklang heraus gedacht. Diese seltsame Mischung aus Dramatik und Kalkül ist ganz eigen für Brandmüller, und so erstaunt es nicht, wenn zum Beispiel eines seiner Hauptwerke für Orchester „Dramma per Musica“ heißt.  Als Komponist musste er wohl nie nach Einfällen suchen ...

Ich bin sicher, dass sein Kopf stets voller Musik war – zum Bersten voll.Und genauso sah er auch immer aus, mit seinen nach allen Richtungen abstehenden Haaren, die – wie seine Töne – nie richtig zu bändigen waren, vor allem nicht durch so etwas Banales wie einen Kamm.

Aber bei den oft übergroßen Themen seiner Musik (zum Beispiel das „Kosmogonia“-Projekt) saß ihm auch stets der Schalk im Nacken. Wer sonst in der Neuen Musik zum Beispiel käme auf so wunderschöne Titel wie zum Beispiel „3 Engel für Scelsi“ (3 Klarinetten und Orgel, 2001) oder „Fred Astaire – Musik“ (für Streicher, 1986). An Altmeister John Cage schickte er sogar zwei „Nirwana-Faxe“, eins für Quintett, eins für Oktett. Obwohl es ihn immer wieder zur Bühne zog (wovon seine zahllosen Bühnenmusiken – unter anderem für Lorcas „Bluthochzeit“ – zeugen), blieb doch ein großes Opernwerk als Auftrag des Saarländischen Staatstheaters bis zuletzt unvollendet. Es wird gemunkelt, dass ihm das Schicksal der Opernfiguren (das Libretto war nicht von ihm) zu sehr mitnahm. Immerhin gab es faszinierende Exzerpte zu hören, so zum Beispiel eine „Zeit-Lichtung“, die ich selber zusammen mit Yaron Windmüller uraufführen durfte.

Es gibt Kollegen, die das Wort „Kollege“ im besten Sinne ausfüllen.  Theo Brandmüller war so jemand. „Im besten Sinne“ – damit meine ich nicht nur das, woran man jetzt als erstes denken würde: zum Beispiel dass Theo einfach ein unglaublich zuverlässiger, herzenswarmer und engagierter Mitstreiter war, wenn es um die Belange der Neuen Musik im Ganzen ging.

Auch meine ich nicht allein das, woran man jetzt als zweites denken könnte: nämlich dass Theo ein in jeder Hinsicht barocker und einnehmender Mensch war, auf angenehme Weise nicht still, humorvoll, lebendig, voller Energie, stets eine Quelle unglaublicher Erzählungen und unerhörter Anekdoten, ein Mensch, neben dem man stundenlang am Tisch sitzen konnte, ohne sich auch nur eine Sekunde zu langweilen.

Nein, ich meine vor allem das: Theo war für mich der Urtyp des „musikantischen“ Komponisten, jemand, der aus einem eigenen unglaublichen instrumentalen Können positiv schöpfte und diese Leidenschaft auf das Notenblatt übertragen konnte. Seine Musik ist kluge Bauchmusik, und das liebe ich.

In dieser Hinsicht steht er für mich ganz nahe bei den großen „Musikanten“ unter den Komponisten, denn er war nicht nur Mensch, sondern er schrieb auch wie einer. Was letztlich das Allerwichtigste beim Komponieren ist.

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